Die ersten sechs Etappen bei der Tour de France sind gefahren - und was haben sie für ein Spektakel geboten! Tadej Pogacar liefert dabei, wie könnte es anders sein, die große Show. Sein Rivale Jonas Vingegaard gehört zu den Geschlagenen, aber nicht nur er.

Tour de France 2025 Etappenkarte

Die Laune bei Tadej Pogacar war nicht schlecht, dabei hatte er gerade erst alle bei der Tour de France eroberten Trikots abgeben müssen. Das Gelbe an Mathieu van der Poel, das Grüne an Jonathan Milan und das Gepunktete an seinen Teamkollegen Tim Wellens. Grund für Frust? Nicht beim Slowenen, der bei der Frankreich-Rundfahrt direkt mal aufgezeigt hat, wie unfassbar stark er ist. In der Bretagne und der Normandie hatte es der Topfavorit scheppern lassen, hatte immer wieder angezogen und seinem größten Widersacher Jonas Vingegaard im Kampf um den Gesamtsieg im Einzelzeitfahren auf der 5. Etappe eine krachende Ohrfeige verpasst.

Das musste vorerst reichen. Pogacar und sein UAE-Team ließen die wilden Attacken auf dem sechsten Teilstück kontrolliert geschehen. Hätten sie alle Trikots, vor allem Gelb, das Jersey für den Gesamtführenden, verteidigen wollen, sie hätten es vermutlich getan. Aber warum? Warum so früh die volle Verantwortung übernehmen, wenn man sich doch sicher sein kann, dass ein Mann wie Mathieu van der Poel am Ende keine Rolle im Kampf um das begehrte Hemdchen spielen wird? Der Niederländer ist ein Klassiker-Spezialist, die Profile der ersten Etappen kommen ihm voll entgegen, im Hochgebirge wird er schnell verschwinden.

Van der Poel hat schlimme Befürchtungen

Pogacar und seine Kollegen wissen das und taten längst nicht alles, um den Verlust zu verhindern. Auch wenn es ein überraschendes Sekunden-Drama wurde, das auch ausgerechnet dem hohen Tempo von Visma Lease a Bike, dem Vingegaard-Team, geschuldet war. Lediglich eine Sekunde rettete van der Poel für die Gesamtführung. UAE pfiff darauf. "Das nimmt ein bisschen den Druck von den Schultern und spart uns Energie. Wir wollen es uns irgendwann zurückerobern", sagte Pogacars deutscher Helfer Nils Politt: "Der Abstand ist nicht groß. Das werden wir schaffen." Natürlich werden sie das, womöglich schon an diesem Freitag. Dann steht das nächste dicke Ding an. Das Etappenfinale an der gefürchteten Mûr-de-Bretagne kommt dem explosiven Pogacar voll entgegen.

"Chapeau an Mathieu, das war ein tolles Rennen", sagte Pogacar im Ziel der packenden sechsten Etappe, "aber am Freitag gibt es wieder ein gutes Finale für mich." Aber auch der erschöpfte van der Poel mag die bis zu 13,2 Prozent steile Rampe. Vor vier Jahren erlebte der 30-Jährige hier seinen ersten goldenen Tour-Moment, gewann die Etappe und trug erstmals Gelb. Nun geht er als Führender, aber nicht als Favorit in das Teilstück und hat schlimme Befürchtungen: "Es war ein harter Tag. Ich war kurz vorm Verkrampfen. Das habe ich sonst nie. Ich musste alles geben. Es wird schwierig, mit den Beinen am Freitag zu gewinnen."

Egal wie es ausgeht, van der Poel darf sich schon jetzt als einer der Gewinner der Tour fühlen. Für die erste Woche gilt das auch für Pogacar, den das aber nicht interessiert. Er hat nur eine Sache im Kopf: Gelb nach Paris bringen. Das wollen auch andere. Vor allem Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel. Aber sind sie dazu wirklich in der Lage? Stand jetzt sieht es nicht gut aus, Vingegaard bekam im Zeitfahren eine heftige Klatsche, die für reichlich Ernüchterung in seinem Team sorgte. Deren Hoffnung gilt nun dem Hochgebirge, wo der Däne, so dachte man vorab, womöglich ein My stärker sein könnte als der Slowene. Aber ist das wirklich so?

Große Ernüchterung bei Vingegaard

In der besten Form seiner Karriere hatte sich Vingegaard vor dem Tour-Start gewähnt. Im Kampf gegen die Uhr war davon nichts zu sehen. "Wir haben auf mehr gehofft und den großen Rückstand nicht erwartet. Ich denke, Jonas hatte nicht genug Power. Es ist passiert und wir müssen damit umgehen", sagte Grischa Niermann, der Sportdirektor des Teams Visma Lease a Bike, nach der ersten großen Enttäuschung. "Ich hatte einen ziemlich schlechten Tag, so ist das manchmal. Ich hatte einfach nicht die nötigen Beine", sagte Vingegaard nach dem Debakel und ergänzte: "Die Tour ist natürlich lang, deshalb bin ich immer noch motiviert und glaube weiterhin daran, dass es möglich ist."

Ein weiterer Konkurrent um Gelb ist Evenepoel. Oder nicht? Dass der Doppel-Olympiasieger im Zeitfahren so auftrumpfen konnte, war keine Überraschung. Die entscheidende Frage lautet nun: Wie stark ist er im Gebirge, wie stark ist er, wenn der Kampf um das Maillot Jaune voll entbrennt? Im großen ntv.de-Tour-Interview glaubte Ex-Profi Rick Zabel nicht daran, dass der Belgier entscheidend mitmischen kann. "Bei der Dauphine-Rundfahrt zuletzt war er in den Bergen schon klar unterlegen im Duell mit Pogacar und Vingegaard. Da war ich schon verwundert, ich hätte ihn stärker erwartet, auch weil er noch mal abgenommen hat."

Erlebt Red Bull seinen Team-Telekom-Moment?

Zu den großen Geschlagenen gehört derweil Altmeister Primoz Roglic, der beim so ambitionierten Red-Bull-Team eigentlich der Kapitän ist. Mit einem Rückstand von 2:36 Minuten liegt er derzeit auf Rang zehn in der Wertung um den Gesamtsieg und damit einen Platz hinter seinem deutschen Teamkollegen Florian Lipowitz. Der sorgte nach einem holprigen Start in die Rundfahrt in den vergangenen beiden Tagen für große Schlagzeilen. Legt er nach, könnte die Kapitänsfrage neu gestellt werden. Noch aber bleibt alles wie verabredet. "Wir sind noch nicht in den hohen Bergen, deshalb werden wir uns verhalten wie bisher", sagte der Sportliche Leiter Rolf Aldag.

"Ich hoffe, wenn Roglic sieht, dass er mit Lipowitz einen richtig starken Mann hat, dass es ähnlich wie bei Bjarne (Riis) und mir läuft und er sagt: 'Ich fahr' auch für dich'", sagte Jan Ullrich, Tour-Champion von 1997, in der ARD. Bei seinem Triumph damals war Ullrich eigentlich als Edelhelfer für Titelverteidiger Riis eingeplant gewesen. Weil Ullrich aber deutlich stärker war, ließ Riis ihn schließlich fahren. Ikonisch war der Moment, als Riis dem da noch jungen Ullrich kurz zunickte, dieser losstürmte - und gewann. Diese Geschichte wird sich in diesem Jahr (noch) nicht wiederholen. Weil es eben diesen einen gibt, der unersättlich ist: den Farbenkannibalen Pogacar.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke