Warum Politik und Gesellschaft die Auseinandersetzung mit der AfD nicht an eine Behörde delegieren dürfen – und ein Verbotsverfahren am Ende kontraproduktiv wäre.

Die AfD duldet nicht bloß Rechtsextremisten in ihren Verbänden – sie umarmt sie sogar. Sie tritt oft genug völkisch, rassistisch und reaktionär auf.

Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte Partei als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft, lässt sich über die Pauschalität des Urteils streiten. Doch so oder so gilt: Je mehr sich die AfD radikalisiert, umso mehr wird sie für eine Gefahr für das liberale Demokratiemodell der Bundesrepublik.

Trotzdem – oder deshalb – stellt die AfD inzwischen die zweitgrößte Fraktion im Bundestag. Im Thüringer Landesparlament ist sie stärkste Kraft. In manchen Umfragen lag sie zuletzt bundesweit vorn.

Das erste NPD-Verbotsverfahren scheiterte am Verfassungsschutz

Auch deshalb wird gefordert, das Gutachten des Verfassungsschutzes als Basis für ein Verbotsverfahren zu nutzten. Schließlich müsse sich die Demokratie wehrhaft zeigen, gerade aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte heraus.

Bevor ich entgegne, möchte ich drei Fragen stellen. Sollte ein Inlandsnachrichtendienst Parlamentsparteien überwachen? Sind die Kriterien für ein potenzielles Verbot erfüllt? Und was geschähe am Ende eines Verfahrens?

Der Verfassungsschutz ist jene Behörde, die einst führende Neonazis als V-Leute bezahlte und damit die rechtsextremistische Szene finanzierte. Das erste NPD-Verbotsverfahren scheiterte vor allem daran. Das zweite Verfahren wurde eingeleitet nach Bekanntwerden der NSU-Verbrechen, die auch durch das Versagen des Verfassungsschutzes ermöglicht wurden.

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Berechtigte Zweifel an Verbot der AfD

So unabhängig der Verfassungsschutz sich auch präsentiert: Als nachgeordnete Behörde der Innenministerien ist er integraler Teil des politischen Betriebs. Einst überwachte er die PDS und später die Linke, inklusive des Abgeordneten Bodo Ramelow. Die Partei hielt das völlig zu Recht für skandalös. Als Ramelow Ministerpräsident in Thüringen wurde, wurden die meisten V-Leute dort abgeschaltet.

Dass weder Bundesrat, Bundestag noch Bundesregierung bislang ein Verfahren wagten, lag weniger am fehlenden politischen Willen, sondern an berechtigten Zweifeln, ob die vom Verfassungsschutz präsentierten Belege ausreichen. Daran dürfte auch das neue Gutachten wenig ändern.

Und wenn sie doch ausreichten? Ein Verbotsverfahren zöge sich über Jahre. Am Ende stünde ein Scheitern mit verheerenden Auswirkungen oder ein Verbot, dessen Durchsetzung zu bürgerkriegsähnlichen Szenen führen könnte. Die AfD-Wählerschaft bliebe sowieso.

Ich war Beobachter im NSU-Prozess, habe Bücher über den Aufstieg der AfD geschrieben, und ich beobachte seit 2014 in Thüringen, wie Björn Höcke und seine Fraktion das Parlament vorführen, während die anderen Parteien zumeist überfordert wirken. Das gilt auch für den Verfassungsschutz: Obwohl er 2021 die Thüringer AfD als ersten Landesverband als rechtsextremistisch einstufte, fährt Höcke immer neue Rekordergebnisse ein.

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Der Versprechen einlösen: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand

Mittlerweile hat sich gezeigt, dass sich die zwischen Populismus und Extremismus oszillierende AfD weder wegvereinnahmen, wegignorieren noch wegkämpfen lässt. Und sie lässt sich auch kaum wegverbieten.

Um die AfD von der Macht fernzuhalten, müssen die anderen Parteien wieder das Versprechen dieser Demokratie einlösen: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand. Dazu gehört ausdrücklich, die Feinde der offenen Gesellschaft zu bekämpfen, im politischen Streit, mit den Mitteln des Rechts – und durch ziviles Engagement.

Der Verfassungsschutz ist nicht nur eine Behörde. Er ist eine gesellschaftliche Aufgabe. 

Erschienen in stern 20/2025
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