Bevor die Roboter übernehmen, bekommt der Gast einen Zettel gereicht
Die Hotels der Japan Railways Group, kurz JR genannt, sind oft eine gute und preiswerte Wahl für Japan-Reisende, die keinen übertriebenen Luxus erwarten.
Sie liegen verlässlich in Bahnhofsnähe, sind sauber, bieten die berühmten Toiletten mit Po-Dusche und halten in der Nachttischschublade sogar Pyjamas für die Gäste bereit. Die Zimmer allerdings erinnern in ihrer Größe eher an Schiffskabinen, so kompakt sind sie.
Zwischen Tradition und Fortschritt
Es ist einer dieser typischen Widersprüche, die Japan so faszinierend machen: das Nebeneinander von Komfort und Bescheidenheit. Ein anderes großes Paradoxon des Landes ist der ewige Kampf zwischen Tradition und Fortschritt. Beispiel „JR Hotel Clement“ in Takamatsu an der Seto-Inlandsee: Dort findet dieser Gegensatz aufs Schönste zueinander, und zwar beim Frühstück. Es wird zu einer unerwarteten Übung in japanischer Fortschrittsdialektik.
Der Gast hat sich pünktlich zu den vorgegebenen Frühstückszeiten einzufinden, zwischen 6.30 und 10 Uhr – keine Minute später. Soweit nichts Ungewöhnliches. Doch zusätzlich muss er einen kleinen grünen Zettel mitbringen, der ihm am Vortag beim Einchecken neben weiteren Formularen ausgehändigt wurde.
Nur die Zimmernummer zu nennen, reicht nicht. Diesen Zettel übergibt man einem älteren Herrn im schwarzen Anzug am Eingang des Frühstücksbereichs.
Der Mann hat ihn längst erspäht, als man noch 20 Schritte von ihm entfernt ist, und nimmt ihn mit professionellem Lächeln entgegen. Im Austausch erhält der Gast eine laminierte Karte mit der Aufschrift „Besetzt“.
Wer nun zum Buffet geht, muss nicht länger Handy, Pullover oder Buch am Tisch zurücklassen, um seinen Platz zu sichern, die kleine Karte übernimmt die Aufgabe. Eine geniale Erfindung, die man sich weltweit in Hotels mit Buffet wünscht.
Roboter sammelt Schmutzgeschirr
Man könnte jetzt vermuten: Das „JR Hotel Clement“ in Takamatsu, einer Stadt, die man im Ausland kaum kennt, ist zwar komfortabel und günstig, aber in Sachen Digitalisierung provinziell – eher auf dem Stand von Deutschland als von Tokio. Doch weit gefehlt. Technikfeindlichkeit? Ganz im Gegenteil. Im Frühstückssaal ist ein Roboter unterwegs und sammelt schmutziges Geschirr ein.
Neben der Kaffeemaschine steht eine faszinierende Apparatur, die auf eine bloße Handbewegung hin frische Pfannkuchen backt, völlig geräuschlos. Kein Zischen, kein Brutzeln stört die fröhliche Pfeifmusik aus den Deckenlautsprechern.
Nach etwa einer Minute gleitet mit einem dezenten Plopp ein frischer Pfannkuchen aus einem Rohr, Sekunden später ein zweiter. Der Gast hatte versehentlich zweimal gewinkt.
Ritueller Austausch zwischen Gast und Gastgeber
Warum also noch das Spiel mit den altmodischen Zetteln? Wahrscheinlich genau deshalb: weil es ein Spiel ist, ein ritueller Austausch zwischen Gast und Gastgeber, bevor die Roboter und Maschinen übernehmen. Ein stillschweigender Beweis, dass der Gast die Regeln des Hauses achtet, ein Moment des Respekts, den der Gastgeber nicht unbedingt erwartet.
Jedenfalls tut der Mann im schwarzen Anzug so. „Thank you, thank you!“, ruft er, als man ihm nach dem Frühstück die „Besetzt“-Karte zurückgibt, so enthusiastisch, als hätte er niemals damit gerechnet. Und der Gast ist fast ein wenig stolz auf sich.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke