Kanzler im freien Fall – Zwei Drittel der Deutschen vertrauen Merz nicht
Die Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) wird Mitte nächster Woche 100 Tage im Amt sein. Wie bewertet die Bevölkerung das Schaffen von Schwarz-Rot und insbesondere des Regierungschefs? Das Bild im Deutschlandtrend ist eindeutig: überwiegend negativ.
Wie die repräsentative Erhebung von Infratest Dimap im Auftrag von ARD- „Tagesthemen“ und WELT zeigt, ist die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierung im Vergleich zum Juli geradezu eingebrochen. Aktuell sind 29 Prozent mit ihr „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ (minus zehn Prozentpunkte) – das ist ihr schlechtester Wert seit Amtsantritt im Mai. Hingegen steigt der Anteil der Bürger, die „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden sind, um 15 Punkte auf 69 Prozent.
Nach Parteianhängern betrachtet, findet sich nur unter Unterstützern von CDU und CSU noch eine Mehrheit (64 Prozent), die sich „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ äußert. Anhänger aller anderen Bundestagsparteien sind mehrheitlich unzufrieden mit Schwarz-Rot; bei denen der Koalitionspartei SPD sind es immerhin 60 Prozent.
Die Demoskopen ließen zudem Eigenschaften des Kanzlers bewerten, indem sie fragten, ob die Befragten bestimmten Aussagen zustimmen. Ein für Merz brisanter Befund: Zwei Drittel der Deutschen widersprechen der Ansicht, er sei „jemand, dem man vertrauen kann“. Dass er „überzeugend“ kommuniziere, können 61 Prozent nicht teilen. Und eine Mehrheit von 56 Prozent erklärt es für unzutreffend, dass der Kanzler „das Land gut durch eine Krise führen“ kann. Das Gegenteil finden 29 Prozent, das sind zehn Punkte weniger als in einer Infratest-Erhebung vor der Bundestagswahl im Februar. Dass Merz „dem Amt des Bundeskanzlers gewachsen“ sei, bejahen 42 Prozent – 50 Prozent vertreten die gegenteilige Sicht.
Unter Unions-Anhängern fallen die jeweiligen Zustimmungswerte für Merz deutlich besser aus, wobei gerade der Zuspruch für seine Krisenmanagement-Qualitäten (68 Prozent) und seine Vertrauenswürdigkeit (63) auch in dieser Gruppe ausbaufähig scheint.
Und wie kommt Merz‘ Agieren auf zentralen Politikfeldern an? Eine Mehrheit von 52 Prozent findet es „gut, wie klar sich Friedrich Merz gegen irreguläre Zuwanderung“ ausspricht. Allerdings lag dieser Wert kurz vor der Bundestagswahl noch um zwölf Prozentpunkte höher.
Der Aussage, dass der Kanzler „deutsche Interessen international und in der EU erfolgreich“ durchsetze, stimmen lediglich 35 Prozent zu – eine Mehrheit von 52 Prozent vertritt die gegenteilige Sicht. Vom Kurs des Kanzlers im Ukraine-Krieg äußern sich 34 Prozent überzeugt; 57 Prozent lehnen sein Vorgehen ab. Auch in diesen Fragen bekommt Merz von der eigenen Anhängerschaft deutlich mehr Zuspruch als von allen Befragten; seine Ukraine-Politik tragen aktuell 57 Prozent der CDU/CSU-Unterstützer mit.
Die deutliche Kritik am politischen Handeln des Kanzlers spiegelt sich auch darin wider, dass er im Ranking der Zufriedenheit mit Spitzenpolitikern abstürzt – er verliert zehn Punkte im Vergleich zum Vormonat und kommt noch auf 32 Prozent. 65 Prozent der Befragten sind mit seiner Arbeit hingegen „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden. Größer ist die Unzufriedenheit nur mit AfD-Chefin Alice Weidel (68 Prozent, Zustimmungswert: 24).
Deutlich beliebter als Merz ist CSU-Chef Markus Söder: Bayerns Ministerpräsident ist mit einem Zufriedenheitswert von 38 Prozent populärster Unionspolitiker in der Erhebung – wobei eine Mehrheit von 55 Prozent sich wenig angetan von ihm zeigt. Außenminister Johann Wadephul (CDU) kommt auf 31 Prozent, SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil auf 30.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) führt das Beliebtheitsranking mit 60 Prozent an. Seine Parteifreundin Bärbel Bas muss nach Merz die stärksten Einbußen im Vergleich zum Vormonat einstecken: Die Arbeitsministerin gibt sechs Punkte ab und liegt aktuell bei 26 Prozent – gleichauf mit Innenminister Alexander Dobrindt (CSU, minus drei Punkte). Am Ende des Rankings finden sich Linke-Chef Jan van Aken (14 Prozent) und Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge (13).
