Überraschender Aufschlag: Etliche prominente Genossen fordern in einem "Manifest" Gespräche mit Russland und stellen sich frontal gegen die Pläne von Regierung und SPD-Spitze.

Mit einem als "Manifest" bezeichneten Grundsatzpapier unter dem Titel "Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung" fordern etliche prominente Sozialdemokraten eine sofortige Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. So fordern die Verfasser Gespräche mit Russland als Alternative zur Aufrüstung der Bundeswehr, wie sie Verteidigungsminister Boris Pistorius plant. Zudem drängen sie darauf, die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen zu stoppen und erklären das 5-Prozent-Ziel der Nato für "irrational". 

Das Papier, das dem stern vorliegt, durchkreuzt die Linie der Bundesregierung sowie den Kurs der eigenen Parteiführung. "In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen", heißt es in dem "Manifest". "Der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird beschworen, statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen." 

Unterschrieben ist das Papier von mehreren Dutzend prominenter Sozialdemokraten, die überwiegend, aber nicht ausschließlich vom linken Flügel stammen. Der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ist darunter, der Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, sowie weitere Bundestagsabgeordnete, Mandatsträger und der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel. 

SPD-Papier kommt zu einem heiklen Zeitpunkt

Die Verfasser des Papiers gehen mit der von den Regierungsparteien geführten Debatte hart ins Gericht. "Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland", heißt es.

Die Sozialdemokraten fordern mehrere konkrete Maßnahmen, darunter eine Wiederannäherung an Russland. Es brauche "eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten", heißt es. "Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen."

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Der Text kommt zu einem heiklen Zeitpunkt. Die SPD steht Ende Juni vor einem Bundesparteitag, auf dem über eine neue Programmatik nach der schweren Wahlniederlage diskutiert werden soll. Fast zeitgleich findet der Nato-Gipfel statt, auf dem sich Deutschland dazu verpflichten will, die Verteidigungsausgaben massiv hochzuschrauben.

Ruf nach Stopp von Stationierung neuer US-Raketen

Kritik üben die Verfasser auch an der geplanten massiven Aufstockung der Verteidigungsausgaben. "Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt es keine sicherheitspolitische Begründung. Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen."

Gefordert wird zudem ein Stopp der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland. "Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen." Nötig sei jetzt eine "schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Globalen Südens insbesondere auch zur Bekämpfung der gemeinsamen Bedrohung durch die Klimaveränderungen".

Der Außenpolitiker Ralf Stegner, einer der federführenden Autoren des Textes, sagte dem stern, Ziel des Aufschlags sei auch, die parteiinterne Debatte neu zu justieren. "Die SPD muss Teil der Friedensbewegung bleiben. Im Moment wird ungehemmt über den nächsten Landkrieg und über die Wehrpflicht gesprochen. Gegen diese Form der Militarisierung müssen wir uns als Sozialdemokraten wehren", sagte er. "Wir dürfen das nicht den Populisten überlassen. Die sind nicht für Frieden – die sind für Putin."

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