Der wundersame Wandel von Bad Gastein
Den ersten Wow-Moment erleben Zugreisende gleich in der Bahnhofshalle von 1905: Der weiße klassizistische Bau stammt aus der Zeit der K.u.k.-Monarchie, der Marmor und die elegant gewölbte Decke zeugen von der glanzvollen Vergangenheit des historischen Bergdorfs. Doch gleich hinter dem Ausgang ist der Zauber vorbei – die gegenüberliegende Häuserzeile mit Sparkasse, Skiverleih, Supermarkt und Souvenir-Shops ist nur allzu gewöhnlich.
Dafür bekommt man im Eurospar-Supermarkt gleich eine gute Geschichte zu hören: Hugh Grant sei wieder gerade da gewesen, erzählt die Kassiererin. Er sei etwas kleiner und älter als auf der Leinwand, aber genauso charmant.
Ja, genau, der Hugh Grant! Der britische Filmstar kommt oft nach Bad Gastein. Er steigt dann gern im altehrwürdigen Hotel „Salzburger Hof“ ab, das schwedische Inhaber hat, die mit Grants schwedischer Ehefrau verwandt oder sonst wie verbandelt sein sollen, erzählt man sich in Bad Gastein.
Grant hat dem Urlaubsort südlich von Salzburg einen neuen inoffiziellen Namen beschert: Good Gastein. Offenbar war er es leid, seinem Umfeld immer wieder zu erklären, weshalb er seine Familie jedes Jahr an einen „schlechten“ Ort in den österreichischen Alpen verschleppt – denn „bad“ bedeutet auf Englisch nun mal „schlecht“, was internationale Besucher belustigt.
Ob nun Bad Gastein oder Good Gastein – im prominenten Alpenort liegt beides nah beieinander. Good Gastein hat es nicht nur Hugh Grant angetan. Ganz gleich, welchen Zeitraum man betrachtet, stets tummelte sich viel Prominenz im hintersten Dorf des Gasteinertals.
Otto von Bismarck, Kaiser Wilhelm I., Kaiser Franz Joseph I. und Sissi, aber auch Industriellenfamilien wie die Krupps, Thyssens, Grundigs oder Opels. Dazu kamen die Musiker Franz Schubert und Johann Strauss, Literaten wie Thomas Mann und W. Somerset Maugham und jede Menge andere Prominente: Billy Wilder, Marlene Dietrich, Sigmund Freud, Einstein, Gustav Klimt, Churchill und die Roosevelts.
Verschlafener und zugleich kosmopolitischer Ort
Man reiste Anfang des 20. Jahrhunderts gern zur Sommerfrische nach Bad Gastein, um im radonhaltigen Thermalwasser zu baden, in eleganten Belle-Époque-Hotels zu wohnen und durchs Dorf zu flanieren.
Das in die Hänge der Hohen Tauern gebaute 4000-Einwohner-Dorf wurde zu einer Art Monte Carlo der Alpen – vereinte also eine Mischung aus Glamour, Extravaganz und Reichtum inmitten einer spektakulären Landschaft, berauscht vom 341 Meter hohen Wasserfall im Zentrum von Bad Gastein. Ein erstaunlich kosmopolitischer Ort, der sich als verschlafenes Bergdorf tarnt.
Nach der Blütezeit trafen kriegsbedingte Einbrüche den vom Tourismus abhängigen Badeort hart, ein schleichender Abstieg begann. Die kultivierte Hautevolee blieb aus und wurde von ganz normalen Kurgäste ersetzt. Als auch in diesem Segment die Besucherzahlen zurückgingen, erfand sich Bad Gastein als Wintersportort neu. Die umliegenden Berge wurden für Skifahrer erschlossen, zu den Alpinen Skiweltmeisterschaften 1958 kamen 60.000 Besucher ins Tal. Das reichte jedoch alles nicht aus, um den Niedergang aufzuhalten.
