Die fulminante Rückkehr der polnischen Weine
Jahrzehntelang hatte sich Bacchus beleidigt aus Schlesien zurückgezogen. Was sollte ein Weingott noch in einem Land, das die im 13. Jahrhundert von den Zisterziensern begründete Weintradition so mit Füßen trat? Vor 200 Jahren gediehen hier auf 1700 Hektar Reben. Sogar die erste deutsche Sektkellerei wurde in dieser Region gegründet – in Grünberg, dem heutigen Zielona Gora, rund 150 Kilometer von Berlin entfernt.
800.000 Flaschen Schaumwein aus einheimischen Trauben traten von hier aus ab 1826 ihre Reise in alle Welt an. Bis 1945. Da war nicht nur Schluss mit dem Grünberger Sekt, sondern mit dem schlesischen Weinbau überhaupt. Die Deutschen wurden vertrieben und mit ihnen Know-how und Liebe zum Wein.
Die Ignoranz der neuen, jetzt polnischen Bewohner und die Tatsache, dass Importe preiswerter waren als die Produktion im eigenen Land, brachten Schlesiens Weinbau zum Erliegen. Aus Weinbergen wurden Gemüsegärten, Obstgärten und Baugrundstücke.
Bacchus ist zurück in Polen
Jetzt aber ist Bacchus zurück. Und mit ihm sind es mehr als 600 Winzer in Polen, die mit Leidenschaft und Können den Beweis antreten, dass das, was sie in die Flaschen bringen, alles andere als „Strumpfwein“ ist. So nannte noch der deutsche Dichter Karl von Holtei (1798–1880) den Wein seiner schlesischen Heimat. Als sei der Wein so sauer, dass er die Löcher in den Strümpfen zusammenzieht. Ähnlich sah das Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), der meinte: „Der Wein ist gut für die, die ihn nicht trinken müssen.“
Vor 20 Jahren hätte man ihm noch zustimmen können, es grenzte an ein Experiment mit unbekanntem Ausgang, wenn man polnischen Wein probierte. Die Autorin erinnert sich noch gut an einen Besuch zu jener Zeit bei Krzysztof Fedorowicz in der Nähe von Grünberg, einem der Urväter des polnischen Weinbaus.
Anfang der 2000er-Jahre hatte er eine Kirschplantage gerodet und mit Reben bepflanzt. Seinen Wein, den er nach dem Prinzip Versuch und Irrtum produzierte und der noch nicht ausgereift war, konnte er indes nicht verkaufen, weil Polen den Handel mit lokalen Weinen damals nicht erlaubte.
Fedorowicz lud deshalb gern Freunde und Bekannte zu einem Umtrunk ein, denn die durfte er bewirten, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Großzügig schenkte er ein, bot dann seine Visitenkarten zum Kauf an und legte jeder verkauften Karte eine Flasche Wein als Geschenk bei.
Heute kann Fedorowicz, dessen Weingut Milosz inzwischen auf sechs Hektar angewachsen ist und dessen Weine bereits mehrfach ausgezeichnet wurden, über dieses Koppelgeschäft nur noch lachen.
Weingesetz und mehr Qualität
Die Einführung des polnischen Weingesetzes 2008 trug nicht nur dazu bei, dass heute wieder auf etwa 1000 Hektar Fläche Wein angebaut wird, auch die Qualität kann sich sehen lassen – in den vergangenen Jahren ist eine Hinwendung zu edlen Sorten wie Riesling, Spätburgunder, Chardonnay, Dornfelder, Gewürztraminer oder Bacchus zu erkennen.
„Innerhalb von 20 Jahren hat sich der polnische Wein von null zu einer lebhaften, farbenfrohen Realität entwickelt, und man hat das Gefühl, dass dies erst der Anfang ist“, lobt das Weinmagazin „Falstaff“.
Zu den wichtigsten Anbaugebieten neben Niederschlesien zählen das Karpatenvorland und die Gegend um Krakau, sogar an der Ostseeküste wird erfolgreich Wein produziert. Niederschlesien liegt von Deutschland aus betrachtet quasi vor der Haustür, es bietet sich für eine Erkundungsreise bestens an.
