Xabi Alonso musste das tun - und geht ins Risiko
Der letzte Vorhang in diesem zermürbenden Theater ist gefallen: Xabi Alonso verkündet doch noch vor seinem letzten Heimspiel, dass er Bayer Leverkusen verlassen wird. Der Schritt ist nachvollziehbar. Auch wenn das, was wohl kommt, ein großes Risiko birgt.
Es wäre schon merkwürdig gewesen, wenn an diesem Freitag nichts passiert wäre. Wenn Bayer 04 Leverkusen in das letzte Heimspiel der Saison an diesem Sonntag gegen Borussia Dortmund (15.30 Uhr bei DAZN und im ntv.de-Liveticker) mit der unausgesprochenen Gewissheit gestolpert wäre, dass Trainer Xabi Alonso den Klub verlassen wird. Alles hatte seit Wochen, seit Monaten darauf hingedeutet. Und als die Zeitung "Marca" der Welt am Freitag ihr Titelblatt entgegenwarf, mit der frohen Kunde, dass der 43-Jährige Real Madrid übernimmt und einen Vertrag bis 2028 unterschreibt, da war endgültig nichts mehr aufzuhalten gewesen.
Nun bekommen Bayer Leverkusen und ihr Trainer doch noch das emotionale Ende, das sie sich verdient haben, seit Oktober 2022, seit Xabi Alonso begann, eine unglaubliche Erfolgsgeschichte zu schreiben. Er hatte Bayer die quälenden Fesseln der Vergangenheit abgeschlagen, als er sie im vergangenen Sommer zum Meister machte. Die ewige Last des "Vizekusen"-Leidens war mit einem donnernden Schlag auf dem harten Beton unterm Bayerkreuz zerbrochen. Durch ganz Europa war der Knall der Erleichterung zu hören. Leverkusen hatte nicht nur einen Titel gewonnen, sie waren als erste Mannschaft in der Bundesliga eine Saison nicht zu schlagen gewesen.
Fußball-Europa konnte nur noch staunen
Der mit sich selbst beschäftigte FC Bayern war entthront, Bayer tanzte. Und entwickelte dabei eine Kondition, über die man Woche für Woche nur staunen konnte. Erst wenn der DJ die letzten Tracks vor dem Licht auflegte, schien Leverkusen so richtig freizudrehen. Unzählige Spiele wendeten die Männer von Xabi Alonso in langen und sehr langen Nachspielzeiten. Das brachte der Werkself deutlich mehr schmeichelnde Beinamen ein als das so ungeliebte "Vizekusen". Bayer war plötzlich "Late-Night-kusen" oder "Laterkusen".
Es war eine Reise, die nicht enden wollte. Obwohl jeder wusste, dass sie enden wird. Dieses Niveau konnte die Mannschaft niemals halten. In der Besessenheit, die Saison ohne Niederlage zu beenden, wuchs das Team stets über sich hinaus. So viele Spieler, die noch keine großen Titel gewonnen hatten, waren bereit, alles und noch viel mehr aus sich herauszuschrauben, um das Historische möglich zu machen. Und wäre Atalanta Bergamo im Finale der Europa League nicht zu wachsam gegen das ausgelaugte Bayer gewesen, es wäre die wirklich perfekte Saison geworden.
Was hätte in dieser folgenden Spielzeit noch kommen können? Ja, der Triumph in der Champions League. Aber sonst? Der Fußball lässt nicht zu, dass sich sensationelle Geschichten immer wieder kopieren lassen. Und so geht nun eine Saison zu Ende, die gut war, aber gemessen an den neuen Maßstäben nicht sehr gut. Bayer Leverkusen war von einem allesfressenden Monster zu einem Raubtier geworden, dessen Appetit nicht mehr so ungezügelt war. Wie es weitergeht? Das weiß man nur in Teilen.
Bei Real Madrid wartet eine gigantische Aufgabe
Xabi Alonso ist nicht mehr dabei. Er hat an diesem Freitag tatsächlich seinen Abschied verkündet. Er wird zu Real Madrid wechseln. Alles andere wäre eine mittlere Sensation. Die Königlichen müssen aber, bevor sie sich offiziell bemerkbar machen, erst noch den Abgang ihrer Legende Carlo Ancelotti moderieren. Dabei soll unter anderem die Frage geklärt werden, ob er aus freien Stücken geht oder seinen Abschied als Entlassung versteht. In diesem Fall steht ihm eine Abfindung zu. Real möchte sich um die große Auszahlung offenbar winden.
