Der Streit über die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf als Richterin am Bundesverfassungsgericht geht in die nächste Runde. Der selbst ernannte „Plagiatsjäger“ Stefan Weber behauptet, ein Großteil der Dissertation von Brosius-Gersdorf sei aus einer Arbeit von Ehemann Hubertus Gersdorf übernommen worden.

Bei WELT TV sagte er: „Es sind 91 Stellen, die sehr eindeutig darauf hinweisen, dass eine Mitautorschaft in dieser Dissertation gegeben ist, weil diese Textparallelen auf ältere Arbeiten von Hubertus Gersdorf hinweisen. Das heißt, hier hat ein anderer Autor in die Dissertation eingegriffen.“

In den Bundestagsfraktionen scheinen die jüngsten Vorwürfe jedoch keine Änderung der Haltung zur Juristin zur Folge zu haben. Die neuen Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf bestätigen zwar Mitglieder der Unionsfraktion in ihren Bedenken gegenüber der SPD-Kandidatin für das Amt einer Richterin am Bundesverfassungsgericht. „Die weiteren Gutachten zeigen, dass es mindestens offenen Fragen zur Korrektheit der Dissertation von Frau Brosius-Gersdorf gibt“, sagt ein Fraktionsmitglied. Besonders hoch hängen will man die neuen Gutachten allerdings nicht – und schon gar nicht eine neue Debatte um die Kandidatin beginnen.

Am liebsten würden die Abgeordneten von CDU und CSU die gesamte Kandidatensuche von Neuem starten, so ist es aus Fraktionskreisen zu hören – mit drei neuen Kandidaten. „Dass nun weitere Zweifel an der Doktorarbeit von Frau Brosius-Gersdorf öffentlich werden, ändert nichts daran, dass sie ohnehin für viele in unserer Fraktion nicht wählbar ist, denn ihre Standpunkte zu Abtreibung, Impfpflicht oder Gendern im Grundgesetz sind für eine große Zahl von Abgeordneten nicht akzeptabel“, sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter. „Die Frage, ob die Dissertation nun Passagen enthält, die abgeschrieben worden sind oder nicht mit den richtigen Quellenangaben versehen wurden, ist dabei zweitrangig.“

Ein anderer CDU-Abgeordneter meint, an der Seriosität der Arbeit von „Plagiatsjäger“ Stefan Weber bestünden ebenfalls Zweifel: „Niemand hier in der Fraktion kann beurteilen, ob an den Vorwürfen etwas dran ist oder nicht, also sollten wir sie nicht zur Entscheidungsgrundlage für ein Urteil über Frau Brosius-Gersdorf machen.“

Genau das hatte die Fraktionsspitze um den Vorsitzenden Jens Spahn (CDU) allerdings getan, als die Abstimmung über die drei Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht, darunter Frauke Brosius-Gersdorf, am 11. Juli im Bundestag im letzten Moment platzte. Die am Tag zuvor öffentlich gemachten Plagiatsvorwürfe hatten demnach endgültig dafür gesorgt, dass Brosius-Gersdorf keinesfalls eine Mehrheit in der Union erhalten würde.

Spahn korrigierte sich ein paar Tage darauf in einer Mail an die Fraktion und erklärte das Vorgehen wie folgt: „Dass dabei der Eindruck entstehen konnte, ein Plagiatsverdacht wäre unser zentrales Bedenken, hätte nicht passieren dürfen. Es war vielmehr nur der sprichwörtlich letzte Tropfen, mit dem eine Mehrheit bei der anstehenden Wahl sicher nicht mehr erreichbar war.“

Plagiatsvorwürfe hin oder her: Brosius-Gersdorf habe „null Prozent Chancen in der Union, gewählt zu werden“, sagt ein weiterer CDU-Abgeordneter. „Sie sollte ihre Kandidatur zurückziehen.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hatte zuletzt WELT AM SONNTAG zu den Wahlchancen von Brosius-Gersdorf gesagt: „Der Auftritt der Kandidatin in einer Fernseh-Talkshow (‚Markus Lanz‘; d. Red.) hat die Situation sicherlich nicht leichter gemacht.“

Die SPD hält trotz der jüngsten Ghostwriting-Vorwürfe an ihrer Unterstützung für Brosius-Gersdorf fest und verweist auf deren juristische Qualifikation. Die rechtspolitische Sprecherin Carmen Wegge sagt WELT: „Die SPD-Bundestagsfraktion hat Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf als Expertin benannt, weil sie eine anerkannte und hochgeschätzte Juristin mit besonderer Expertise ist. An dieser fachlichen Qualifikation hat sich nichts geändert, die Vorwürfe sind absurd.“

