Die Möglichkeit zur Wehrpflicht ist Teil des Plans von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Wann könnte sie kommen? Der stern beantwortet die wichtigsten Fragen.

Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht erinnert an den Frosch im Kochtopf. Wirft man ihn in heißes Wasser, wird er versuchen zu entkommen. Setzt man ihn hingegen erst in den Topf und erhöht dann langsam die Temperatur, wird er sitzen bleiben.

Auch wenn der Frosch-Mythos sich wissenschaftlich nicht belegen lässt, so ist seine Botschaft doch einleuchtend. Übertragen auf die Wehrpflicht lautet sie: Deutschland hat zu wenige Soldatinnen und Soldaten, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Die bisherigen Versuche, durch Freiwilligkeit die Personallücke zu füllen, waren von überschaubarem Erfolg. Deshalb steht die Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht im Raum. Weil die sofortige Wiedereinsetzung aber wohl auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung (und in der SPD) stoßen würde, soll ein neues Wehrdienstgesetz das Dilemma auf Umwegen lösen.

Doch was steht im neuen Gesetz? Und was ist noch offen? Hier sind die wichtigsten Antworten:

Was steht im neuen Gesetz?

Das ist noch nicht bis ins letzte Detail klar. Der Entwurf geht in dieser Woche erst in die Ressortabstimmung. 

In einem mehr als 50-seitigen vorläufigen Entwurf aus dem Verteidigungsministerium, über den der "Spiegel" als Erstes berichtete, heißt es, dass der neue Wehrdienst auf Freiwilligkeit basieren soll. Er soll mit einer "für Männer verpflichtenden Bereitschaftserklärung und der Wiedereinführung der Musterung von vornherein aber auch verpflichtende Elemente" enthalten. Damit orientiert sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Wesentlichen am schwedischen Modell. 

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Außerdem soll es die Möglichkeit geben, die Wehrpflicht durch einen einfachen Kabinettsbeschluss "mit Zustimmung des Bundestags" wieder einzusetzen, falls es die "verteidigungspolitische Lage" erfordere und es nicht auf freiwilligem Weg gelungen sei, die Personallücke zu füllen. Das könnte dann wohl binnen weniger Tage umgesetzt werden.

Wann soll das neue Gesetz kommen?

Geplant ist derzeit, dass sich das Kabinett am 27. August mit dem Entwurf befasst, der Bundestag muss (mit einfacher Mehrheit) zustimmen. Das neue Gesetz könnte dann zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.

Kommt dann die Wehrpflicht?

Nein. Dazu würden derzeit auch die Strukturen fehlen, zum Beispiel Unterkünfte und Ausrüstung. Verpflichtend wäre ab 1. Januar lediglich, dass alle Männer, die 18 Jahre alt werden, einen Musterungsbogen ausfüllen, den sie per Post geschickt bekommen. Dies soll schrittweise auf Männer bis 25 Jahre ausgedehnt werden. Auch Frauen ab 18 erhalten den Bogen, sind aber nicht zum Ausfüllen verpflichtet. 

Ab 2027 soll es die Möglichkeit geben, verpflichtend zu mustern. Dies würde aber nicht wie früher einen ganzen Jahrgang betreffen, sondern nur einen Teil davon. 

Jungen Männern, die den Fragebogen nicht ausfüllen, drohen Sanktionen, vermutlich Geldstrafen. Ziel ist es, einen Überblick zu gewinnen, wer im Ernstfall rekrutiert werden könnte und zugleich die Aufmerksamkeit für die Bundeswehr bei der potenziellen Zielgruppe zu erhöhen.

Zugleich will Pistorius die Attraktivität eines Freiwilligendienstes erhöhen. Geplant sind eine höhere Bezahlung für Wehrdienstleistende (mehr als 2000 Euro netto) und andere Leistungen wie etwa Unterstützung bei der Unterkunft, eventuell auch die Finanzierung des Führerscheins im Zuge des Wehrdienstes.

Was wird aus dem Zivildienst?

Auch dem Zivildienst steht ein Revival ins Haus. Spätestens dann, wenn mangels ausreichend freiwillig Wehrdienstleistender die Wehrpflicht wiedereingeführt würde, käme auch wieder das Recht zum Tragen, sich dem Dienst an der Waffe zu verweigern. Schließlich heißt es im Grundgesetz Artikel 4, Absatz 3: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Und Artikel 12a, Absatz 2 besagt: "Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden." Gilt alles weiterhin. 

Mit anderen Worten: Kommt das neue Wehrdienstgesetz zum 1. Januar 2026, müssten parallel auch die Vorbereitungen für die Wiedereinführung des Zivildienstes beginnen. Für alle Fälle. Zuständig dafür wäre jedoch nicht das Verteidigungsministerium, sondern das Familienministerium. 

Was will die SPD?

Stundenlang hatte Boris Pistorius auf dem SPD-Parteitag um eine Einigung gerungen, insbesondere die Jusos hatten gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aufbegehrt. Kein Wunder: Sie vertreten die betroffene Generation. Der Kompromiss ist eine recht dehnbare Formulierung – jede Seite kann hineindeuten, was sie will.  

Man wolle "keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger", heißt es in dem Parteitagsbeschluss, "bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind." Also alles kann, nichts muss? Die einen sagen so, die anderen so – und darin liegt das Problem. Denn der Kernkonflikt scheint nicht ausgeräumt. Was also passiert, wenn irgendwann "alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung" ausgeschöpft sein sollten? Welche Maßnahmen überhaupt? Und wer definiert das? Mit anderen Worten: Früher oder später dürfte der grundsätzliche Konflikt wieder aufbrechen.

  • Wehrpflicht
  • Wehrdienst
  • Boris Pistorius
  • Bundeswehr
  • SPD
  • Bundestag

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke