Noch im Oktober will die Bundesregierung in direkte Verhandlungen mit der Taliban-Regierung treten. In der afghanischen Hauptstadt Kabul soll demnach über die Abschiebung afghanischer Straf- und Gewalttäter aus Deutschland gesprochen werden, heißt es aus dem Bundesinnenministerium von Alexander Dobrindt (CSU).

„Abschiebungen nach Afghanistan müssen regelmäßig stattfinden können. Darum verhandeln wir jetzt direkt in Kabul, damit Straftäter und Gefährder künftig konsequent abgeschoben werden“, begründete Dobrindt diesen Schritt in der „Bild am Sonntag“. Demnach sollen Beamte seines Ministeriums in Kürze die Gespräche beginnen. Auch mit Syrien wolle man noch in diesem Jahr eine entsprechende Vereinbarung treffen, sagte Dobrindt der „Rheinischen Post“. Dort regiert der frühere Chef der islamistischen HTS-Miliz, Ahmed al-Scharaa.

Bisher unterhält Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban, die 2021 wieder an die Macht gekommen sind. Grund hierfür ist die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan und weitere Missachtungen der Menschenrechte durch die Islamisten. Zuletzt schob Deutschland im Juli insgesamt 81 afghanische Staatsangehörige in einer sogenannten Sammelrückführung, also einem Charterflug, ab. Die Männer seien vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und mit Straftaten aufgefallen. Im Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD auf die Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, beginnend mit Straftätern und islamistischen Gefährdern. Freiwillige Aufnahmeprogramme wolle man zudem beenden.

„Für die Union hat die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland absolute Priorität“, sagt Alexander Throm (CDU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. „Deshalb dürfen gefährliche ausländische Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft nicht wieder auf freien Fuß kommen und weiter in Deutschland leben.“ Es schade der Gesellschaft und der Akzeptanz des Asylsystems, wenn Flüchtlinge im Land, das ihnen Schutz gewehrt, Straftaten begingen.

„Um Ordnung in unserem Asylsystem zu schaffen, müssen auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien regelmäßig stattfinden können. Denn gerade aus diesen beiden Ländern kommen viele Flüchtlinge und ein hoher Anteil an Straftätern“, so Throm zu WELT. „Dazu müssen auch Gespräche mit den dortigen tatsächlichen Machthabern geführt werden, auch wenn diese nicht unsere Wertvorstellungen teilen.“ Dies habe auch die vorherige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gemacht.

Die SPD hält ein sensibles Vorgehen für richtig. „Kontakte auf technischer Ebene gibt es seit Langem und diese sind auch notwendig. Das darf keinesfalls dazu führen, dass der Kontakt zu einem Terrorregime normalisiert wird“, sagt Sonja Eichwede, stellvertretende Fraktionsvorsitzende. „Direkte Beziehungen auf Regierungsebene mit dem Terrorregime in Kabul sollte es nicht geben.“

Abschiebungen nach Syrien oder eben Afghanistan solle es geben, insbesondere von Straftätern und Gefährdern. „Neben der Frage des Vollzugs von Abschiebungen ist zu beachten, dass viele Menschen aus Syrien in Deutschland arbeiten, sich gut integriert haben und zum Erfolg unserer Gesellschaft beitragen. Sie sind weiterhin in Deutschland willkommen“, betont Eichwede.

Die AfD hält die Pläne der Bundesregierung wieder nicht für ausreichend hart. Es stehe keine „große Abschiebe-Initiative“ von Afghanen ohne Aufenthaltsstatus an, sondern ein „minimales Notprogramm“ mit der Abschiebung von Straftätern. Das sei „migrationspolitisch praktisch weniger als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.

Die Gründe für einen Schutzstatus von Syrern in Deutschland seien nicht mehr gegeben, so der AfD-Politiker. „Alle Aufenthaltsgenehmigungen, die auf diesen früheren Zuständen beruhten, sind mithin aufzuheben und die circa eine Million Syrer, die als Asylbewerber nach Deutschland kamen, abzuschieben, soweit noch nicht eingebürgert“, so Curio. Finanzielle Unterstützung solle entsprechend nicht mehr geleistet werden, sofern betroffene Syrer der Ausreise nicht nachkämen. „Deutschland kann nicht die Missachtung der Rechtslage auch noch finanziell belohnen.“

Scharfe Kritik kommt wiederum von der Linken. „Deutschland kooperiert mit einem islamistischen Terrorregime und riskiert Menschenleben“, sagt Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Noch vor wenigen Jahren sei die „Normalisierung islamistischer Regime“ ein Tabu gewesen, heute finde sie statt. „Wer mit islamistischen Regimen kooperiert, macht sie international salonfähig und stärkt sie.“ Dass die Taliban auf Folter, Entrechtung von Frauen und Todesstrafe setzten, zeige, dass man ihnen nicht trauen könne. „Ein solches Terrorregime wird sich mit Sicherheit nicht an Verhandlungsziele halten. Ganz klar ist für uns: keine Deals mit den Taliban.“

Die Bundesregierung habe sich selbst eine schlechte Situation in der Debatte um Migration geschaffen. „Merz und Dobrindt stehen unter selbst verursachtem Druck. Wer sich in einen Überbietungswettbewerb mit der gesichert rechtsextremen AfD über Abschiebezahlen begibt, muss dann auch die Vertreter eines Terrorregimes verharmlosen und normalisieren“, so Özdemir zu WELT.

Die Grünen wollten sich auf WELT-Anfrage nicht äußern.

Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Gesundheitspolitik, die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet zudem regelmäßig über Antisemitismus, Strafprozesse und Kriminalität.

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