Auf 7200 Metern begann das Problem mit seinen Schuhen. Tyler Andrews musste eine Lösung finden, wollte er so schnell wie möglich weiter empor zum Gipfel des Mount Everest. Er verzog sich in Camp 3 ins Zelt, versuchte, sein Equipment wieder bergtauglich zu machen, verlor viel Schwung und Elan. Kälte zog in seinen Körper – und dann auch noch das: „Der Wind war viel früher als vorhergesagt aufgekommen“, erzählte er dem Abenteurer-Portal „Explorersweb“.

Andrews machte sich dennoch auf. Die Reparaturen an seinem Schuh aber hielten nicht, der Wind machte ihm zu schaffen und so entschied er auf 7650 Metern: kein Risiko. Abbruch des Rekordversuchs und Umkehr zum Basislager. Seine Zehen wollte er behalten. Neuer Versuch an einem anderen Tag.

Das bedeutet auch: Der Wettkampf hat begonnen, der Showdown, das Speed-Duell am Mount Everest zwischen dem US-Amerikaner Andrews und dem ecuadorianisch-schweizerischen Extrembergsteiger Karl Egloff. Beide wollen so schnell wie möglich vom Basislager auf den mit 8848 Meter über dem Meeresspiegel höchsten Gipfel der Welt und wieder zurück. Ohne zusätzlichen Sauerstoff. Über die Route auf der Südseite des Mount Everest. In weniger als 24 Stunden.

Es geht dabei nicht darum, wer es als Erster, sondern wer es als Schnellster schafft – denn das Duell Mann gegen Mann wird getrennt voneinander ausgetragen. Erst der eine, dann der andere. Der Streaming-Anbieter Netflix, der das Duell für eine Dokumentation filmt, hatte es ursprünglich anders angedacht und einen gemeinsamen Start vorgesehen, aber Egloff war strikt dagegen.

„Das Risiko wäre viel zu groß. Der Athlet, der dem anderen hinterherläuft, könnte Fehler machen, die er nicht machen würde, wenn er alleine unterwegs ist“, sagte er dem Schweizer „Tagesanzeiger“. „An einem anderen Berg wäre das denkbar. Aber am Everest, mit den Gefahren im Khumbu-Gletscher und der Todeszone, da geht das einfach nicht.“

Dennoch, solch ein Wettbewerbscharakter steigert die ohnehin schon vorhandenen Risiken. Egloff gibt das unumwunden zu. Es könne die Situation eintreten, „dass man am Berg komplett kaputt ist, wegen der Kameras dann aber mehr gibt, als man hat“. In vielen anderen Sportarten ist dieses Verschieben von Grenzen weit über den scheinbar möglichen Punkt hinaus oft der Schritt zu herausragenden Leistungen, am Berg kann das gefährlich werden. Auch tödlich.

„Berge sind keine Wettkampfstätten“

Ein Wettrennen am Berg, wenn auch nicht zeitgleich ausgetragen – muss das sein, fragen Kritiker. Zudem in Zeiten, in denen der Massentourismus am Mount Everest Unbehagen und Kritik auslöst. 2019 sorgte etwa ein Stau auf dem Weg nach oben auf den Berg dafür, dass mehrere Teams stundenlang bei eisigen Temperaturen feststeckten. Mindestens vier der elf Todesfälle von 2024 wurden der Überfüllung zugeschrieben. Immer mehr, immer schneller, immer riskanter, immer mehr Kommerz – so der Vorwurf. Und dass zu viele Genehmigungen erteilt würden.

Es ist ein Spagat. Ausländische Bergsteiger sind für Nepal eine wichtige Einnahmequelle, alleine die Aufstiegsgebühr der mehr als 800 Bergsteiger für den Everest brachte der Staatskasse im vergangenen Jahr mehr als vier Millionen Dollar.

Seit vergangener Woche, als acht nepalesische Bergsteiger den Gipfel erklommen und damit die Route für etliche zahlende Bergsteiger öffneten, hat die Saison am Everest wieder begonnen. Dass die Route etwas früher geöffnet wurde als zuletzt, entspringt der Hoffnung, die „Anzahl der Bergsteiger besser zu bewältigen und den Verkehr zu verringern“, sagt Bergsteigerin Purnima Shrestha. Für die Zeit bis Anfang Juni hat Nepal bereits 456 Aufstiegsgenehmigungen erteilt. Die beiden Kontrahenten des Speed-Duells inklusive.

Hätte ihm vor einiger Zeit jemand von diesem Showdown erzählt, Egloff hätte abgewinkt. „Ich hätte mich ausgelacht: Berge sind keine Wettkampfstätten“, sagt der 44-Jährige. Längst sind sie allerdings dazu geworden. Schließlich ist auch jeder Rekordversuch eine Art Wettkampf, auch ohne Duell.

Als die Zweikampf-Idee an ihn herangetragen wurde, das erzählte Egloff dem Portal „Watson“, sei er zuerst sehr skeptisch gewesen: „Das ist kein Fußball und kein Kampfsport.“ Als Netflix aber auf seine Bedingungen einging – unter anderem darauf, dass die zwei Kontrahenten nicht gemeinsam starten –, sagte er zu. Erstmals trafen sich Egloff und Andrews dann im Februar, als ein erster Teil der Dokumentation gefilmt werden sollte.

Bergführer vs. Langstreckenläufer

Da ist also Egloff, 44, in Quito geboren und aufgewachsen, Sohn einer Ecuadorianerin und eines Bergführers aus der Schweiz. Durch seinen Vater kam er früh mit der Bergwelt in Berührung, ist selbst Bergführer, Bergsteiger, war Mountainbike-Profi und Bergläufer. Und entdeckte irgendwann das Speed-Bergsteigen für sich. Er verfolgt das Ziel, die sieben höchsten Gipfel aller Kontinente in Rekordzeit zu besteigen und hält bereits die Bestmarken am höchsten Berg Afrikas (Kilimandscharo), Europas (Elbrus), Nordamerikas (Denali) und Südamerikas (Aconcagua).

Andrews, 35, hingegen hat seine sportliche Heimat im Langstreckenlauf und eine Marathon-Bestzeit von 2:15:52 Stunden zu Buche stehen. 2019 änderte sich sein Fokus hin zu Ultramarathons, Trailrunning und Berglaufen. Bergsteigen folgte als Letztes. Auch er hält einige Speed-Rekorde am Berg.

Den ursprünglichen Plan, auf der Nordseite den Gipfel zu erklimmen, änderten die beiden schon vor Längerem, da dort keine Besteigung ohne zusätzlichen Sauerstoff erlaubt ist – ein Aspekt, der ihnen jedoch wichtig war. Man wolle „ganz natürlich, ohne zusätzlichen Sauerstoff und andere Hilfsmittel“ die Herausforderung meistern, weshalb sich beide auch vor und nach der Besteigung einem Dopingtest unterziehen.

Wer der Favorit ist? Schwer zu sagen. „Auf der Südseite ist die Distanz kürzer, der Aufstieg steiler und im Khumbu-Gletscher haben wir technische Passagen“, analysiert Egloff. „Für Tyler ist der Gletscher ein Nachteil. Für mich als Bergführer ein Vorteil, das ist mein Gelände.“ Zwischen Camp 1 und Camp 3, so schätzt er, wird allerdings der Amerikaner schneller sein. Andrews wird es dieser Tage erneut versuchen.

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