Es gibt Spötter, etwa in Norwegen oder Dänemark, die meinen, die Schweden übertreiben es mit ihrer Fika-Tradition. Sie sagen: Wir trinken doch auch ständig Kaffee – und brauchen kein eigenes Wort dafür. Die Schweden könnten darauf antworten: Ihr habt das Prinzip nicht verstanden! Fika ist mehr als ein Kaffeeklatsch, mehr als nur ein Koffeinkick zwischendurch.

Fika ist eine Haltung mit einem festen Platz im Tageslauf, morgens gegen zehn, nachmittags gegen drei. Und auch dazwischen, wenn es passt.

Wie andere große schwedische Begriffe mit vier Buchstaben – Abba, Ikea – ist Fika zu einem Markenzeichen des Landes geworden und fest verankert in seinem Selbstverständnis. Das Wort ist auf eine spielerische Umkehrung der Silben von „Kaffi“ zurückzuführen, der alten Schreibweise von Kaffee. Gerade in der Hauptstadt Stockholm lebt das Ritual fort.

Die nordische Metropole muss sich mit ihren vielen Cafés und Konditoreien nicht hinter Wien oder Paris verstecken. Wer als Besucher das Land verstehen möchte, sollte sich Zeit für eine Kaffeepause nach Schwedenart nehmen.

Die 24 Jahre alte Michelle Ecklund hat gerade ihr Tourismusstudium abgeschlossen und arbeitet nun für ein Hotel in der Stadt. Mit ihren Kollegen pflegt sie die Tradition täglich. Sie zählt auf, was eine echte Fika ausmacht: „Natürlich eine gute Tasse Kaffee, mindestens ein Stück Gebäck und mindestens eine weitere Person.“

Fika ist kein Einzelsport, solo funktioniert die Pause nicht. Ihr Sinn und Zweck ist die Zusammenkunft, die Geselligkeit – im Sommer, aber auch in den langen skandinavischen Wintern. Die Anlässe reichen vom Kleinen bis zum Großen, vom Innehalten im Alltag bis zum Kennenlernen der künftigen Schwiegereltern. Eine Fika passt immer, selbst nach einer Hochzeit oder als Trost nach einer Beerdigung.

Fika mit sieben Sorten Gebäck

So vielseitig wie die Anlässe sind die Möglichkeiten der kulinarischen Ausgestaltung. Annie Hesselstad, eine landesweit bekannte Konditorin, die bereits zweimal die Desserts für die feierlichen Abendessen der Nobelpreisträger zubereitet hat, liebt den Aufwand auch im Privaten. Ein Stück Gebäck reicht ihr nicht. Schuld ist ihre traditionsbewusste Großmutter. Wer die alte Dame zum Kaffee besuchte, bekam von ihr, wie es die Sitte vorschrieb, „sju sorters kakor“ – sieben Sorten Gebäck.

Alle selbst gebacken und liebevoll angerichtet. Eine unerwartete Opulenz in einem Land, das von protestantischer Sparsamkeit geprägt ist. Hesselstad wird am nächsten Tag nach Berlin fliegen, wo ihr Bruder lebt. Im Gepäck hat sie für ihn dabei: sieben Sorten Gebäck.

Michelle Ecklund genügt hingegen für ihre Kaffeepause eine Zimt- oder Kardamomschnecke – Kanelbullar oder Kardemummabullar: „Aber gut muss sie sein, nicht dieses Fertigzeug aus der Backfabrik.“ Zu den besten Adressen zählen für sie in der Altstadt Gamla Stan die „Skeppsbro Bageri“ und gleich neben dem Stadtschloss das „Café Schweizer“, eine Institution seit 1920.

Die Besonderheit dort: Je nach Saison lässt man sich bei Gebäck und Speisen von den 25 schwedischen Landschaften inspirieren. Wer es herzhaft mag, probiert „klassisk Västerbottenpaj“, eine Art Quiche mit würzigem Västerbotten-Käse.

Im Stadtteil Norrmalm, keine zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof T-Centralen entfernt, empfiehlt Michelle die Konditorei „Vete-Katten“. Auch in ihren holzgetäfelten Räumen wird die Fika schon seit fast einhundert Jahren an kleinen runden Tischen fast wie im Wiener Kaffeehausstil zelebriert.

