Schwimmen wird häufig als der gesündeste Sport beschrieben. Ist dem wirklich so? Die Sportmedizinerin Sibylle Matter Brügger ist Leitende Ärztin im Sport Medical Center Medbase Bern Zentrum sowie Chief Medical Officer beim Schweizer Schwimm- und Triathlonverband. Die ehemalige Top-Triathletin und Olympia-Teilnehmerin im Gespräch.

Frage: Frau Matter Brügger, ist Schwimmen wirklich der gesündeste Sport?

Sibylle Matter Brügger: Es ist eine von mehreren sehr gesunden Sportarten. Schwimmen ist ein Ganzkörpertraining, zudem macht man etwas für die Ausdauer und für die Koordination. Schwimmen eignet sich für fast alle Menschen, sowohl mit sehr leichtem als auch sehr schwerem Körpergewicht. In der Schweiz kann man an den meisten Orten schwimmen gehen, man kann es also ganzjährig betreiben.

Frage: Als ehemalige Triathletin können Sie das gut vergleichen mit Laufen und Radfahren: Ist Schwimmen medizinisch gesehen die „bessere“ Sportart?

Matter Brügger: Ich sehe das Schwimmen eher in Kombination mit anderen Ausdauersportarten. Aber bei Gelenkbeschwerden zum Beispiel eignet sich Schwimmen besonders gut, weil man im Wasser eine kleinere Belastung diesbezüglich hat.

Frage: Für Sportmuffel gilt beim Schwimmen der Einwand „Ich habe Gelenkprobleme“ also nicht.

Matter Brügger: Die Ausnahme bilden Schulterbeschwerden. Aber es gibt ja verschiedene Schwimmstile. Gerade im Hobbybereich ist Brustschwimmen auch mit Schulterproblemen möglich, während Kraulen dann problematisch sein kann. Es gilt aber: Man findet immer Varianten, die funktionieren.

Frage: Was sollten unsportliche Menschen oder solche mit koordinativen Problemen als potenzielle Schwimmer grundsätzlich beachten?

Matter Brügger: Für sie macht ein Einführungskurs Sinn, damit man über die gewissen Stile und Techniken aufgeklärt wird. Schwimmen macht grundsätzlich mehr Spaß, wenn man die richtige Technik beherrscht. Wichtig ist auch, die eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen und keine gesundheitlichen Risiken einzugehen.

Frage: Was empfehlen Sie?

Matter Brügger: Nicht von Anfang an ins tiefe Wasser gehen. Sich je nach Jahrgang und medizinischer Vorgeschichte zunächst vom Vertrauensarzt untersuchen lassen. Schwimmen kann zum Beispiel bei Herzproblemen gefährlich werden. Generell ist die Sicherheit ein wichtiger Aspekt: Bin ich fit genug, um auch alleine im Wasser schwimmen gehen zu können? Dies ist insbesondere in freien Gewässern wie Seen oder Flüssen wichtig.

Frage: Welches ist das ideale Einstiegsalter?

Matter Brügger: Zwischen vier und zehn Jahren wäre es ideal, denn Kindern fällt es viel leichter, in Schwimmkursen die richtigen Grundtechniken zu erlernen. Diese helfen einerseits, die eigenen Fähigkeiten besser einzuschätzen, andererseits sind sie auch für den Schwimmunterricht in der Schule von Vorteil, aber auch in der Freizeit, wenn man mit Kollegen schwimmen geht.

Frage: Was bringt mir das Schwimmen, wenn ich es erst mit 50 oder 60 Jahren entdecke?

Matter Brügger: Richtig zu schwimmen, fangen viele Leute erst in diesem Alter an. Schwimmen kann bei vielen Beschwerden einen positiven Einfluss haben. Zum Beispiel bei rheumatischen Erkrankungen. Oder bei Knie- oder Hüftarthrose, die problemlos Kraulen und den Beinschlag erlauben. Bei Rückenbeschwerden kommt es auf die Technik an: Brustschwimmen eignet sich dann weniger, Kraulschwimmen mit korrekter Technik hingegen schon. So oder so empfehle ich auch im höheren Alter, am Anfang einen Kurs zu absolvieren.

(Schwimmen trainiert u.a. auch das Herz-Kreislauf-System, Beweglichkeit und Koordination. Belastungen für die Gelenke werden aufgehoben, was Schwimmen auch für Menschen mit Übergewicht attraktiv macht, d. Red.)

Frage: Ist eine Topausrüstung bloß etwas für den Wettkampf?

Matter Brügger: Schwimmen gehen kann man auch mit kleinem Budget. Wichtig ist, dass alles bequem ist. Wenn es nicht nur um den Spaß im Wasser geht, sondern wirklich ums Schwimmen, empfehle ich eng anliegende Badekleider, um für möglichst wenig Widerstand zu sorgen.

Frage: Was ist für Anfängerinnen und Anfänger wichtiger: Kraft oder Technik?

Matter Brügger: Technik ist viel wichtiger, da man mit geringerem Kraftaufwand viel schneller ist. Kraft alleine hilft beim Schwimmen nicht.

Frage: Wie wichtig ist das richtige Atmen beim Kraulen? Reicht es, wenn ich mich dabei wohlfühle?

Matter Brügger: Wichtig ist, dass man nicht die Atmung anhalten muss oder eine Pressatmung ausführt. Man sollte ohne großen Druck unter Wasser aus- und dann in der kurzen Zeit über Wasser einatmen. Diese Koordination ist am Anfang sehr schwierig. Ich empfehle zudem, beim Kraulschwimmen das Einatmen auf beiden Seiten zu lernen. Meistens hat man ja eine Seite, auf der es einem leichter fällt.

Frage: Welches sind typische Überlastungssymptome beim Schwimmen?

Matter Brügger: Regelmäßiges Kraul-, Rücken- oder Delphinschwimmen kann für Schulterprobleme sorgen. Das hat meistens mit der Disbalance zu tun, also der ungleichen Belastung der stabilisierenden Muskulatur. Mit gezielter Stärkung der betroffenen Muskulatur kann man diese Probleme aber beheben. Oft braucht es eine fachärztliche Beurteilung mit nachfolgender Physiotherapie.

Frage: Kann eine angewöhnte falsche Technik Schaden anrichten?

Matter Brügger: Ja, wenn man dabei die Schmerzgrenze ignoriert und für weitere Belastung sorgt.

Frage: Wie oft und wie lange sollte man schwimmen gehen, damit es sinnvoll ist?

Matter Brügger: Aus gesundheitlicher Sicht zählt jede Minute. Man kann zum Beispiel mit dreimal eine Viertelstunde pro Woche anfangen und danach auf dreimal 45 Minuten ausbauen. Es ist besser, mehrmals regelmäßig kürzer zu schwimmen als einmal lange.

Frage: Wer ewiges Hin- und Herschwimmen langweilig findet: Welche Tipps geben Sie gegen die Monotonie?

Matter Brügger: Schwimmen kann auch eine gute Methode sein, um im Kopf abzuschalten und auf andere Gedanken zu kommen. Man kann sich mit dem Wasser auseinandersetzen und versuchen, es zu spüren. Dabei muss man gar nicht die Längen zählen.

Frage: Wie wichtig sind für Hobbyschwimmer Aufwärmen und Dehnen?

Matter Brügger: Es macht Sinn, die Gelenke kurz aufzuwärmen. Sinnvollerweise macht man kurz vor dem Schwimmen ein paar Kräftigungsübungen, zum Beispiel mit einem Theraband, mit dem man die Schultern aufwärmen kann, um Problemen vorzubeugen. Dehnen ist im Hobbybereich hingegen nicht so entscheidend wie bei Spitzenathletinnen und -athleten.

Frage: Nach dem Essen sollte man nicht schwimmen. Richtig oder ein Mythos?

Matter Brügger: Es gibt Baderegeln, die auch von der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft herausgegeben werden. Es macht keinen Sinn, mit vollem Magen, der am Verdauen ist, zu trainieren. Der Körper kommt in ein Dilemma, wenn er gleichzeitig Blut und Energie für die Muskulatur und die Verdauung benötigt. Das Umgekehrte trifft auch zu: Mit Hunger sollte man auch nicht schwimmen, da das Risiko besteht, sich zu stark auszulaugen.

Frage: Zu häufiges Duschen schadet der Haut und der Gesundheit. Auch beim Schwimmen ein Thema?

Matter Brügger: Das Chlor im Schwimmbecken sollte man abwaschen, am besten duscht man darum mit Wasser ohne Chlor. Man sollte aber nicht jedes Mal auch noch Duschmittel verwenden.

Frage: Ein letzter Tipp beim Schwimmen?

Matter Brügger: Rücksicht nehmen, wenn man in einer Bahn schwimmt. Die Leute dort haben oft unterschiedliche Niveaus, das kann für Konflikte sorgen. Wenn Bahnen nach Tempo unterteilt sind, sollte man sich richtig einschätzen können. Das hilft allen Beteiligten.

Das Interview führte Kristian Kapp für den „Tribune de Geneve“ in der Schweiz. Durch eine Kooperation im Rahmen der Leading European Newspapers (LENA) erscheint es auch in WELT.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke