„Begründung überzeugt nicht“ – Gemeinde stemmt sich trotz Gerichtsurteil gegen Asylunterkunft
Im Streit über eine Unterkunft für Asylbewerber hat die kleine oberbayerische Gemeinde Rott am Inn vor Gericht eine erste Niederlage kassiert. Das Verwaltungsgericht München wies eine Eilklage der Gemeinde gegen den Vollzug einer vom Landkreis erlassenen Baugenehmigung ab. Die Gemeinde hat allerdings schon Rechtsmittel angekündigt.
Die Gründe, die das Gericht nennt, offenbaren, wie gravierend vor allem der Bund mit seiner Migrationspolitik in die Hoheit der Gemeinden eingreift. Denn die Entscheidung basiert wesentlich auf Bundesrecht, dass Land, Bezirksregierung und Landkreis auch gegen die Kommunen durchsetzen müssen.
Der Streit über die Unterkunft schwelt seit Monaten und beschäftigte schon mehrmals auch bayerische Ministerien und den Landtag. Der Landkreis hat im Gewerbegebiet „Am Eckfeld“ in Rott das Gelände einer früheren Lampenfabrik langfristig gemietet. Dort will er 500 Asylbewerber unterbringen. Das scheitert bisher aber am Widerstand der Gemeinde und einer Bürger-Initiative.
Die Gegner des Plans machen als Argumente geltend: Die Kapazität beim Abwasser sei jetzt schon ausgeschöpft, der Platz pro Migrant sei zu knapp bemessen, der Lkw-Verkehr einer unmittelbar benachbarten Spedition vertrage sich nicht mit so vielen Menschen auf engem Raum, und zudem sei einer der Räume mit Quecksilber belastet. Der Landkreis reduzierte daraufhin die Zahl der Migranten, die er dort unterbringen will, auf 270 und erließ die Baugenehmigung. Dagegen klagte die Gemeinde.
„Die streitgegenständliche Unterkunft wird dringend benötigt“, befindet jetzt das Gericht. Das bedeute, dass der Staat von Gesetzes wegen „bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende“ von den normalerweise geltenden Vorschriften abweichen kann. Das habe der Gesetzgeber so bestimmt, und zwar im Paragrafen 246 Baugesetz, beschlossen nach der Migrationskrise 2015 während der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU). Die Regel war 2019 ausgelaufen, dann aber bis 2027 verlängert worden.
Das Gericht ließ dabei nicht gelten, dass angesichts der Migrationspolitik der neuen Bundesregierung mit sinkenden Zahlen zu rechnen sei. Das hatte die Gemeinde Rott vorgetragen. Zu entscheiden sei allein für den Zeitpunkt, zu dem die Klage erhoben werde.
Außerdem sei keineswegs gesagt, dass mit weniger Neuankömmlingen der Bedarf für die Unterbringung sinke. „Vielmehr kann beispielsweise auch nach Durchführung eines Asylverfahrens eine Unterbringungsverantwortung fortwirken bzw. zur Vermeidung von Obdachlosigkeit erforderlich sein“, schreibt das Gericht in seinem Beschluss, der WELT vorliegt. Die „staatliche Unterbringungsverpflichtung für Flüchtlinge und Asylberechtigte“ gelte nicht nur für „den Personenkreis der Asyl-Erstantragsteller“, sondern „beispielsweise auch nach Durchführung eines Asylverfahrens“.
In dem Eilverfahren habe das Gericht „summarisch“ geprüft, wie die Chancen der Gemeinde im Hauptverfahren stünden – nämlich schlecht. Dass etwa das Abwassersystem in Rott am Limit sei, zähle als Argument nicht. Die Bauplanung des Landkreises „erhelle“, dass die „im Bestand vorhandenen Sanitäranlagen durch Sanitärcontainer ergänzt werden sollen“. Die Richter schreiben dazu, „mangels anderweitiger Angaben“ im Bauantrag sei „davon auszugehen“, dass die Container „über Frischwasser versorgt und an die öffentliche Abwasserentsorgung angeschlossen werden“ sollen.
Wegen der ausgelasteten Infrastruktur der Gemeinde habe der Landkreis schon die Zahl der Asylbewerber von 500 auf 270 gesenkt, die in der früheren Fabrikhalle im Gewerbegebiet untergebracht werden sollen. Auch in Bezug auf Lärmschutz und die Belastung eines Teils des Gebäudes mit Quecksilber seien die Anforderungen des Landkreises ausreichend.
Bei der Unterkunft werde es sich um eine „Drehscheibe“ handeln, sagen die Richter. Die Bewohner sollten sich dort „jeweils maximal drei Monate“ aufhalten und dann in andere Unterkünfte weiterziehen. Der „Bedarfsdeckung“ komme ein „höheres Gewicht zu als einer erschöpfenden Subsidiaritätsprüfung“, befindet das Gericht, weil schließlich auch der „Zeithorizont“ zu berücksichtigen sei.
„Begründung vermag nicht zu überzeugen“
In der Praxis zeigt sich andernorts, dass das nicht immer funktioniert. Auch in Unterkünften wie Turnhallen, die ausdrücklich nur als erstes Obdach in der Not gedacht sind, waren Asylbewerber in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich länger untergebracht, in Einzelfällen mehrere Jahre – etwa im oberbayerischen Miesbach. Die von der Gemeinde angebotenen Ersatzquartiere genügten auch deshalb nicht, weil sie statt der vom Landkreis beantragten 270 Plätze nur Unterkunft für „maximal 100 Personen“ umfassten, schreibt das Gericht.
Die Gemeinde Rott will die Gerichtsentscheidung nicht hinnehmen. „Eine erste juristische Prüfung hat ergeben, dass die Begründung nicht zu überzeugen vermag“, heißt es in einer Mitteilung der Gemeinde. Bürgermeister Daniel Wendrock (parteilos) kündigt darin an, Rechtsmittel einzulegen.
Das Gericht habe sämtliche sachlichen Argumente der Gemeinde „nicht ausreichend berücksichtigt“. Dazu zählten „fehlerhafter Brandschutz“, „Nachbarschaftsschutz“, Sicherheitsbedenken und Pläne für den Neubau eines Wohnviertels. Bürgermeister Wendrock spricht von einem „übermäßigen Eingriff in unsere Planungshoheit“.
Damit könnte Rott am Inn womöglich die Gemeinde sein, die den Grundsatzstreit mit den staatlichen Ebenen von Landkreis bis Bund ausfechten will. Letztlich geht es auch um die Frage, inwieweit die kommunale Selbstverwaltung eingeschränkt werden kann.
Kommendes Jahr sind Kommunalwahlen in Bayern. Der CSU, ohnehin unter Druck in den Gemeinden, könnte der Aufstand der Gemeinde Rott, angeführt von einem parteilosen Bürgermeister auf Vorschlag von SPD und einer freien Wählervereinigung, noch ungelegen kommen. Freistaat, Bezirksregierung und Landkreis sind alle CSU-geführt. Bei der jüngsten Kommunalwahl gingen bereits einige Rathäuser verloren, etwa in Kolbermoor direkt neben der Stadt Rosenheim an die SPD. Auch Kolbermoor streitet mit den höheren Ebenen über die Unterbringung von Asylbewerbern.
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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