Auch der Versuch, den Ort als internationales Tagungsziel zu etablieren, schlug fehl – und hinterließ ein seit 2008 geschlossenes Kongresszentrum, das noch immer wie ein Ufo mitten im Ort steht. Das gleiche Schicksal ereilte das prächtige „Haus Austria“ direkt gegenüber, ein historisches Grandhotel-Ensemble, das seit den 1990er-Jahren vor sich hin modert. Die Gemeinde konnte sich die längst fälligen Renovierungsarbeiten nicht leisten und war zudem einem windigen Immobilienspekulanten auf den Leim gegangen, der viel versprochen, aber nichts geliefert hatte.
Lange Zeit galt Bad Gastein deshalb als ein Schandfleck im Gasteinertal, der von den vorgelagerten Urlaubsorten Bad Hofgastein und Dorfgastein versteckt und verschwiegen wurde wie ein peinlicher Verwandter. Während die beiden anderen Gasteins mit ihrem Alpencharme und ihrem klassischen Sommer- wie Wintersportangebot mehr oder weniger problemlos durch die Jahrzehnte kamen, versank das letzte Dorf im Tal in einem tiefen Schlaf.
Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die großartigen Gebäude, die mit Säulengängen, Kristalllüstern und jeder Menge Marmor eher an Salzburg oder Venedig als an ein ländliches Bergdorf erinnern, neu entdeckt werden würden.
Das modernste Gebäude der Donaumonarchie
Wes Andersons Kultfilm „Grand Budapest Hotel“ hat bei der Wiederentdeckung dabei geholfen, denn genau solche in stiller Schönheit vor sich hin bröselnden Herbergen gab es in Bad Gastein – allen voran das 1910 eröffnete „Grand Hotel de l’Europe“, das damals mit stattlichen zehn Stockwerken das modernste Gebäude der Donaumonarchie war.
Es verfügte über eine beeindruckende Marmorlobby und 148 Gästezimmer, ausgestattet mit Zimmertelefon sowie Warm- und Kaltwasser, zu den Gästen zählten Prince Philip, der letzte Schah von Persien, Ray Charles, Charles Aznavour, Liza Minnelli und Roger Moore.
1988 schloss der unter Denkmalschutz stehende Hotelkomplex, heute ist er wieder geöffnet: Die Zimmer werden von einer über 30-köpfigen Eigentümergemeinschaft als Ferienapartments vermietet.
Einer der frühen Mieter war Olaf Krohne, der als Kind vor mehr als 40 Jahren zum ersten Mal mit seinen Eltern die Ferien im Ort verbrachte, Bad Gastein nie wieder vergaß und sich vor rund 20 Jahren zusammen mit anderen Gleichgesinnten daran machte, den Ort ein weiteres Mal neu zu erfinden.
Er half dem Wiener Architekten Ike Ikrath und seiner Ehefrau Evelyn, erst das alte „Haus Hirt“ als gemütliches Gästehaus für junge Familien und kreative Naturen und dann das „Hotel Miramonte“ als Ort für Zeitgeist-orientierte Menschen mit coolem Vintage-Chic zu etablieren. 2009 übernahm Krohne selbst das damals allzu plüschige „Hotel Regina“.
Manches blieb, wie es die Eigentümer hinterlassen hatten, anderes nicht: Man befreite die alten Parkettböden von diversen Teppichschichten, strich die Wände grüngrau, richtete ein kleines Kino und auch ein Spa ein, kombinierte neue Möbel mit alten Accessoires.
So entstand ein urbaner, lässiger und überaus heiterer Ort, der sofort Freunde aus Berlin, Hamburg oder München nach Bad Gastein lockte. Es waren junge Leute, die sich mit Vergnügen unter die übrig gebliebenen betagten Stammgäste mischten, die sehr überschaubare Gastroszene um ein paar lässige Lokale bereicherten und heimlich die fantastische Welt des gigantischen, eigentlich verschlossenen Kongresshauses erkundeten.