„Strumpfwein“ ist dort heute nicht zu finden, dafür gibt es viele kreative Winzer, die Erstaunliches in die Flaschen bringen. Und auch die gehobene Gastronomie hat oft polnische Weine auf der Karte.
Erste Station: Weingut Niemczanska in Nimptsch (Niemcza), 50 Kilometer von Breslau entfernt. Gegründet haben es 2017 fünf Freunde aus Polen und Deutschland, nachdem sie eines Abends bei polnischem Wein zusammengesessen hatten und sich darüber einig waren, dass der bestenfalls etwas für „Patrioten“ sei.
„Lasst uns einen eigenen Weinberg anlegen“, entschieden sie und fanden schnell eine geeignete Fläche in Nimptsch. „Das Weingut hat besten Lehm-Lössboden, die klimatischen Bedingungen hier sind ähnlich wie in Sachsen“, erzählt Mitinhaber Frank Enözel, der vor 28 Jahren aus geschäftlichen Gründen nach Polen kam und „der Liebe wegen hängenblieb“.
Die ersten Chardonnay-Reben kamen aus Deutschland. „Sie haben sich hier sofort wohlgefühlt“, erinnert er sich, „bis heute ist dieser Wein eines unserer Steckenpferde, inzwischen mehrfach prämiert.“ Daneben gedeihen auf den mittlerweile auf fünf Hektar angewachsenen Weingärten Cabernet Blanc, Solaris, Riesling und Pinot Noir.
Um den Absatz der 25.000 Flaschen jährlich müssen sich die Freunde keine Sorgen machen. „Dennoch“, sagt Enözel, „es braucht einen langen Atem, um Polen international als Weinland zu etablieren.“
Ein paar Kilometer entfernt hat Przemek Demków vor zehn Jahren die ersten Rebstöcke in den Boden gesetzt. In Zobten am Berge (Sobotka), geschützt zwischen zwei Bergrücken, liegt das Weingut Celtica. 8000 Rebstöcke in 13 unterschiedlichen Sorten wachsen auf 1,5 Hektar. Demków ist Autodidakt: „Alles, was ich über Weinbau weiß, habe ich mir aus Büchern selbst beigebracht und in Seminaren bei einem Profiwinzer.“
Mit erstaunlichem Erfolg. Sein Sauvignon Blanc wurde 2023 auf der Weinmesse in Brüssel mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. Besonders stolz aber ist er auf seinen Luna, eine „wilde“ Mischung aus Botrytis-Trauben – der sie überziehende Edelschimmelpilz trägt zu einer erheblichen Steigerung der Qualität bei. Dem fertigen Wein wird etwas Brandy zugegeben, bevor er in alten Fässern zwei Jahre Zeit zum Reifen bekommt.
Im Glas erinnert der aromatische, likörartige Wein nicht nur optisch an einen Madeira-Wein, er schmeckt auch ähnlich. Ein Portugiese, der den Luna verkostete, beschrieb ihn begeistert als „eine sehr gute Fälschung“. Für Demków bedeutet dieses Lob mehr Anerkennung als die drei Goldmedaillen, die er für diesen Wein bereits auf Weinmessen bekommen hat.
Kompliment vom chilenischen Experten
Zu den Pionieren zählt auch Winnica Silesian nördlich von Schweidnitz (Swidnica). Familie Mazurek betreibt hier in zweiter Generation ein Weingut auf einem Gehöft aus dem 18. Jahrhundert. Die Weinberge umfassen fast elf Hektar, sie liegen an einem nach Südwesten ausgerichteten Hang aus Granitfelsen.
Die Lage ist erstklassig: Der Granitboden verleihe den Silesian-Weinen eine „nervöse Spannung“, lobt der chilenische Terroir-Experte Pedro Parra; ihr Geschmack treffe den Gaumen „wie ein Schlag von Mike Tyson“. Das ist als Kompliment gemeint – das gute Dutzend Wein und Sekt, das hier produziert wird, vor allem Riesling, überzeugt durchgängig durch eine erfrischende Mineralität.
