Kein Job für Konfessionslose? Karlsruhe kippt Kirchen-Urteil
Viele Gerichte haben sich schon mit der Frage befasst, ob kirchliche Arbeitgeber bei Einstellungen eine bestimmte Religionszugehörigkeit von Bewerberinnen und Bewerbern fordern dürfen oder nicht. Vor sieben Jahren legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) dafür bestimmte Vorgaben fest und schränkte damit die Freiheit der Kirchen als Arbeitgeber ein. Doch Karlsruhe übt Kritik - und hob das Urteil nun wieder auf.
Die Diakonie war damals im Oktober 2018 zur Zahlung einer Entschädigung an eine konfessionslose Bewerberin verurteilt worden, weil sie die Frau nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen und sie damit nach Ansicht des Gerichts aus religiösen Gründen benachteiligt hatte. Der Verein wehrte sich in Karlsruhe mit einer Verfassungsbeschwerde - erfolgreich. Das BAG-Urteil habe die Diakonie in ihrem Recht auf religiöse Selbstbestimmung verletzt, erklärte der zweite Senat - und verwies die Sache zurück nach Erfurt. (Az. 2 BvR 934/19)
Die Evangelische Kirche und die Diakonie begrüßten den Karlsruher Beschluss. "Das höchste deutsche Gericht hat für Klarheit gesorgt. Kirche und Diakonie dürfen in ihrer Einstellungspraxis in begründeten Fällen eine Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeitenden voraussetzen", sagte Diakonie-Vorstand Jörg Kruttschnitt. "Dies steht nicht im Widerspruch zum europäischen Antidiskriminierungsrecht". Die theologische Wertung und Überprüfung obliege dabei den kirchlichen Arbeitgebern und nicht staatlichen Gerichten.
Konfessionslose Klägerin sah Diskriminierung
Angefangen hatte der konkrete Fall im Jahr 2012: Eine Sozialpädagogin aus Berlin bewarb sich damals auf eine von der Diakonie ausgeschriebene Referentenstelle für das Projekt "Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention". Der Verein hatte in der Ausschreibung die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche verlangt. Die Frau machte in ihrer Bewerbung keine Angaben zu ihrer Konfession.
Von 38 Bewerbern wurden vier zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie gehörte nicht dazu. Ausgewählt wurde am Ende laut früheren Gerichtsangaben ein Bewerber deutsch-ghanaischer Herkunft, der sich als evangelischer Christ bezeichnete. Die Sozialpädagogin sah sich wegen ihrer Konfessionslosigkeit diskriminiert und klagte sich seit 2013 mit der Forderung auf eine Entschädigung von rund 9.800 Euro durch die Instanzen.
Erfurt hatte Luxemburg angerufen
Am BAG hatte sie im Herbst 2018 dann Erfolg. Die Erfurter Richterinnen und Richter verurteilten die Diakonie zur Entschädigungszahlung. Sie legten in dem Grundsatzurteil fest, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal eine Religionszugehörigkeit von Bewerberinnen und Bewerbern verlangen dürfen. Eine solche dürfe bei Einstellungen nur zur Bedingung gemacht werden, wenn das für die konkrete Tätigkeit objektiv geboten sei.
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Die höchsten deutschen Arbeitsrichter folgten damit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg, dem sie den Fall zuvor vorgelegt hatten. Er sollte klären, ob die Praxis der Kirchen, die Konfession zum Einstellungskriterium zu machen, mit der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbar ist, die Arbeitnehmer vor Diskriminierung wegen Religion schützt.
Wie später auch das BAG waren die Richterinnen und Richter in Luxemburg der Meinung, dass Kirchen zwar eine "mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung" stellen dürfen. Dies gelte aber nur, wenn diese Bedingung bei der jeweiligen Tätigkeit "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation" darstelle.
Recht auf Selbstbestimmung betont
Der Bonner Professor für Arbeitsrecht, Gregor Thüsing, nannte den Beschluss aus Karlsruhe nun eine "dogmatisch überzeugende und rechtspolitisch kluge Entscheidung". Der Konflikt mit dem EuGH werde vermieden. Der Fehler habe demnach nicht beim EuGH, sondern beim BAG gelegen. "Das Erfurter Gericht sah sich fälschlich auch da gebunden, wo es das nicht war".
Zu Recht habe der Senat die besondere Bedeutung des kirchlichen Rechts auf Selbstbestimmung betont, so Thüsing. Für die Kirchen bedeute dies: "Sie müssen künftig deutlich machen, warum die Religionszugehörigkeit eine Relevanz für die Stelle hat. Sie werden diese nicht bei jeder Stelle einfordern können, aber es reicht, dass sie das für die konkrete Stelle plausibel darlegen". Das hätten die Kirchen in ihren neuen Regelwerken bereits umgesetzt.
Kirchen sind große Arbeitgeber
"Das Verfassungsgericht hat unseren Spielraum bestätigt – damit gehen wir sehr verantwortungsvoll um", sagte Stephan Schaede, Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das zeige auch die neue Mitarbeitsrichtlinie der Kirche. Die generelle Voraussetzung einer evangelischen Kirchenmitgliedschaft wurde Anfang 2024 daraus gestrichen. Sie ist seitdem nur Voraussetzung, wenn sie für die Stelle "erforderlich und wichtig" ist. Das gilt laut EKD etwa in der Seelsorge, Verkündigung oder evangelischen Bildung.
Die Kirchen sind große Arbeitgeber in Deutschland. Die Frage, mit der sich die Gerichte in Berlin, Erfurt, Luxemburg und nun Karlsruhe beschäftigt haben, hat daher für viele Menschen eine große Bedeutung. Die evangelische Kirche hat nach eigenen Angaben rund 240.000 Mitarbeitende, bei der Diakonie arbeiten zudem 687.000 Menschen. Bei der katholischen Kirche sind nach eigenen Angaben rund 180.000 Mitarbeitende in der verfassten Kirche und rund 740.000 Mitarbeitende bei dem Wohlfahrtsverband Caritas angestellt.
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