Schon als Neunjähriger legte die deutsche Hoffnung 120 Kilometer am Tag zurück
An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht: Wenn man Florian Lipowitz, 24, auf den Druck anspricht, den es gibt, nachdem er sich beim Criterium Dauphiné, dem wichtigsten Vorbereitungsrennen auf die Tour de France, unter die besten Drei der Welt fuhr, winkt er lächelnd ab: „Ich würde eher sagen, dass es Druck genommen hat, denn nun weiß ich, dass ich gut in Form bin. Es gibt einem Sicherheit.“
Doch der Start war alles andere als ideal. Seit einer Woche rollt die Frankreich-Rundfahrt wieder, und Top-Favorit Tadej Pogacar fährt wie erwartet vorne weg. Dass Lipowitz aber schon am ersten Tag 39 Sekunden auf die Spitzenfahrer verlor, war so nicht geplant. Bei scharfem Wind machte sein Team Red Bull-Bora-hansgrohe so ziemlich alles falsch. Und mittendrin Lipowitz, der dann schon nach zwei Tagen zugeben musste, dass die Beine nicht so gut waren.
Die Tour de France ist mit keinem Radevent der Welt zu vergleichen. Als Helfer beendete Lipowitz 2024 die Spanien-Rundfahrt Vuelta als Siebter, ließ erstmals aufhorchen. Platz zwei folgte im Frühjahr bei Paris-Nizza, dann besagter dritte Rang bei der Dauphiné hinter Pogacar und Jonas Vingegaard, aber noch vor Doppel-Olympiasieger Remco Evenepoel, dem dritten Mann im Gespann der Superstars. „Es ist schön zu wissen, dass man da mitfahren kann“, sagt er.
Ullrich: „Er weiß gar nicht, wie stark er ist“
Das zeigte er im Zeitfahren am Mittwoch, das er als Sechster beendete und sich so in die Top 10 katapultierte. „Er weiß gar nicht, wie stark er ist“, gratulierte der einzige deutsche Tour-Sieger Jan Ullrich in der ARD. Lipowitz selbst sagte: „In die Tour bin ich nicht ganz so gut gestartet, habe ein bisschen an mir gezweifelt. Die Stimmung war die letzten Tage nicht die beste. Das ist jetzt ein Lichtblick.“
Offiziell fährt der Mann aus Baden-Württemberg für Team-Kapitän Primoz Roglic. „Ich werde der letzte Helfer für Primoz in den Bergen sein. Zusammen können wir viel erreichen. Und wenn es die Möglichkeit gibt, kann ich auch auf die eine oder andere Etappe fahren“, sagt Lipowitz, der nach dem Zeitfahren nur eine Sekunde hinter dem Slowenen lag und ihn einen Tag später in der Gesamtwertung gar überholte.
Für Insider aber ist längst klar: Fabriziert Risiko-Fahrer Roglic einen seiner zahlreichen Stürze, steht Lipowitz bereit, dessen Rolle einzunehmen. Eine ähnliche Konstellation gab es schon einmal, 1997. Jan Ullrich übernahm die Kapitänsrolle von Bjarne Riis und stürmte zum einzigen deutschen Tour-Sieg. „Warum sollte er nicht auch hier bei der Tour de France das tun, was er bei der Dauphiné tat?“, sagt auch Roglic selbst. Ein Lob, das Lipowitz sanft zurückweist: „Das Podium wäre sehr weit hergeholt. Für mich ist das Wichtigste, durchzukommen und eine solide Leistung zu zeigen.“
Sein Vater fuhr Rad-Marathons
Lipowitz begann erst vor fünf Jahren mit dem Radsport, davor war er Biathlet. Zwei schwere Verletzungen stoppten jedoch die Karriere, bevor sie richtig in Schwung kam. „Ich habe mir zuerst die Wachstumsfuge im Knie entzündet und erlitt dann einen Kreuzbandriss. Nach beiden Verletzungen war Radfahren der erste Sport, den ich wieder machen konnte. Da dachte ich, ich versuche es mal“, sagt Lipowitz, der schon als Kind viel Rad fuhr: „Mein Vater fuhr Rad-Marathons, und da bin ich aus Spaß immer mal mitgefahren.“
„Aus Spaß“ waren es dann schon mal 120 Kilometer am Tag, da war Lipowitz neun Jahre alt. Später ging es dann in einer Woche 800 Kilometer von Genf nach Nizza – und das über den ein oder anderen Anstieg. Dass Lipowitz sich also eher in den Bergen wohlfühlt, ist kein Zufall. Darum ist sein Plan auch folgender: „Wenn ich der letzte Mann bei Primoz bin, dann sind da nicht mehr allzu viele im Peloton, die vor mir sein können.“
Der Wechsel vom Schnee auf die Straße wäre aber wohl auch ohne die Verletzungen erfolgt. „Ich glaube, ich habe mehr Talent im Radsport als im Biathlon“, sagt Lipowitz, auch wenn er als Schüler Deutscher Biathlon-Meister war. „Laufen konnte ich besser als schießen“, erinnert er sich. Doch es reichte, um einen Platz am Ski-Gymnasium in Stams/Österreich zu bekommen.
Nach seinem ersten Rennen rief er weinend zu Hause an
Der verhinderten Karriere trauert er aber nicht nach, auch wenn das nach seinem ersten Rennen 2020 noch ganz anders aussah. Lipowitz erinnert sich: „Es war in Kroatien. Ich bin zwei-, dreimal gestürzt. Da habe ich weinend zu Hause angerufen und gesagt: Das ist nichts für mich. Viel zu gefährlich. Ich will da nicht mein Leben riskieren.“ Der Schock war aber schnell verdaut: „Wenn man für zwei Jahre unterschreibt, hört man nicht nach dem ersten Rennen auf. Man versucht es weiter, gibt sein Bestes und dann hat sich alles ins Positive gedreht.“
Die vielen Unfälle inklusive Todesopfer – wie der Schweizer Gino Mäder, der bei der Tour de Suisse 2023 ums Leben kam – machen ihn dennoch nachdenklich. „Vor allem, wenn ich die Abfahrten sehe. Ich bin da schon einer, der eher vorsichtig bergab fährt. Da ist mir auch egal, ob ich zehn Sekunden verliere.“ Seine Maxime: „Der beste Fahrer entscheidet das Rennen im Anstieg oder im Zeitfahren und nicht auf der Abfahrt. Man muss nicht alles bis aufs letzte Risiko ausreizen.“
Profitiert er ansonsten von seiner Biathlon-Vergangenheit? Lipowitz überlegt: „Biathlon ist eine Einzelsportart, Radsport ist ein Teamsport. Und im Biathlon dauert das Rennen 30, 40 Minuten. Dort ist man die ganze Zeit am Anschlag, wie beim Zeitfahren im Radsport. Aber wenn man beim Biathlon stürzt, fällt man in den Schnee und hat vielleicht ein paar Schrammen. Beim Radsport mit 60 km/h kann man glücklich sein, wenn nur die Haut fehlt und sonst alles heil bleibt“, sagt er.
„Ich weiß, dass ich alles regelkonform mache“
In beiden Sportarten fest verankert ist das Thema Doping. Die neue Generation um Lipowitz war noch nicht geboren oder sehr jung, als sich in den 90er- und 2000er-Jahren die Schlagzeilen fast nur darum drehten.
Für den 24-Jährigen ist das aktuell kein Thema: „Ich weiß, dass ich alles regelkonform mache. Ich trainiere fleißig, gehe in die Höhe und mache einfach alles, was in meinen Möglichkeiten steht. Ich mache den Sport aus Spaß, und da bringt es nichts, groß darüber nachzudenken, was die anderen machen. Der Radsport ist super kontrolliert. Solange alle Tests negativ sind, muss ich davon ausgehen, dass alle negativ sind.“
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