Verblasste Grandezza, kaum zu toppen
Als schließlich 2023 auch die historischen Grandhotels „Straubinger“ und „Badeschloss“ neu eröffneten und mit dem Designhotel „The Comodo“ ein ganz neuer Stil ins Tal kam, richteten sich alle Augen auf Bad Gastein. Plötzlich ist der schon fast surreal pompöse Kurort mit seinen Prunkbauten und Bauruinen, mit seinen Thermalquellen und der opulenten Felsentherme, mit seiner Mischung aus Entschleunigung, urbanem Flair und den fast liebenswerten Macken wieder hip.
Nicht nur Hugh Grant, sondern auch Wim Wenders, Christoph Waltz und Jude Law finden das cool.
Mit Olaf Krohne und den Ikraths kam auch die Kunst nach Bad Gastein. Das Trio gründete die Veranstaltung „sommer.frische.kunst“, die in diesem Sommer bereits zum 15. Mal stattfindet (noch bis 31. August) und fanden in der Bad-Gastein-Liebhaberin Andrea von Goetz eine leidenschaftliche Leiterin, die Künstler wie Jonathan Meese, Barbara Probst und Lars Eidinger in die Bergwelt lockt.
Parallel dazu veranstaltet von Goetz seit 2022 die inzwischen viel beachtete Kunstmesse „art:badgastein“, die im seit Jahren geschlossenen „Hotel Astoria“ stattfindet – einem weiteren Lost Place, dessen verblasste Grandezza kaum zu toppen ist.
Mit einer eigenen Ausstellung anlässlich seines 100. Geburtsjahres wird der Architekt Gerhard Garstenauer geehrt. Sein brutalistisches Beton-Kongresshaus, die spektakuläre, in den Berg gesprengte Felsentherme und die vier raumschiffartigen Skiliftstationen am Kreuzkogel hinterließen markante Zeichen im ansonsten so schöngeistigen Kurdorf. Das kann man good oder bad finden, übersehen kann man es nicht.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Der nächstgelegene Flughafen ist Salzburg. Bad Gastein liegt an der Tauernstrecke und ist gut per Bahn zu erreichen; aufgrund von Bauarbeiten gibt es phasenweise Schienenersatzverkehr.
Wo wohnt man gut? „Badeschloss“: Auf der Dachterrasse gibt es ein Instagram-taugliches Schwimmbecken mit Panoramablick. 102 Zimmer mit frei stehenden Badewannen, ein Terrassen-Café und ein Restaurant mit internationaler Küche, Doppelzimmer ab 140 Euro (urban-nature.de). „The Comodo“: Die Architektin Barbara Elwardt verwandelte ein 1960 erbautes Erholungsheim in ein Refugium mit Mid-Century-Möbeln, Spa mit Pool sowie Restaurant mit regional-saisonaler Küche, die 70 Zimmer bieten Aussicht ins Tal, Doppelzimmer ab 170 Euro (thecomodo.com). „Villa Excelsior“: Inhaber Christoph Erharter sanierte die Ende des 19. Jahrhunderts gebaute Villa und richtete sie mit Möbeln aus der Gründerzeit ein. So entstand ein ungewöhnliches Gästehaus mit Thermalbad und Gartenterrasse, Doppelzimmer ab 157 Euro (villa-excelsior.at).
Wo isst man gut? „Straubinger Saal“: Traditionelle österreichische Küche – Tartar vom Almochsen, Tafelspitz, Topfenstrudel – gibt es im historischen Speisesaal des „Grand Hotel Straubinger“. „Good Pizzeria“: rot lackierte Kastendecke, Campari-Spritz als Haus-Apéro, italienische Schlagermusik aus den 70er-Jahren und die besten Pizzen weit und breit. „Café Schuh“: Der Italiener Remo de Joris kam der Liebe wegen nach Bad Gastein und führt das plüschige Café auch nach dem Tod seiner Frau weiter. Es gibt Strudel, Kaiserschmarrn und gelegentlich eine Portion Pasta.
Weitere Infos: gastein.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Gasteinertal Tourismus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
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