Einen weiteren Winzer mit Herzblut trifft man im Weingut Adoria in Sachwitz (Zachowice) vor den Toren Breslaus. Geführt wird es von Mike Whitney, einem Amerikaner, der in den kalifornischen Weinbergen aufgewachsen ist. 1995 kam er nach Niederschlesien, lernte seine Frau kennen und blieb in Polen.
Vor 25 Jahren kaufte er die ersten Rebflächen, die inzwischen auf zehn Hektar angewachsen sind. Whitney, heute 58, setzte von Anfang an auf klassische Sorten wie Pinot Noir, Chardonnay und Riesling, die er zu vielfach ausgezeichneten Weinen verarbeitet. Adoria zählt inzwischen zu den besten polnischen Weingütern.
Fast alle schlesischen Winzer öffnen ihre Türen gern für Besucher und bieten Verkostungen an. 29 von ihnen haben sich der 2018 gegründeten touristischen Route „Niederschlesische Wein- und Bierstraße“ angeschlossen. Auch in Breslau gibt es mehrere Möglichkeiten, polnische Weine zu probieren.
Die Weinbar „Cocofli“ beispielsweise hat ein Dutzend Weiße und Rote im Angebot. Zu den Highlights zählen der fruchtig-trockene Riesling Turnau mit Noten von Jasmin und Melisse (aus Hinterpommern) und Adoria-Sekt, eine Flaschengärung mit zarten Aromen von Erdbeere und Orangenschale.
Gehobene Gastronomie
Längst wird auch in gehobenen schlesischen Lokalen selbstbewusst polnischer Wein ausgeschenkt, etwa im Breslauer Gourmetrestaurant „Baba“, dessen Weinauswahl ausdrücklich vom „Guide Michelin“ gelobt wird. Ein Geschmackserlebnis ist dort der Pinot Blanc Béton von Kamil Barczentewicz, ein im Betonfass gereifter Naturwein, strohgelb, mineralisch, mit Anklängen an grüne Äpfel und reife Birnen.
Und wer im Hirschberger Tal unterwegs ist, wird im „Schlosshotel Lomnitz“ fündig, einem nach der Wende charmant renovierten ehemaligen Rittergut in Lomnitz (Lomnica) mit Blick auf die Gipfel des Riesengebirges.
Hier sollte man im Schlossrestaurant zum Rehfilet im Speckmantel unbedingt die Cuvée Dolnosielskie vom oben genannten Weingut Silesian probieren. So lässt sich kultiviert herausfinden, ob die Aromen von Limette und Aprikosen, die am Gaumen eine belebende Säure mit fruchtigem Abgang erzeugen, tatsächlich einem Boxhaken von Mike Tyson gleichkommen. Auf jeden Fall sind sie ein Beweis dafür, dass sich polnische Weine längst nicht mehr verstecken müssen.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Grünberg, Breslau und Lomnitz sind mit Umsteigen von Deutschland aus per Bahn zu erreichen. Die über das Land verteilten Weingüter lassen sich allerdings nur mit dem Auto erreichen.
Weingüter: Weingut Niemczanska in Nimptsch (Niemcza), winnicaniemczanska.pl; Weingut Celtica in Zobten am Berge (Sobotka), winosabat.pl; Weingut Adoria in Sachwitz (Zachowice), winnicaadoria.pl; Weingut Winnica Silesian in Teichenau (Bagieniec), winnicasilesian.pl; Weingut Milosz in Saabor (Zabor), winnicamilosz.pl. Eine Karte von der Niederschlesischen Wein- und Bierstraße findet sich hier: geoportal.dolnyslask.pl/cat/usr/admindiip/mapa/dolnoslaski-szlak-piwa-i-wina
Wo wohnt man gut? „Schlosshotel Lomnitz“, stilvolles Anwesen in großem Park mit zwei Restaurants, idyllisch im Riesengebirge gelegen, Doppelzimmer ab 85 Euro (palac-lomnica.pl/de). Zum Weingut Niemczanska gehört das komfortable Drei-Sterne-Hotel „Niemcza“, Doppelzimmer ab 88 Euro (hotelniemcza.pl). Das Weingut Celtica bietet funktionale Ferienzimmer an ab 39 Euro (auch über booking.com).
Weitere Infos. Polnisches Fremdenverkehrsamt (polen.travel/de)
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke