Im Rentenstreit innerhalb der CDU zeichnet sich keine Lösung ab. Friedrich Merz versucht, den Parteinachwuchs zur Vernunft zu bringen. Und macht manches noch schlimmer.

Vielleicht hat Bundeskanzler Friedrich Merz an diesem Samstag seinen ersten Weltrekord aufgestellt. Bisher galt ein schalldichter Raum in Redmond, etwa eine halbe Autostunde von Seattle entfernt, als leisester Ort der Welt. 

Ausgerechnet im Europapark Rust, etwa eine halbe Autostunde entfernt von Freiburg, könnten die Worte von Friedrich Merz in noch vollendeter Geräuschlosigkeit verhallt sein. 

Friedrich Merz' Antworten werden mit Schweigen quittiert

Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, ausgerichtet im Vergnügungspark, stellte sich Merz am Samstagvormittag der Rebellion seines Parteinachwuchses gegen die Rentenpolitik der Koalition. 

"Ja, ich werde mit gutem Gewissen diesem Rentenpaket zustimmen", sagt Friedrich Merz irgendwann. "Weil das der Beginn einer Debatte ist, nicht das Ende einer Diskussion."

Im Saal: erdrückende Stille. 

"Der Koalitionsvertrag ist da eindeutig: Wir starten 2031 bei 48 Prozent", sagt Friedrich Merz. "Es ist eine finanztheoretische Debatte, die da geführt wird." Die bisherigen Berechnungen würden nicht zutreffen, weil es vorher Reformen gebe. 

Ruhe.

Es dürfe keinen Unterbietungswettbewerb bei der Rente geben, warnt Merz. "Wer bietet das niedrigste Niveau an." So gewinne man keine Wahl. 

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Eine Person klatscht. Ein Versehen?

"Da hat sich so viel schon verändert, bei den Sozialdemokraten." Das sollte auch mal wahrgenommen werden, mahnt Merz seinen Parteinachwuchs. Über Tagespolitik müsse gerungen werden, aber darüber stehe Grundsätzlicheres.

Das Maß für absolute Stille kann in den Jahren nach dieser Antwort in "Friedrich Merz" angeben werden.

Merz bewältigt im Ruster Vergnügungspark einen der schwierigsten Auftritte seiner bisherigen Kanzlerschaft. Die "Junge Gruppe" hat ihm im Bundestag die Mehrheit für das Rentenpaket entzogen, viele weitere Abgeordnete haben sich inzwischen angeschlossen. Mancher spricht davon, dass inzwischen die halbe Unionsfraktion gegen das Rentenpaket steht. 

Kern des Konflikts: Die Festlegung eines um einen Prozentpunkt höheren Rentenniveaus über das Jahr 2031 hinaus. Kosten: 115 Milliarden Euro. Und so viel kann man sagen: Gelöst ist dieser Konflikt nach dem Deutschlandtag nicht. Vertagt ist er, vielleicht sogar verschärft. Der Chef der Jungen Gruppe leistet einen Schwur: "Ihr könnt Euch darauf verlassen: Wir bleiben in dieser Frage stehen", sagte Pascal Reddig in seiner Rede am Morgen. An der Rentenfrage entscheide sich die Glaubwürdigkeit der gesamten CDU. Stehende Ovationen.

Der Kanzler versucht in seiner Rede dagegen einen schwierigen Balanceakt: Er charmiert die Parteijugend zunächst, sagt, dass er inhaltlich ja voll an ihrer Seite stehe. Er wolle das Rentensystem umkrempeln. Es solle von einer auf drei Säulen gestellt werden, die mehr private und betriebliche Vorsorge erfordern. Es müsse länger gearbeitet werden, fordert Merz. Erst freiwillig, später womöglich: verpflichtend.

Gleichzeitig bittet er aber um Zustimmung für einen Rentenkompromiss. Den habe er der SPD hart abgerungen. Gleichzeitig signalisiert er, dass er zentrale Verabredungen darin anoch vor Inkrafttreten wieder einkassieren will. Auf die Spitze getrieben wird dieses Tänzeln durchs rentenpolitische Minenfeld, als er auf die Frage danach, was für die 120-Milliarden-Euro schweren Festlegungen für die Zeit nach 2031 spricht, antwortet: "Gar nichts."

Die Frage, die sich auftut: Warum sollten seine Abgeordneten dann gerade einer Festlegung per Gesetz zustimmen?

"Was erlaubt der sich?", fragt ein junger Delegierter. Mancher ist nach dem Kanzler-Auftritt regelrecht sauer. In seiner Rede blieb Merz zwar konkrete Antworten auf die Rentenfrage schuldig, richtete stattdessen aber deutliche Appelle an den CDU-Nachwuchs. "Bitte nehmt konstruktiv an dieser Debatte teil", mahnte Merz. Man dürfe nicht nur sagen, was nicht geht. Es dürfe keinen Unterbietungswettbewerb bei der Rente geben, warnte der Parteichef: "Wer bietet das niedrigste Niveau an." So gewinne man keine Wahl mehr.

