In der Niederlage soll sich Größe zeigen, vor allem, wenn die Niederlage besonders bitter war. Insofern war die Vorausetzung günstig. Am späten Abend des 16. April trat Vincent Kompany in der Gästekabine des San Siro vor seine Spieler. Der große Traum der Bayern vom „Finale dahoam“ war gerade geplatzt, die Mannschaft war im Viertelfinale der Champions League gegen Inter Mailand ausgeschieden. Kompany wusste: Dieser Moment hätte leicht ein Kipppunkt sein können.

Doch es gelang ihm, der tiefen Enttäuschung etwas entgegenzusetzen. Er fand die richtigen Worte, vor allem aber traf er den richtigen Ton. „Wir wollen in einem Monat die Meisterschaft gewinnen. Wir wollen in zwei Monaten zur Klub-WM und gewinnen. Und wir haben in vier Monaten schon wieder das erste Champions-League-Spiel – und dann wollen wir die Champions League gewinnen“, erklärte der Trainer des FC Bayern damals den Profis, die mit hängenden Köpfen vor ihm saßen. Kompany soll diese Sätze nicht herausgeschrien haben, sondern er soll sie ruhig und bedacht ausgesprochen haben. Er wird ohnehin nicht oft laut.

Drei Tage später siegten die Bayern 4:0 in Heidenheim. Vier Wochen später war die Meisterschaft perfekt. Sie wurde am vergangenen Sonntag, als Titelverteidiger Leverkusen in Freiburg nicht gewinnen konnte, auf dem Sofa und dann im Nobellokal „Käfer“ begossen. Am Samstag darauf kehrt nach dem Heimspiel gegen Gladbach die Schale wieder zurück nach München. Damit hat sich der erste – allerdings auch leichteste – Teil von Kompanys Prophezeiung erfüllt. Doch dabei will es der ehrgeizige Belgier nicht belassen. „Ich habe in meiner Karriere schon viel gewonnen, aber bei mir galt immer das Motto: Du musst jeden Titel wie den ersten feiern“, sagte der 39-Jährige.

Damit kennt er sich aus: Als Innenverteidiger gewann er mit dem RSC Anderlecht zwei Meisterschaften, mit Manchester City gleich vier. Als Trainer wurde er mit dem FC Burnley Zweitligameister. Da muss, so sein Anspruch, noch deutlich mehr kommen. „Es ist vielleicht nicht nur der Bundesligatitel, sondern ein Anfang. Das motiviert uns für die Zukunft“, erklärte er.

In einer Reihe mit Lattek und Co.?

Kompany wird von der Aussicht getrieben, eine Ära beim FC Bayern zu gestalteten – eine, die an die erfolgreichen Epochen großer vergangener Trainer erinnert: Udo Lattek, Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes, Pep Guardiola. Besonders Guardiola wird in diesen Tagen oft erwähnt – weil es Parallelen zwischen ihm und Kompany gibt. Kompany spielte im Herbst seiner Karriere noch drei Jahre unter dem Katalanen in Manchester, er ist für ihn ein Role-Model.

Der Fußball, mit dem die Bayern nach zwei Spielzeiten voller Irrungen und Wirrungen wieder zu sich gefunden haben, war zunächst gnadenlos offensiv – viel zu offensiv, wie die Kritiker relativ schnell bemängelten. Kein Team presste höher als Bayern, die Abwehrspieler schoben sich extrem weit nach vorn. Das sorgte in der Bundesliga für Spektakel und Siege – gegen internationale Topmannschaften in der Champions-League-Vorrunde aber auch für Niederlagen, teilweise sogar für hohe. In Barcelona verloren die Bayern 1:4.

Rückschläge ja, aber keine Krisen

„Die Schlüsselmomente sind immer die, die schwierig sind“, erklärte Kompany und verwies darauf, wie seine Mannschaft sich immer dann, wenn sie scheinbar am Kulminationspunkt war, neu erfand. Nach der Niederlage in Barcelona folgten sieben Spiele ohne Gegentor. Auch nach dem 0:3 in Rotterdam und nach dem Ausscheiden gegen Inter zeigte das Team überzeugende Reaktionen – auch wenn dies in der Königsklasse, die der FC Bayern so gern im eigenen Stadion gewonnen hätte, nicht mehr möglich war.

Dennoch: Im Gegensatz zu den Bayern von 2023/2024 ließen es die Stars in 2024/2025 nicht zu, dass aus Rückschlägen Krisen wurden. Auch weil Kompany nicht dogmatisch an seiner Spielidee festhielt, sondern den Umständen entsprechend reagierte. Bayern spielte gegen Saisonende zwar nicht besser als in der Hinrunde, aber cleverer und kontrollierter.