AfD erklärt neue Vorwürfe für „nicht entscheidend“

Die AfD sieht in den Vorwürfen dagegen eine Bestätigung, dass Brosius-Gersdorf nicht haltbar sei, und erneuert ihre grundsätzliche Ablehnung gegen die Juristin. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Stephan Brandner, erklärt: „Die weiteren Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf machen sie zwar noch unwählbarer, sind aber nicht entscheidend. Brosius-Gersdorf ist aus inhaltlichen Gründen und aufgrund ihrer streng links-ideologischen Positionierung in Sachen Lebensrecht, Menschenwürde, in der Kopftuchdebatte, zum Gendern und zum AfD-Verbot als Richterin am Bundesverfassungsgericht völlig ungeeignet und nicht tragbar. Ihre Positionen haben nichts mit den Werten unserer Gesellschaft gemein.“

Linkspartei und Grüne äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht.

Brosius-Gersdorf selbst lässt über ihre Anwälte mitteilen, dass die Vorwürfe haltlos seien: „Der Vorwurf eines ‚Ghostwriting‘ ist unzutreffend. Gersdorf schrieb an der Dissertation seiner Frau weder teilweise noch ganz mit. Rechtliche Schritte gegen Herrn Dr. Weber sind bereits in Vorbereitung.“ Das sieht Weber, wie er im Interview bei WELT TV sagte, gelassen: „Sollen sie machen. Wenn die Frau Brosius-Gersdorf am Ende ein Gerichtsurteil haben will, dass sie wissenschaftliches Fehlverhalten begangen hat, dann wird es ihrer Professur und ihrem Doktortitel höchstwahrscheinlich nicht förderlich sein.“

Dass der „Plagiatsjäger“ in der Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf Passagen gefunden habe, die auch in Arbeiten von ihrem Ehemann zu finden seien, sei wissenschaftlich normal, erwidern die Anwälte von Brosius-Gersdorf: „Es gehört zum wissenschaftlichen Arbeiten, die gesamte bereits veröffentlichte Literatur zu konsultieren und bei inhaltlicher Relevanz in der eigenen Arbeit zu zitieren.“

Wie sich nun zeigt, gab es gegenüber Frauke Brosius-Gersdorf in der CDU auf Landesebene seit Längerem Vorbehalte – allerdings nicht in der Bundespartei, die wusste davon bis vor Kurzem nichts. Es war die CDU Sachsen, in der Kritik an der Juristin aufgekommen war. Brosius-Gersdorf war im Juni 2015 zur ehrenamtlich tätigen stellvertretenden Richterin am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen gewählt worden. Die Grünen des Freistaates hatten sie nominiert, die CDU wählte Brosius-Gersdorf damals mit. Sie absolvierte ihre reguläre Amtszeit bis 2024. In dieser Zeit habe es keine Kritik seitens der CDU an der Juristin und ihrer Amtsführung gegeben, heißt es bei den sächsischen Grünen.

Die Punkte, die Brosius-Gersdorf am sächsischen Verfassungsgerichtshof verhandelte, unter anderem zum kommunalen Wahlrecht, gaben auch in der CDU keinen Anlass zu Beanstandungen. Anders war es dagegen bei Wortmeldungen der Juristin zu überregionalen Themen. Zum Beispiel ihrem Wirken in der Sachverständigenkommission zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die noch die Ampel-Koalition eingesetzt hatte. Das führte dazu, dass die Sachsen-CDU erklärte, Brosius-Gersdorf für eine weitere Amtszeit am Landesverfassungsgericht nicht mehr zu unterstützen, heißt es in Kreisen des sächsischen CDU-Landesvorstands.

Die Kritik an der Juristin in Sachsen erreichte allerdings nicht die Bundespartei. „Hätten wir früher einen Hinweis gehabt, dass es in einem CDU-Landesverband eines Bundeslandes, in dem Frau Brosius-Gersdorf beruflich aktiv war, Kritik an ihr gab, hätten wir uns schneller ein Bild über die Juristin machen können – dann hätte es zum Eklat der im letzten Moment geplatzten Wahl am 11. Juli vielleicht nicht kommen müssen“, sagt ein Mitglied des Vorstands der Unionsfraktion im Bundestag.

Zweifel von Vorwürfen von Stefan Weber an Brosius-Gersdorf äußerte am Dienstag der Plagiatsexperte Gerhard Dannemann von der Humboldt-Universität Berlin. Bei WELT TV sagte er: „Ich habe mir die Dokumentation angeschaut, das kommt mir sehr, sehr dünn vor. Ich würde das nicht unterschreiben, dass sich damit ein Ghostwriting nachweisen lässt.“

Die Uni Hamburg hatte im Juli mitgeteilt, die Dissertation von Brosius-Gersdorf aus dem Jahr 1997 zu überprüfen.

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