Trotz der „schönen Atmosphäre“ stellt der SPD-Fraktionschef etwas klar
Man könnte meinen, dass Politiker, die eine Koalition bilden und ein Land wie Deutschland regieren, ausreichend miteinander redeten. Dass sie sich umfassend austauschten, Inhalte besprächen und einen Fahrplan zur Umsetzung entwerfen würden. Und dann diesen Plan in gemeinsamer Abstimmung abarbeiteten.
Im Fall der schwarz-roten Koalition passiert all das offenbar nicht oder zumindest nicht ausreichend, wie mehrere Pannen zeigen. Ein Beispiel ist die geplatzte Verfassungsrichter-Wahl. Die Führungen von CDU, CSU und SPD im Bundestag wollen das Kommunikationsdefizit jetzt angehen: „Besser kennenlernen“ wollen sich die Koalitionäre, sogar ein gemeinsames Grillen ist geplant. Die Spitzen der beiden Fraktionen treffen sich zu einer zweitägigen Klausur in Würzburg, um eine Art Neustart der Koalition zu schaffen. Zum Auftakt des „Herbsts der Reformen“, wie es Kanzler Friedrich Merz (CDU) genannt hat.
Tagesordnungspunkt eins: Das „Atmosphärische“ klären, wie ein CDU-Abgeordneter sagt, also das Verhältnis der Koalitionspartner untereinander.
Tagesordnungspunkt zwei: Über das Inhaltliche reden, einen Plan für die Vorhaben der kommenden Monate machen.
Basis dieses Neuanfangs soll ein gegenseitiges Friedensversprechen sein. Beide Fraktionen, die der Union wie der SPD, wollen ihre Ränder einfangen und Richtung Mitte bewegen. Damit die Querschüsse derer im Regierungsbündnis aufhören, denen die Vorstellung des jeweils anderen Koalitionspartners nicht weit genug oder viel zu weit gehen.
Der selbst verordnete Neustart von Schwarz-Rot begann in Würzburg mit einer demonstrativen Zurschaustellung der Eintracht. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann und die beiden Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union, Matthias Miersch sowie Jens Spahn (CDU), spazierten am Donnerstagvormittag über die Alte Mainbrücke in Würzburg. Nur ein paar Meter weit, ein paar Minuten lang – so lange, bis alle Fotografen und Kameraleute die demonstrativ zur Schau gestellte Dreieinigkeit eingefangen hatten. „Nicht jedes Treffen ist ein Krisentreffen. Können wir uns das bitte abgewöhnen?“, mahnte Unionsfraktionschef Spahn.
Aber wer ein angeblich „ganz normales Arbeitstreffen“ so zelebriert, ist natürlich im Krisenmodus, mindestens in der Defensive. Die mauen Umfragen für die Regierungsparteien unterstreichen das.
Hoffmann, gebürtiger Würzburger und damit Gastgeber, hängte die Messlatte gleich zu Beginn des Treffens hoch. „Diese Koalition will und wird Brückenbauer sein gegen die Polarisierung in unserer Gesellschaft“, sagte der Chef der CSU im Bundestag.
Spahn übersetzte die Ankündigung mit Blick auf die praktische Arbeit der Koalition so: „Weniger über Parteiprogramme reden und mehr das Arbeitsprogramm umsetzen. Und das ist unser Koalitionsvertrag“, erklärte der Unionsfraktionschef. „Da ist so viel miteinander vereinbart und steht noch einiges drin, das wir gemeinsam schaffen wollen.“ Das ist der Kern der Unionsstrategie für die kommenden Monate: sich auf das Arbeitsprogramm konzentrieren, nicht mit dem Koalitionspartner streiten, keine Grundsatzdebatten führen.
Parteiprogramme sind wie Wunschzettel – da lassen die Delegierten all das reinschreiben, was sie gerne hätten. Was höchstens umsetzbar wäre, wenn eine Partei allein regieren würde, die Haltung der Bundesländer egal wäre und die des Bundesverfassungsgerichts auch. Und trotzdem gibt es in Koalitionen, auch in dieser schwarz-roten, immer Parteivertreter und Abgeordnete, die Maximalforderungen durchsetzen wollen.
Einige Sozialdemokraten würden zum Beispiel gerne die Steuern für Besserverdiener erhöhen, ebenso die Erbschaftsteuer. Das steht aber nicht im Koalitionsvertrag. Und damit ist es nach Lesart der Union vom Tisch. Nicht aber für so manchen Sozialdemokraten, etwa Co-Parteichef Lars Klingbeil.
Spahn fasste den Dissens über Steuererhöhungen in der Koalition so zusammen: „Wenn Sie einen SPD-Vorsitzenden fragen, ob Steuererhöhung sinnvoll sind, wird der zustimmen und auf sein Parteiprogramm verweisen. Und wenn Sie einen Christdemokraten danach fragen, wird er das zurückweisen und auf sein Parteiprogramm verweisen.“ So könne man „tagelang weitermachen“ – aber es bringe die Koalition nicht voran.
Miersch dämpft schon mal die Erwartungen
Die Geschichte lässt sich auch andersherum erzählen. Beispiel Bürgergeld: Manche in der Union würden die Sozialleistung gerne so reformieren, dass diese de facto wirklich „abgeschafft“ würde, wie die CDU es im Wahlkampf angekündigt hatte. Aber das würde die SPD nicht mitmachen, und das steht so auch nicht im Koalitionsvertrag.
Dieser Vertrag ist also das Gerüst, an dem sich die Koalition nun eng, viel enger als bislang entlanghangeln will. Er regelt auf 144 Seiten vieles bis ins Detail. Aber selbst dieses Vertragswerk dürfte nur bedingt alle Erwartungen erfüllen.
Die Vereinbarung zum Bürgergeld ist auf einer Seite festgehalten (S. 16f). Die Reform ist eines der zentralen Vorhaben der Koalition – gemessen daran sind die Absprachen eher dünn. Und sie können sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Im Grund bietet jeder Absatz Interpretationsmöglichkeiten, und dass Union und SPD höchst unterschiedliche Vorstellungen verfolgen, ist bekannt. Sich also voll auf den Koalitionsvertrag zu konzentrieren, garantiert längst keine Einigkeit und Vermeidung von Konflikten.
SPD-Fraktionschef Miersch widersprach Spahn nicht; er gestand selbst Fehler zum Start der Koalition ein und lobte, dass man ein Treffen der Fraktionsspitzen wie in Würzburg zu Zeiten der Ampel nie hinbekommen habe. Er stellte aber auch klar, wie man sich in der SPD die Umsetzung des Koalitionsvertrags vorstelle. Und das klang ein wenig anders als in der Union.
Da werde es sicher „lebhafte Debatten“ geben, so der SPD-Fraktionsvorsitzende. Und mit Blick auf den Freitag, an dem die Klausur der Fraktionen enden wird, dämpfte er schon einmal die Erwartungen aus der Union: „Wir werden den Koalitionsvertrag nicht eins zu eins in Gesetze gießen, auch in so schöner Atmosphäre nicht. Bitte erwarten Sie für morgen nicht zu viel.“
Nikolaus Doll berichtet über die Unionsparteien und die Bundesländer im Osten.
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