Die Aussage empört viele Delegierte auch deshalb so sehr, weil Junge-Union-Chef Johannes Winkel und Junge-Gruppe-Chef Reddig seit Wochen daran arbeiten, genau diesen Eindruck nicht zu erwecken: Ihnen ginge es gerade nicht um Kürzungen, eben nicht um einen Unterbietungswettbewerb, sondern um weniger starke Erhöhungen der Rente in der Zukunft. Das ist das Mantra der beiden. "Merz bringt uns schon wieder in die Defensive", schreibt ein Delegierter per SMS.

Ideen, so der Eindruck im Saal, habe doch gerade die Junge Union längst geliefert. Im Leitantrag für den Deutschlandtag wird ein Stopp der Beitragserhöhungen in Sozialversicherungen gefordert sowie eine Koppelung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung. Ab 2031 soll nach Vorstellung der JU bei einem Anstieg der Lebenserwartung um ein Jahr die Regelaltersgrenze um neun Monate steigen. Damit würde sich das Einstiegsalter alle zehn Jahre um ein gutes halbes Jahr erhöhen. Gleichzeitig soll es Härtefallregeln geben für Menschen, die nicht fit genug sind, bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten. Intern hat die Junge Gruppe längst Kompromissvorschläge für die Zeit nach 2031 vorgelegt.

Showdown beim Deutschlandtag Junge Union hält Druck auf Merz im Rentenstreit aufrecht

Mancher spricht schon von einem Bruch zwischen Merz und seinen einstigen Fans. Merz hat eine Lösung des Konflikts mit seinem Auftritt nicht unbedingt vereinfacht. Dabei drängt die Zeit. Das Rentenpaket müsste noch in der ersten Dezemberwoche in den Bundestag kommend, damit es kurz vor Weihnachten verabschiedet werden kann. Ab 1. Januar 2026 soll schon die neue Aktivrente gelten. Ein Verschieben wäre mindestens peinlich. Und ein weiteres Versprechen wäre gebrochen.

Knicken die Jungen einfach ein? Dafür spricht derzeit wenig. Wie selbstbewusst die Junge Union auftritt, zeigte sich nur in den provokanten Fragen an den Kanzler. Schon am Vorabend hatte JU-Chef Winkel eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der auf die breite Unterstützung für den Rentenaufstand hinwies. "Von Handelsblatt bis Heute Show", sagte Winkel. "Und bis hin zur Seniorenunion." 

Ein Hauch von Drohung

Winkel schickte eine Mahnung an Merz, die fast wie eine Drohung klang: "Ohne die Junge Union wäre Friedrich Merz nicht Parteivorsitzender und ganz bestimmt nicht Kanzlerkandidat geworden", sagte er. Sein Stellvertreter Florian Hummel erklärte, dass die Zeiten vorbei seien, in denen die Unionsfraktion der Abnickverein der Bundeskanzlerin gewesen sei. Rumms.

Apropos Angela Merkel. Unter der Altkanzlerin hätte es angesichts der fehlenden Parlamentsmehrheiten für das Rentenpaket vor dem Deutschlandtag womöglich Beruhigungsversuche gegeben, vielleicht hätte sie oder einer ihrer Emissäre sogar mal angerufen bei dem ein oder anderen Akteur. 

Vor diesem Deutschlandtag dagegen war zu hören: Wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir wissen nicht, wo der Kanzler wirklich steht. Man lasse sich überraschen, werde ihn höflich empfangen, hieß es. Wie herzlich der Abschied gerate, liege ganz an ihm. 

"Wir sind in die Sommerpause mit einer dämlichen Debatte über eine Richterwahl gegangen", mahnte Friedrich Merz zum Ende seiner Rede. Die ersten Erfolge der Regierung in der Steuer- und Migrationspolitik seien dahinter untergegangen. "Ich habe den Kollegen in Regierung und Fraktion gesagt: Das wird sich bitte nicht wiederholen."

Unruhe in der Koalition Wie konnte der Streit so außer Kontrolle geraten?

Zurzeit läuft allerdings vieles darauf zu: Die einmal gefundene Einigung mit der SPD könnte wieder an der Unionsfraktion scheitern. Die Folgen diesmal? Unabsehbar.

Ja, ein echter Eklat blieb an diesem Vormittag aus. Buhrufe gab es nicht für den Kanzler. 

Aber diese Stille nach seinen Antworten, die sprach für sich.

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