Auch die Sonntagsfrage hält für die Union Unerfreuliches bereit: Im Vergleich zum Juli sinkt sie wieder unter die 30-Prozent-Marke – mit drei Punkten Verlust kommen CDU und CSU auf 27 Prozent. Die AfD hingegen legt einen Punkt auf 24 Prozent zu. Die Werte von SPD (13 Prozent), Grüne (zwölf) und Linke (zehn) bleiben konstant.
Rente zukunftssicher machen? Kaum Vertrauen vorhanden
Einen Schwerpunkt bildet in der August-Erhebung die Sozialpolitik, genauer: die Bereiche Rente, Pflege und Krankenversicherung. Und auch hier zeigt sich: Die Bevölkerung traut ihrer Regierung nur in sehr begrenztem Maße zu, diese Sicherungssysteme zukunftssicher aufzustellen.
Aktuell sehen 49 Prozent Bedarf für eine „grundlegende Reform“ der gesetzlichen Rentenversicherung, während 36 Prozent „gezielte Anpassungen“ wünschen. Nur elf Prozent finden: Alles „sollte so bleiben“, wie es ist.
Ob sie „Vertrauen“ hätten, „dass die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen einleitet“, um die Rentenversicherung „zukunftssicher“ zu machen, verneinen 81 Prozent der Befragten. Bemerkenswert: Auch unter Anhängern der Koalitionsparteien ist dieses Vertrauen gering (Union: 34 Prozent, SPD: 33 Prozent).
Ein ähnliches Bild ergibt sich mit Blick auf die gesetzliche Pflegeversicherung und die Krankenversicherung: 42 beziehungsweise 44 Prozent plädieren für eine Grundsatzreform, 43 beziehungsweise 39 Prozent für „Anpassungen“. Vom Status quo ist jeweils nur eine kleine Minderheit von neun beziehungsweise 13 Prozent überzeugt. Und auch hier zeigt sich: Das Vertrauen in die Regierung Merz, die Pflege- und die Krankenversicherung fit für die Zukunft zu machen, ist kaum vorhanden – 75 beziehungsweise 72 Prozent haben es nach Eigenauskunft nicht.
Danach gefragt, ob sie sich selbst im Pflegefall „finanziell ausreichend abgesichert“ fühlten, um sich eine „gute Versorgung leisten zu können“, geben 65 Prozent an: Dies sei nicht der Fall. In einer Studie im Auftrag des SWR im Mai 2018 lag dieser Wert noch um 18 Punkte höher. Für „ausreichend abgesichert“ erklären sich aktuell 27 Prozent (minus 20 Punkte).
Schließlich fragten die Demoskopen auch die Ansichten der Deutschen zum Gaza-Krieg ab. 72 Prozent der Bürger machen sich demnach „große Sorgen“ um die israelischen Geiseln, die von den Hamas-Terroristen gefangen gehalten werden. Zuletzt veröffentlichten die Islamisten ein erniedrigendes Propaganda-Video, in dem der aufgrund von Hunger ausgemergelte Israeli Evyatar David zur Schau gestellt wurde.
Zwei Drittel der Befragten vertreten mit Blick auf die humanitäre Situation der Palästinenser im Gaza-Streifen die Ansicht, dass die Bundesregierung „größeren Druck auf die israelische Regierung ausüben“ sollte, um den jüdischen Staat „dazu zu bewegen, sein Vorgehen im Gaza-Streifen zu ändern“. 47 Prozent finden demnach, „die Bundesregierung tut zu wenig für die Menschen im Gaza-Streifen“.
Der Aussage, dass Deutschland „aufgrund seiner Geschichte eine größere Verantwortung für den Schutz Israels als andere Länder“ habe – gemeint ist der Massenmord an Europas Juden durch die Nationalsozialisten –, stimmen 31 Prozent zu. 62 Prozent lehnen diese Auffassung ab. Nach Parteianhängern betrachtet, trifft letztere Position mehrheitlich nur bei Grünen-Unterstützern auf Zustimmung (58 Prozent). Den geringsten Anklang findet diese Haltung unter AfD-Anhängern – lediglich 17 Prozent bekennen sich zu einer solchen besonderen Verantwortung.
Zur Methodik: Für den Deutschlandtrend hat Infratest Dimap vom 4. bis 6. August 1321 wahlberechtigte Bürger in 788 Telefon- und 533 Online-Interviews befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen zwei und drei Prozentpunkten.
Johannes Wiedemann ist Leitender Redakteur Politik Deutschland.
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