Es hat sich etwas grundlegend geändert bei Deutschlands Vorzeigeverein – und dies hängt vor allem mit dem Wirken eines Trainers zusammen, der so etwas wie der letzte Strohhalm für die Sportliche Leitung war. Es ist noch kein Jahr her, da drohten sich die Münchener zur Lachnummer zu machen. Die Suche nach einem Nachfolger für Thomas Tuchel geriet zur Posse. Ob von Xabi Alonso, Julian Nagelsmann, Ralf Rangnick oder anderen – der damals neue Sportvorstand, Max Eberl, holte sich einen Korb nach dem anderen ab. Jede Absage wurde transparent – sogar die, die er von Tuchel bekam, bei dem er in seiner Verzweiflung tatsächlich erneut vorstellig geworden war. Eberl dürfte in den vergangenen Monaten so manches Stoßgebet gen Himmel geschickt haben, dass sich Tuchel von ihm nicht mehr zu einer Rückkehr bewegen ließ.

Denn Kompany war das, was die Mannschaft benötigte – und der aufgewühlte Verein, dem die Begleitumstände der Trennung von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic noch in den Knochen steckte, auch. „So richtig hat seit Pep Guardiola keine Trainer-Kader-Mischung mehr nachhaltig zusammengepasst“, sagte Thomas Müller. In der zu Ende gehenden Saison habe es endlich wieder „klick gemacht“ – acht Jahre nach Guardiolas Abgang. „Dieses komplett harmonische Bild, das wir in dieser Saison wieder gesehen haben, die Einheit zwischen Trainer, Mannschaft und Verein – das war vorher nie so richtig da“, so der Routinier bei Bundesliga.de. Müller muss es wissen: Er hat in seinen 17 Profijahren 13 Trainer kommen und gehen sehen, inklusive Interimslösungen und des doppelten Jupp Heynckes.

Wie hat Kompany das geschafft? Mit Arbeit und vor allen Dingen mit einer Art, die sich grundlegend von der seiner unmittelbaren Vorgänger unterscheidet. Er ist niemand, der sich an Führungsspielern reibt, wie es Niko Kovac getan hat. Oder der mit der Führung über Kreuz liegt, wie es bei Hansi Flick und Salihamidzic der Fall war. Vom fußballerischen Ansatz ist Kompany jedoch am ehesten mit Flick zu vergleichen.

Kompany weiß auch, was von ihm erwartet wird – und was nicht. Er ist weit davon entfernt, seine Kompetenzen zu überschreiten, wie es Nagelsmann tat, als er sich Themen äußerte, die ihn – zumindest aus Sicht der nach wie vor einflussreichen Granden Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß – nichts angingen. Vor allem aber hat er so gar nichts von der Egozentrik eines Tuchel. So hat ausgerechnet ein Trainer, der als Verlegenheitslösung galt, den Klub – so gut es geht – geeint. Damit sichert Kompany auch dem Mann, der ihn geholt, seine Position: Eberl.

Die Voraussetzungen, dass die Bayern auch international wieder angreifen können, sind deutlich besser als vor einem Jahr. Vor allem die Spielweise entspricht wieder dem, was der Mannschaft liegt. Sie spielt mutig und hat mit Abstand die meisten Torchancen aller Bundesligateams kreiert. Mit Harry Kane, Jamal Musiala, Leroy Sané und Michael Olise haben gleich vier Spieler zweistellig getroffen – das kann kein anderes Team aus einer der fünf stärksten europäischen Ligen vorweisen.

Es gibt allerdings Baustellen, auf die Kompany nur bedingt Einfluss hat: Wie wird sich die Hierarchie nach Müllers Abschied verändern? Genügen zwei Weltklassespieler mit Kane und – potenziell – Musiala? Kommt die dringend benötigte Verstärkung für die Defensive? Gibt es überhaupt eine ernsthafte Chance im Bieterwettbewerb um Florian Wirtz? Das Gehaltsvolumen des Kaders ist extrem hoch und der Spielraum – darauf hat Hoeneß im Interview mit WELT AM SONNTAG hingewiesen – längst nicht mehr so groß wie in den vergangenen Jahren.

Die kommende Saison wird zeigen, ob Kompany das Zeug hat, ein großer Bayern-Trainer zu werden. Auf eines wird sich verlassen können: auf die Loyalität seiner Spieler. Denn gibt er ihnen das Gefühl, dass sie größer sind als alle anderen im Verein – und als er selbst. „Man sagt natürlich: Ich habe gewonnen“, erklärte er: „Aber ich allein gewinne nichts. Es sind die Spieler.“

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