Irgendwo an dieser Bucht streift Blondie gerade durchs üppige Gras. Und nicht nur sie: Die Grizzlybärin hat in diesem Jahr drei Jungtiere dabei, berichtet Reiseführer Gerren, und wir können es kaum erwarten, sie zu sehen. Mit unserem Schlauchboot suchen wir die Küste ab, wir starren durch unsere Ferngläser und halten unsere Teleobjektive bereit. Ob wir Blondie finden?

„Ich bin mir ganz sicher, dass Blondie hier unterwegs ist“, sagt Gerren Henry, während er das Zodiac vorsichtig zu einer Flussmündung steuert. „Die Bärin hat drei hungrige Mäuler zu stopfen und der Fluss ist gerade voll mit Lachsen.“ Dann schaltet er den Bordmotor ab, denn er will die Bärenmutter nicht erschrecken oder verscheuchen.

Blondie ist der Star im Khutzeymateen Valley, einem entlegenen Wildnisgebiet nahe der Nordwestküste Kanadas. Die Grizzlybärin mit ihrem markanten Höcker und dunkelblondem Fell ist 19 Jahre alt, wiegt über 400 Kilogramm und gilt als entspannt. Natürliche Feinde hat sie in ihrem Alter keine mehr, an menschliche Wesen in Booten und roten Trockenanzügen hat sie sich längst gewöhnt.

Das erzählt uns jedenfalls Gerren, während wir im schaukelnden Boot geduldig auf Blondies ersten Auftritt an Land hoffen. Dann bewegt sich im sattgrünen Gras auf einmal etwas. Schon bald erkennen wir aufrechte Ohren, eine lang gezogene Schnauze und einen triefenden Pelz. Blondie! Unser Guide hat recht behalten, das Warten hat sich gelohnt. Wir zücken unsere Kameras.

Gebiete, die nur wenige Menschen je betreten

Grizzlybären wie Blondie in der Wildnis zu beobachten, gehört zu den Höhepunkten vieler Kanada-Reisen. Rund 20.000 von ihnen streifen zwischen Rocky Mountains, der Pazifikküste und der arktischen Tundra durch die Wälder, die meisten in entlegenen Gebieten, die nur wenige Menschen je betreten. Umso beeindruckender ist es, wenn Mensch und Tier aufeinandertreffen – natürlich nicht direkt, sondern mit ausreichend Abstand.

Das Khutzeymateen Valley in British Columbia bietet einmalige Möglichkeiten zur Bären-Safari, denn es ist Teil eines Schutzgebietes, das 1994 eigens zum Wohle der pelzigen Säuger eingerichtet wurde, als erstes und einziges derartiges Naturschutzprojekt in Kanada. Zwischen 50 und 60 Grizzlybären leben dort in einem Park gleichen Namens auf einer Fläche etwa halb so groß wie das Land Berlin.

Einmalig ist auch die Rolle der indigenen Bewohner im Khutzeymateen Valley, in ihrer Sprache ist das der Ort, „wo die Bären auf die Lachse treffen“. Der Park wird gemeinsam vom Staat und den Gitsi’is-Ureinwohnern verwaltet, die seit Jahrtausenden in der Region leben und die Meeresarme, Tafelberge und Regenwälder dort so gut kennen wie niemand sonst.

Das gilt auch für unseren Guide Gerren, der in einem indigenen Dorf unweit des Parks aufgewachsen ist und jeden Grizzlybären dort mit Namen benennen kann. „Blondie ist mein Lieblingstier“, sagt der Enddreißiger und steuert sein Boot näher an die Bärin heran. Blondie hebt den Kopf, nimmt Witterung auf und schaut zu uns herüber. Schließlich verschwindet sie im Unterholz.

Die einjährigen Jungen von Blondie sehen wir nicht. Vielleicht liegen sie schlafend im hohen Gras, trollen sich außer Sichtweite im Fluss oder warten im Dickicht auf ihre Mutter. Doch Gerren verspricht, dass wir anderntags wiederkommen werden, um nach ihnen zu suchen: „Wo die Mama ist, sind auch die Kleinen nicht weit.“

Gerren wirft den Motor an. Gekonnt steuert er das überdachte Schlauchboot durch mystische Fjorde, vorbei an Wasserfällen, wuchtigen Steilhängen und nebelverhangenen Wäldern aus Riesenzedern. Es nieselt leicht, über uns drehen Weißkopfseeadler ihre Runden, ab und zu streckt ein Seehund seinen Kopf aus dem tiefgrünen Wasser.

Nach etwa einer halben Stunde erreichen wir die „Khutzeymateen Wilderness Lodge“, die einzige Unterkunft im Schutzgebiet. Sie besteht aus zwei schwimmenden Holzhäusern auf Pontons, hat acht Zimmer und einen Speiseraum. Jeden Sommer wird sie von Lotsen aus der nahen Hafenstadt Prince Rupert eigens für Bärentouristen in den entlegenen Meeresarm geschleppt.

Schwimmende Unterkunft fern der Zivilisation

Der schwimmende Untersatz ist nötig. „Menschen ist es verboten, im Park an Land zu gehen. Wir dürfen die Grizzlybären nur aus sicherer Distanz vom Wasser aus beobachten“, erklärt Gerren, während er das Boot am hölzernen Steg festzurrt. Dadurch bleiben die Bären weitgehend ungestört. Straßen gibt es ohnehin keine. Nur auf dem Wasserweg oder durch die Luft gelangt man zur Lodge.

Wir steigen aus dem Boot, streifen Neoprenanzüge, Gummistiefel und die durchnässten Wollsocken ab und wärmen uns im kleinen Trockenraum der Lodge. In einem gusseisernen Knallofen knistert ein Feuer, es gibt heißen Tee und frisch gebackene Kekse. Der hölzerne Dielenboden knirscht bei jedem Schritt. Wenn ein Seehund vorbeischwimmt, wippt das Gebäude sanft auf dem Wasser.

Die Lodge liegt fern der Zivilisation, und doch fühlen wir uns dort gut aufgehoben. Die Zimmer sind klein, aber gemütlich, das Bettzeug aus Daunen ist frisch bezogen. Solarzellen auf dem Dach sorgen für Licht, Holzöfen für Wärme. Eine kleine Sauna bringt Entspannung.

Während wir noch die ersten Fotos von Blondie auf unseren Displays bewundern, kommt Gerren von einer Ausfahrt zurück. Auf dem offenen Meer hat er vier Heilbutte gefangen. Als Angehöriger einer First Nation darf er so viele davon angeln, wie er will. „Mein Volk hat immer vom Fischfang gelebt, viele von uns tun es heute noch“, sagt er und wirft die Tiere vor die Kombüse.

Das freut Neil Dias, den Koch, einer von vier Naturburschen, die die Lodge bewirten. In der Saison zwischen Frühsommer und Herbst hat Neil keinen einzigen Tag frei. Er will das so. „Das Khutzeymateen Valley ist ein spiritueller Ort, an dem ich die Kraft der Natur spüre und zu mir finde“, sagt er, während er die Fische in den Ofen schiebt. Servieren wird er sie später mit Spargel, Süßkartoffeln und Wein.

Grizzlybären sollen Demut lehren

Auch unser Guide Gerren hat eine tiefe emotionale Verbindung zu dem Ort. „Die Bären hier draußen sind Teil meiner Familie“, sagt er am Morgen, als er das Schlauchboot wieder startklar macht. Gitsi’is wie Gerren ehren und bewundern die Grizzlybären wegen ihrer Stärke und glauben, dass der Schöpfer sie einst auf die Erde gebracht hat, um uns Menschen Demut zu lehren.

Gerren stellt klar: „Die Tiere zu jagen, kam für uns hier nie infrage.“ Für alle anderen ist die Grizzlyjagd in British Columbia erst seit 2017 verboten. Lange hatten sich vor allem Trophäenjäger aus dem Ausland auf die Pirsch gemacht, für viele war es ein lukratives Geschäft. Doch das ist Vergangenheit. Dank des Tourismus verdienen die Leute hier ihr Geld heute mit lebenden Bären. Mit Blondie zum Beispiel.

Ob wir ihren Nachwuchs heute sehen werden? Im strömenden Regen sitzen wir wieder im Boot und starren in die Ferne. Wir fahren mit dem Zodiac auf und ab, bis auf einmal vier dunkle Punkte aus dem Wald treten. Erst erkennen wir sie kaum, doch dann überqueren Blondie und ihre drei Jungen einen Bach, kommen näher und legen sich in Sichtweite des Boots ins Gras.

Wahrscheinlich haben sie gerade Lachse verschlungen und wollen sich ausruhen, sagt unser Guide. Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Blondie legt sich auf den Rücken, um ihre Jungen zu stillen. Zusammengerollt liegt Blondie da und tut, was eine Mutter so tut. Höchste Zeit also, die Bären sich selbst zu überlassen. Im Rückwärtsgang verlassen wir die Bucht, bis uns der Nebel verschluckt.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Zum Beispiel mit Lufthansa und Air Canada, mit Umsteigen in Vancouver nach Prince Rupert, von dort per Boot in 1,5 Stunden ins Khutzeymateen Valley.

Unterkunft und Bären-Safari: Die „Khutzeymateen Wilderness Lodge“ ist eine schwimmende – und die einzige – Unterkunft direkt im Grizzly-Schutzgebiet, für 2026 können jetzt schon vier- oder fünftägige Komplettprogramme inklusive Bootstransfer von/bis Prince Rupert gebucht werden, ab umgerechnet 2160 Euro pro Person inkl. Übernachtungen, täglicher Bärenbeobachtung und Vollpension (grizzlytour.com). In Prince Rupert ist das „Crest Hotel“ zu empfehlen, die klassisch-rustikal eingerichteten Zimmer haben ein schönes Panorama auf Fjorde und Berge, Doppelzimmer ab 140 Euro (cresthotel.ca). Prince Rupert Adventure Tours bietet Tagesausflüge ins Grizzly-Schutzgebiet in einem Katamaran von Prince Rupert aus an, ab 216 Euro inklusive Lunch, im Programm sind auch halbtägige Walbeobachtungstouren vor der Küste (adventuretours.ca).

Weitere Infos: destinationbc.ca; travel.destinationcanada.com/de-de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Destination British Columbia und der „Khutzeymateen Wilderness Lodge“. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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