Die Waffenlieferungen an die Ukraine sollen der Öffentlichkeit künftig nicht mehr im Detail kommuniziert werden. Darauf verständigten sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

„Da werden böse Erinnerungen wieder wach an die Zeit, als die Ampel-Regierung im Frühjahr 2022 mit Geheimhaltung fehlende Militärunterstützung verschleiern wollte“, kommentierte der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, das Vorgehen. Damals hatte Merz als Oppositionsführer noch deutliche Kritik an der fehlenden Kommunikation geübt – und versprochen: „Ich würde die Öffentlichkeit besser informieren.“

Dass dies nun nicht der Fall sein soll, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit einer „strategischen Ambiguität“ am Montag vor der Hauptstadtpresse. Einzelheiten der deutschen Unterstützung sollten Russland bewusst vorenthalten werden – eine Praxis, die auch andere europäische Regierungen anwendeten. Andernfalls könne Russland daraus Rückschlüsse ziehen, die die Ukraine militärisch gefährden könnten, sagte Michael Stempfle, Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Siemtje Möller, erklärt die Entscheidung der Bundesregierung für richtig. „Je weniger Russland in öffentlichen Einlassungen erfährt, desto besser für die Ukraine“, sagt sie WELT.

„Regierung erinnert an die Art von Olaf Scholz“

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, nennt Merz‘ Kurswechsel „wenig glaubwürdig bis verlogen“. Weiter sagt sie: „Auch in der wichtigen Frage nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gibt die Regierung ein Bild maximaler Unklarheit ab und erinnert an die Art von Olaf Scholz.“ Man frage sich, ob Merz‘ Worte nur Show gewesen seien, sagt sie mit Blick auf frühere Forderungen des CDU-Vorsitzenden nach Taurus-Lieferungen in die Ukraine.

Sören Pellmann, Vorsitzender der Linke-Fraktion, vermutet hinter dem Geheimhaltungsplan der schwarz-roten Koalitionsspitzen ein Motiv: „Es ist offensichtlich, dass Friedrich Merz damit die Öffentlichkeit täuschen will und somit unter dem Mantel der ‚Geheimhaltung‘ Taurus-Raketen an die Ukraine liefern will. Das wäre eine weitere Eskalation, die die Linke entschieden ablehnt.“ Zudem fordere die Linke einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen.

Stempfle antwortete am Montag auf das Thema Taurus angesprochen: „Es gibt so eine Konzentration auf ein Waffensystem und alle erhoffen sich davon Wunder. Das wird völlig überbewertet.“ Das Thema habe im Diskurs einen Punkt erreicht, der die Realität nicht mehr spiegele, sagte Kornelius: „Einzelne Waffensysteme hier aus kriegstaktischer Sicht zu diskutieren, würde uns, glaube ich, wahrscheinlich alle überfordern.“ Aus diesem Grund werde man sich diesbezüglich nicht weiter äußern.

Wagenknecht fordert Volksabstimmung über Taurus

BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht sagt WELT: Die Öffentlichkeit über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mehr zu informieren, sei eine „Frechheit“. „Die Steuerzahler, die das Ganze immerhin bezahlen, haben ein Recht darauf zu erfahren, welche Waffen für wie viele Milliarden Deutschland liefert.“ Auch sie vermutet – wie Pellmann – die Möglichkeit einer geheimen Taurus-Lieferung sei der Grund dahinter. Weiter schreibt Wagenknecht: „Das wäre nicht nur eine Kriegserklärung an Russland, sondern auch eine Kapitulationserklärung an unsere Demokratie.“

Sie fordert: „Bevor Taurus geliefert wird, muss es eine Volksabstimmung zu der Frage geben. Über Krieg oder Frieden in Deutschland sollte die Bevölkerung wenigstens selbst entscheiden können. Es darf nicht sein, dass die Öffentlichkeit bei Ukraine-Thema abgeschaltet wird und wir dann plötzlich in einem Nuklearkrieg aufwachen.“

Die Fraktionen von Union und AfD schickten keine Antwort auf eine WELT-Anfrage.

Es gibt eine Reihe von Argumenten für eine transparente Veröffentlichung aller Waffenlieferungen an die Ukraine: So erlaubt sie eine öffentliche Debatte und damit auch demokratische Teilhabe der Bürger. Gleichzeitig sendet eine transparente Kommunikation Signale an Verbündete und stärkt die gemeinsamen Bemühungen – sowie auch eine Botschaft an Russland, womit sie unter Umständen der Abschreckung dienen kann. Und schließlich ist ein Mehr an Informationen immer auch ein Mittel gegen Desinformation und Propaganda.

Andererseits kann neben einer möglichen Gefährdung der Ukraine auch das Eskalationsrisiko steigen und Russland geplante Lieferungen als Provokation auffassen. Dadurch können diplomatische Bemühungen erschwert werden. Andere Staaten können durch die Veröffentlichung von Waffenlieferungen aus Deutschland indirekt unter Druck gesetzt werden. Auch innenpolitisch kann eine öffentliche Kommunikation zu Spannungen führen – vor allem in einer ohnehin schon polarisierten Debatte.

Nicht nur die Parteien sind uneins, wie das neue Vorgehen der Bundesregierung zu bewerten sei. Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger begrüßt der aktuelle ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev die Entscheidung der Bundesregierung zur Geheimhaltung. Er sagte n-tv: „Ein guter Schachspieler denkt mehrere Züge voraus. Was er nicht tut, ist, diese Züge seinem Gegner vorherzusagen.“ Weiter sagte er: „Deutschland wird liefern. Und wir wissen genau, was und wann.“

Uma Sostmann ist Volontärin bei WELT. Ihr Stammressort ist die Innenpolitik.

Der Politische Korrespondent Thorsten Jungholt schreibt seit vielen Jahren über Bundeswehr, Sicherheitspolitik und Justiz. Seinen Newsletter „Best of Thorsten Jungholt“ können Sie hier abonnieren.

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