So schmerzhaft dieser Salida von Xabi Alonso für Bayer und die Bundesliga ist, so nachvollziehbar ist er. Der 43-Jährige, der als Trainer noch unbeschrieben war, hat sich ein Denkmal gebaut. Niemand hatte in Leverkusen das geschafft, was er geschafft hatte. Er war dabei schnell zu groß für den Verein geworden. Wie so viele seine Spieler, die er auf dem gemeinsamen Weg besser gemacht hatte. Natürlich ist die Werkself eine Nummer in Deutschland und in Europa. Aber ins oberste Regal des Fußballs wird sie (noch) nicht einsortiert. Da stehen die Superklubs aus England, Frankreich, Spanien, Italien. Und der immer um seinen Platz als Superschwergewicht kämpfende FC Bayern. Aber in diesem obersten Regal stehen mittlerweile eben auch Alonso, Florian Wirtz, Jonathan Tah und wie sie alle heißen. Und sie haben jetzt die Chance den nächsten Schritt zu gehen.
Alonso hatte sich stets ehrlich gemacht und seine Ex-Klubs Real Madrid, FC Liverpool und FC Bayern als Sehnsuchtsorte für eine Trainerkarriere genannt. Nun tut sich ausgerechnet beim größten Klub, bei Real, die riesige Chance auf. Er übernimmt dort (wahrscheinlich) eine Mannschaft, die an Talent fast über die eigenen Füße stolpert. Die aber in einem hierarchischen Vakuum keine Stabilität gefunden hat. Ohne Toni Kroos war in dieser Saison nicht viel los. Immer gemessen an den Ansprüchen des Klubs. Maestro Ancelotti wurde auf dem Weg zum Neuaufbau eine gewisse Amtsmüdigkeit zugeschrieben.
Alonso irritiert mit Personalentscheidungen
Alonso geht nun den größten Schritt, den ein Trainer machen kann. Und er geht damit auch ins Risiko. In der Saison 2023/24 schuf er eine gigantische Fallhöhe. Er war der Mann, der für alles Lösungen fand, der offenbar nichts falsch machen konnte. Dieses perfekte Bild bekam in der laufenden Runde ein paar kleine Kratzer. Nicht mehr alle Entscheidungen waren nachvollziehbar. Und mit seinen ständigen Windungen bei den nervtötenden Zukunftsfragen tat er sich bei allem Verständnis für die Situation auch keinen Gefallen. Der überall geschätzte Gentleman hatte ein Zeitspiel angestoßen, das zermürbend und nervig war. Für alle.
Aber es waren dann vor allem die sportlichen Entscheidungen, die ihn ein wenig entzauberten und vom Sockel der Unbesiegbarkeit holten: Vor allem der Verzicht auf einen echten Neuner in den großen Spielen gegen den FC Bayern. Mit Patrick Schick und Victor Boniface hatte er gleich zwei herausragende Kräfte in seinen Reihen. Besonders Schick reagierte verärgert. Er war nicht der einzige Spieler, bei dem sich Frust im Laufes des Jahres angestaut hatte. Auch Jonas Hofmann und Robert Andrich hätten gerne mehr gespielt.
In Leverkusen gibt es, nach allem, was man weiß, keine übergroßen Diven im Kader. In Madrid dagegen schon. Mehr gigantisches Ego auf einem Fleck gibt es derzeit wohl nicht im Weltfußball. Da ist ein Vinicius Junior, ein Kylian Mbappé, ein Jude Bellingham. Und da sind noch so viele mehr. Xabi Alonsos Vorteil: Als Weltklassespieler kennt er die großen Kabinen der Welt. Er weiß wie diese Riesen ticken. Aber er hat sie noch nicht gecoacht.
Was passiert in Leverkusen?
Und was passiert in Leverkusen? Die Suche nach einem Nachfolger läuft. Erik ten Hag wird hoch gehandelt, soll aber offenbar üppige Gehaltsvorstellungen aus seiner Zeit bei Manchester United mit sich herumtragen. Cesc Fabregas soll in Gesprächen einen starken Eindruck hinterlassen haben. Der Welt- und Europameister coacht den italienischen Aufsteiger Como 1907, in dem 38 Jahre alten Spanier sollen die Bayer-Bosse ein ähnliches Potenzial wie bei Alonso sehen.
Neben der Trainerfrage umtreiben Bayer aber auch zahlreiche Kaderfragen. Abwehrchef Tah hat in aller Klarheit hinterlegt, dass er diesen Sommer endgültig weg ist. Um Florian Wirtz kommen die Einschläge aus München immer näher. Angeblich soll er sich mit dem FC Bayern über einen Wechsel einig sein. Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo, zwei Protagonisten der Alonso-Ära, haben ebenfalls schon öffentlich hinterlegt, dass sie offen für neue Reize sind. Grimaldo möchte gerne zurück in seine spanische Heimat. Das Superteam droht auf bittere Weise zu zerbrechen. Aber es soll nicht das Ende sein.
"Wir als Klub sind überaus ambitioniert und werden auch in der nächsten Saison einen Top-Trainer haben und eine Top-Mannschaft zusammenstellen", sagte Sportchef Simon Rolfes am Tag des verkündeten Abschieds von Xabi Alonso. "Im Kader wird es frischen Wind geben, wir wollen eine neue Dynamik kreieren. Viele Spieler, viele wichtige Spieler werden bleiben. Und wir werden auch gute Spieler dazuholen." Aber erstmal Abschied nehmen, am Sonntag.
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