Was hinter dem Richterposten-Poker steckt
So ein Ereignis kommt nicht alle Tage vor, schon klar. Schließlich werden die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht in einem festen, regelmäßigen Turnus gewählt. Doch was normalerweise eine Angelegenheit für Feinschmecker ist, schüttelt das politische Berlin gerade mächtig durch. Was ist da los?
Das liegt an den besonderen Umständen dieser Wahl, ihren möglichen Implikationen und auch in der Koalition umstrittenen Personalien. Schwarz-Rot ringt um Kompromisse, die SPD signalisiert im stern nun ein Entgegenkommen. Ob vergebens oder mit Erfolg, zeigt sich am Freitag. Die drei Probleme beim Richterposten-Poker:
Problem 1: Schwarz-Rot ist auf Hilfe angewiesen
Am Freitag wählt der Bundestag drei neue Gesichter in die leuchtend roten Amtstrachten, sofern aus Sicht von Union und SPD alles glatt läuft. Am Montagabend hat schon der Wahlausschuss grünes Licht gegeben und den von der Union unterstützten Arbeitsrichter Günter Spinner nominiert, ebenso die von der SPD vorgeschlagenen Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold.
Weil bei der Abstimmung im Bundestag aber eine Zweidrittelmehrheit aller anwesenden Abgeordneten notwendig ist, wird es kompliziert. Denn CDU/CSU und SPD sind auf Hilfe angewiesen, auch mit den Grünen geht die Rechnung wahrscheinlich nicht auf. Gäben alle Abgeordneten ihre Stimme ab, fehlten Schwarz-Rot-Grün immer noch sieben Stimmen zur benötigten Mehrheit.

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Bleibt die Hoffnung auf fehlende Abgeordnete, etwa durch Krankmeldung, damit das Quorum sinkt. Sicherer wäre weitere Unterstützung – und da kommen nur noch Linke und AfD in Frage. Ohne eine der beiden Parteien dürfte es nicht gehen. Allerdings hat die CDU jede Zusammenarbeit mit ihnen per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen. Zumindest mit Blick auf die AfD kann sich die SPD dahinter versammeln.
Problem 2: Was, wenn die AfD mitstimmt?
Und nun? Die Situation erscheint festgefahren. "Ohne Gespräch keine Wahl, das ist ganz einfach", sagt Linken-Chef Jan van Aken in Richtung der Union. Die wiederum lehnt Gespräche über die Richterwahl weiterhin ab und hofft, dass die Mehrheit auch unter widrigsten Umständen zustande kommt.
Es könnte also der Fall eintreten, dass die schwarz-roten Pläne keine Mehrheit finden. Oder aber AfD-Stimmen zur Wahl von Günter Spinner beitragen, den die Union vorgeschlagen hat.

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Die AfD sieht hier offenbar Potenzial, die Christdemokraten unter Zugzwang zu setzen und gegen ihren eigenen Unvereinbarkeitsschluss zu handeln. Die AfD-Fraktionsführung hat ihren Abgeordneten empfohlen, für Unions-Kandidat Spinner zu stimmen. Das soll offenbar den Druck auf die Union erhöhen, um Stimmen der Linken zu werben, was die AfD dann wieder kritisieren könnte. Am Ende wird sich nicht genau feststellen lassen, wie die Mehrheit zustande gekommen ist: Die Wahl ist geheim.
Problem 3: Eine umstrittene Personalie
Als wäre das nicht alles schon kompliziert genug, gibt es auch in der Koalition noch Redebedarf. So ist weiterhin eine der beiden SPD-Kandidatinnen umstritten: die Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf. Sie gilt vielen in der Union als zu links.
Jens Spahn, der Unionsfraktionschef, hat für die Wahl des schwarz-roten-Personalpakets geworben. Laut Teilnehmerangaben habe er in der Fraktionssitzung einen Kompromiss mit der SPD verkündet, offenbar, um internen Kritikern die Wahl von Brosius-Gersdorf zu erleichtern. Zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet.
Demnach soll die 54-jährige Juristin zwar Richterin, nicht aber Vizepräsidentin des Gerichts werden. Zum Hintergrund, grob verkürzt: Brosius-Gersdorf wäre mit ihrer Wahl eigentlich als Vizepräsidentin gesetzt gewesen, in fünf Jahren auf den Posten des Präsidenten aufgerückt.
Aus der SPD kommt sachter Widerspruch, schließlich entscheide über die Vizepräsidentschaft nicht der Bundestag, sondern Bundesrat. Allerdings signalisieren die Sozialdemokraten ihrem Koalitionspartner ein Entgegenkommen.

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"Alle drei Nominierten für das Bundesverfassungsgericht sind herausragend qualifizierte Juristen und damit fachlich exzellent für Karlsruhe geeignet", sagt Dirk Wiese dem stern. Er ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sozusagen der Fraktionsmanager, und Mitglied im Wahlausschuss.
"Über die Frage, wer Doris König letztendlich als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts nachfolgt, entscheidet aber nicht der Bundestag, sondern souverän der Bundesrat." Hier gebe es folglich keine Vorfestlegung durch den Bundestag. Und dann sagt Wiese noch: "Frau Kaufhold wäre dabei aber aus unserer Sicht eine gute Wahl."
Kostet das Brosius-Gersdorf nun den Posten als Vizepräsidentin? So oder so bleibt bei ihrer Wahl die Frage, wie viele Abweichler es in CDU und CSU geben wird. Sollte die Wahl im Bundestag scheitern, würde der Bundesrat mit der Besetzung der Richterposten betraut.
Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann warnt vor einem solchen Szenario. "Sollte die Wahl dieses Richter-Pakets im Bundestag scheitern, droht das Gegenteil von dem, was die Kritiker wollen“, hat er zur Deutschen-Presse Agentur gesagt. Niemand könne ihm die Frage beantworten, wie es über den Bundesrat gelingen solle, "noch einen einzigen bürgerlich-konservativen Kandidaten fürs Verfassungsgericht durchzusetzen". Das wäre fatal, so Hoffmann, würde es doch aus seiner Sicht bedeuten: "Das Verfassungsgericht rückt nach links, obwohl die Union die Wahl gewonnen hat."
Geht die Wahl am Freitag schief, könnte es viele Verlierer geben – vor allem die demokratische Mitte. Kommt keine Gesamteinigung zustande, also auch mit der Linkspartei, dürfte es die AfD freuen.
Die Linksfraktion hat schon angekündigt, die beiden SPD-Kandidatinnen nach Gesprächen mit den Sozialdemokraten zu unterstützen, sagte Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Dass die Union diesen Weg nicht gehe, nannte sie "höchst bedenklich": "Sie nimmt in Kauf, dass ihr Vorschlag fürs Bundesverfassungsgericht nur mit Stimmen der gesichert rechtsextremen AfD gewählt wird."
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