Ins Schweden der Fünfziger zurückversetzt

Klassiker der schwedischen Zuckerbäckerei türmen sich in den Theken: die berühmte Prinzessinnentorte in grünem Marzipanmantel mit Puderzuckerschnee, Schokoladenkuchen mit Kaffeeglasur und Kokosraspeln, die Buttercreme-Torte Oscar II mit Mandelkruste. Im „Vete-Katten“ scheint die Zeit stillzustehen, und genau das macht den Reiz aus.

Eine Zeitreise ist auch der Besuch in der „Chic Konditori“ am Mariatorget in Södermalm. Bei ausgezeichneten Kuchen und Torten fühlt man sich ins Schweden der 1950er-Jahre zurückversetzt. Die alten Damen, die sonntags hierher aus den Gründerzeithäusern des Stadtteils strömen, sind so rustikal im Umgang wie die Bedienungen und kennen kein Pardon, wenn man sich an der Kuchentheke vordrängelt.

Mit der Fähre geht es weiter in den eleganten Stadtteil Östermalm, wo die „Tössebageriet“ eine andere Fika-Ikone in der Vitrine hat: Semla. Unbedingt probieren! Man kennt das weiche Hefebrötchen mit Kardamom, Mandelmasse und geschlagener Sahne auch in Finnland und Estland. Ursprünglich war es eine Fastenspeise, ein letztes üppiges Mahl vor der Enthaltsamkeit. Heute findet man die Brötchen schon ab Januar in fast jeder schwedischen Bäckerei, manchmal schon ab Weihnachten, zum Verdruss konservativer Semla-Liebhaber.

Für eine Fika im Grünen bietet sich „Rosendals Trädgård“ auf der Insel Djurgården an, nur eine Viertelstunde mit dem Fahrrad vom Zentrum entfernt. Seit fast 40 Jahren fördert dort eine Stiftung biodynamische Landwirtschaft und verfolgt das Konzept „vom Hof auf den Tisch“. Gerade im Sommer ist das Gartencafé mit Blick auf Obstbäume und Beete ein wunderbarer Platz. In der Hofbäckerei kaufen die Stockholmer gleich noch ihr Brot für zu Hause.

Cool und hip geht schwedischer Kaffeeklatsch natürlich auch. Zum Beispiel im „Socker Sucker“ an der Drottninggatan im Stadtteil Vasastan. Es ist eines von Annie Hesselstads Lieblingslokalen.

Mit Plüsch und üppigen Sahnetorten haben die Inhaber, Frida Bäcke und Bedros Kabranian, nichts am Hut. Beide waren Mitglieder der schwedischen Nationalmannschaft der Köche und gewannen Goldmedaillen auf internationalen Wettbewerben. Es gibt Schokoladentörtchen, knusprige Mille-feuille und mit Zitronencreme gefüllten Croissants, außerdem Zimt- und Kardamomschnecken in modernen Varianten. Am Wochenende bilden sich Warteschlangen vor dem kleinen gläsernen Café.

Nicht weniger beliebt bei jungen Stockholmern ist das „Drop Coffee“ zwischen Secondhand-Geschäften und Designstudios in Södermalm. Hier geht es vor allem um den Kaffee. Baristas erklären Herkunft und Röstung, bieten kleine Tastings an. Und man kommt dabei schnell mit den anderen Gästen ins Gespräch. Denn das ist vielleicht das Schönste an der Fika-Tradition: In einer Kultur, die sonst auf Zurückhaltung und Distanz bedacht ist, schafft der Kaffeeklatsch ein wenig Nähe.

Tipps und Informationen

Wie kommt man hin? Nonstopflüge nach Stockholm gibt es von diversen deutschen Flughäfen, etwa mit SAS, Norwegian, Eurowings, Lufthansa, Ryanair. Wer will, kann auch von Hamburg oder Berlin aus mit dem Nachtzug anreisen, es gibt zwei Anbieter: die schwedische Bahngesellschaft SJ (sj.se/en) oder den Privatanbieter Snälltåget (snalltaget.se/en).

Wo wohnt man gut? „Hotel Skeppsholmen“ auf der gleichnamigen kleinen Insel, man fühlt sich wie auf dem Land, ist aber mitten in Stockholm; die Studios von Abba liegen direkt vor der Tür, Doppelzimmer ab 270 Euro (hotelskeppsholmen.se); „Miss Clara“, neues Stadthotel der Nobis-Gruppe, eher kleine Zimmer, aber zentral gelegen und gutes Frühstück, Doppelzimmer ab 218 Euro (missclarahotel.com)

Weitere Infos: visitsweden.de, visitstockholm.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Sweden. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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