Diese Frau steuert den Ausverkauf der FDP
Am Anfang der Woche, in der Friedrich Merz Kanzler wird, verlässt Christine Aschenberg-Dugnus ihr Büro im Bundestag und macht sich auf den Weg ins Bermuda-Dreieck. Mit dem Fahrstuhl gleitet sie in den Keller des Jakob-Kaiser-Hauses hinab. In Raum 626, einem zweckmäßigen Lager, warten schon zwei Kolleginnen, denen sie ein fröhliches „Hallo!“ zuruft. Dann streift ihr Blick über die Probleme, die sie und ihr Team lösen sollen.
Der Raum ist vollgestopft mit Dingen: Computermonitore und Fernseher, Flipcharts und Kopierer, kistenweise Verlängerungskabel. Dazwischen: FDP-Poster, FDP-Banner, ein FDP-Rednerpult. Es sind Überbleibsel einer Fraktion, die aus dem Bundestag geflogen ist. Nur 4,3 Prozent der Wähler stimmten im Februar für die Liberalen.
In dieser Woche will die FDP auf einem Bundesparteitag den Neuanfang proben. Doch während die einen schon an die Zukunft denken, arbeitet Aschenberg-Dugnus noch daran, die Spuren der Vergangenheit verschwinden zu lassen. „Das ist ein Wahnsinnsaufwand“, sagt sie.
Aschenberg-Dugnus, 65, trägt einen Blazer in Magenta, einer der FDP-Farben. Für die Liberalen saß sie zwölf Jahre lang im Bundestag, zuletzt als Parlamentarische Geschäftsführerin. Jetzt hat sie einen ungewöhnlichen Job: Gemeinsam mit zwei anderen ehemaligen Abgeordneten und rund einem Dutzend Mitarbeitern liquidiert sie die Fraktion.
Sie und ihre Kollegen kündigen digitale Zeitungsabos und Verträge mit IT-Dienstleistern. Wenn Rechnungen offen sind, sorgen sie dafür, dass sie bezahlt werden. Die größte Herausforderung ist es, all die Dinge loszuwerden, die die Fraktion angeschafft hat, seit sie 2017 wieder ins Parlament einzog. Man kann sich das Ganze wie eine riesige Wohnungsauflösung vorstellen.
Zwei Räume stellt die Bundestagsverwaltung als Lager zur Verfügung. Einen davon, eine fensterlose Kammer auf der anderen Seite des Flurs, nennen die Mitarbeiter das Bermuda-Dreieck. Dort stapeln sich Kühlschränke und Kaffeemaschinen, Mikrowellen und Sessel. Von einem Werbeschild schaut Christian Lindner auf das Chaos, der bisherige Parteichef.
„Sinn unserer ganzen Aktion hier ist die Verwertung“, sagt Aschenberg-Dugnus. Jeden einzelnen Gegenstand muss das Team erfassen. „Wenn etwas noch einen Wert hat, dann muss es verkauft werden. Über allem steht: So viel wie möglich muss in Geld umgewandelt werden.“ Für einen Wegweiser zum nächsten WC gibt es vielleicht ein paar Euro. Der Erlös fließt an den Bundestag zurück; der Bundesrechnungshof kontrolliert, ob alles mit rechten Dingen zugeht.
Schon aus rechtlichen Gründen muss das Team versuchen, alles zu verkaufen – schließlich hat die Fraktion einst Steuergeld dafür ausgegeben. „Die Frage ist, wer will vier Jahre alte AirPods haben, die in einem fremden Ohr waren? Solche Sachen würde ich gerne verschenken. Das dürfen wir aber nicht.“ Nur was sich gar nicht verkaufen lässt, kann unter Umständen gespendet oder muss verschrottet werden.
Im Bermuda-Dreieck steht an diesem Nachmittag eine blonde Frau mit Brille. Andrea Wronker berichtet, dass sie Stifte gezählt habe. Sie engagiert sich seit Jahrzehnten für die FDP. 1982 habe sie in der Parteizentrale als Telefonistin angefangen, später in der Friedrich-Naumann-Stiftung gearbeitet, zuletzt für die Parlamentarische Geschäftsführung im Bundestag. Wronker sagt nicht „FDP“, sie sagt „liberale Familie“.
Mit leiser Stimme erklärt sie: „Ich neige dazu, Arbeit zu machen, die andere nicht so gerne machen. Wer zählt schon gerne Stifte?“ Ihr gehe es darum, etwas zu bewirken. „Keiner hat mir gesagt, dass ich das machen muss. Ich mache das, weil es dazugehört. Das ist eine Erfüllung.“ In ihren Augen blitzt der Stolz eines Menschen, der weiß, dass er Teil von etwas Großem ist.
Sie und die anderen Mitarbeiter werden aus Rücklagen der Fraktion bezahlt. Die Liquidatoren selbst bekommen kein Gehalt. Aschenberg-Dugnus ist nach der Bundestagswahl in ihren alten Job als Anwältin zurückgekehrt, sie hat eine Kanzlei in Strande an der Ostsee. Der FDP habe sie viel zu verdanken, sagt sie. Jetzt wolle sie etwas zurückgeben.
Bei der Suche nach Käufern gehen die Liquidatoren in mehreren Schritten vor. Zuerst fragen sie die Fraktionsmitarbeiter, ob sie ihr Diensthandy oder ihren Arbeitslaptop übernehmen wollen. Wenn ja, muss das Team den marktüblichen Preis herausfinden. Niemand soll am Ende sagen können, die FDP habe Geschenke verteilt. Bei älteren Geräten von Apple steht der Preis auf der Seite des Herstellers, bei anderen orientieren sich die Liquidatoren an Anzeigen im Internet. Im zweiten Schritt werden externe Abnehmer gesucht. An Bildschirmen, Tastaturen und Mäusen könnten andere Fraktionen oder Firmen ein Interesse haben, der Rest wird möglicherweise versteigert.
Aschenberg-Dugnus trat 1997 in die Partei ein, gemeinsam mit ihrem Mann. Sie startete in der Kommunalpolitik, war zehn Jahre lang Gemeindevertreterin in Strande, dann Fraktionsvorsitzende im Kreistag. 2009 zog sie in den Bundestag ein, 2013 flog sie mit den anderen FDP-Abgeordneten raus, 2017 kam sie wieder rein.
Diesmal geht sie freiwillig. Bei der jüngsten Wahl ist sie nicht mehr angetreten. „Ich habe mich nie als Berufspolitikerin gesehen, sondern als Rechtsanwältin. Ich habe Politik auf Zeit gemacht. Demokratie und Parlamentarismus leben vom Wandel.“ Trotzdem sei das Wahlergebnis wie „ein Schlag in die Magengegend“ gewesen. Sie habe an ihre Mitarbeiter gedacht, die plötzlich keine Aussicht mehr darauf hatten, im Büro eines anderen Abgeordneten unterzukommen.
Auf die Frage, welche Fehler die FDP gemacht hat, weicht Aschenberg-Dugnus aus. „Ich glaube, wir müssen das in Ruhe aufarbeiten. Wir haben sicher Fehler gemacht. Aber ich würde nicht sagen, der oder die ist schuld. Man gewinnt zusammen oder man verliert zusammen.“ Sie sieht es so: Dass eine Fraktion aus dem Parlament fliege, gehöre zur Demokratie. Jetzt müsse sich eben jemand um die Liquidation kümmern.
Man könnte sagen, dass Aschenberg-Dugnus die Drecksarbeit macht. Es ist wie der Morgen nach einer großen Party. Während die anderen noch verkatert die Fehler der Nacht rekapitulieren, kehrt sie die Scherben auf.
Am Wochenende wird sie als Delegierte zum Bundesparteitag fahren. Sie hofft, dass die Liberalen dort nicht nur über Personal, sondern auch über ihr Programm sprechen werden. „Die Bevölkerung darf nicht erst ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wissen, was die FDP zu Thema X, Y, Z denkt. Das geht nur, wenn jeder, der in Verantwortung ist, sich äußert. Dazu muss man nicht im Parlament sein.“
Auch die Aufräumarbeiten im Bundestag seien ein Schritt in die Zukunft. „Mit der Liquidation leisten wir einen Beitrag zum Wiederaufbau der Partei. Deswegen mache ich das auch gerne.“ Bis sie fertig ist, sagt Aschenberg-Dugnus, werde es sicher ein Jahr dauern. „Wir sind eine rein digitale Fraktion, das beschleunigt den Prozess. Als wir 2013 rausgeflogen sind, war das noch anders.“ Die FDP ließ damals – nach sechs Jahrzehnten im Bundestag – so viel Papierkram zurück, dass er bis heute nicht ganz aufgearbeitet worden sei. Ein kleines Team schreddere noch immer Akten.
Sebastian Gubernator ist Redakteur im Ressort Nachrichten & Gesellschaft. In den vergangenen Monaten war er immer wieder im Bundestag, um den Auszug der FDP zu begleiten.
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