„Steuerpolitik muss Fleiß und Leistung wertschätzen und darf kein Klassenkampf sein“
Zwischen Union und SPD bahnt sich ein Koalitionsstreit über die Steuerpolitik an. Die Unionsfraktion im Bundestag äußerte sich zurückhaltend zur SPD-Forderung, eine Entlastung kleiner und mittlerer Gehälter in der Einkommensteuer umzusetzen – und wies den Vorstoß zurück, im Gegenzug Top-Verdiener stärker zu belasten.
„Wir teilen das Ziel, kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und an dieser Zielsetzung halten wir fest“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger, WELT. Sein CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte vor einigen Monaten die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Entlastungen als „nicht fix“ bezeichnet und erklärt: „Die Einkommensteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.“
Fraktionsgeschäftsführer Bilger betonte, eine Anhebung der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz sei seit Langem eine zentrale Forderung der Union – „darüber sprechen wir gerne mit dem Koalitionspartner“. Dann fügte der CDU-Politiker aber hinzu: „Eine gerechte Steuerpolitik darf kein Klassenkampf sein, sondern muss Fleiß und Leistung wertschätzen.“ Wer täglich Verantwortung übernehme – ob als Facharbeiter, Handwerker oder Unternehmer, – verdiene Anerkennung und keine höheren Abgaben.
Die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben sei in Deutschland ohnehin schon sehr hoch, so Bilger. „Gleichzeitig haben wir Rekord-Steuereinnahmen. Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sind Steuererhöhungen das falsche Signal. Sie schaden dem Rückgrat unseres Mittelstandes, gefährden Investitionsfähigkeit und Arbeitsplätze.“ Stattdessen seien wirtschaftsfördernde Maßnahmen und Reformen erforderlich, um die Kosten für die Sozialsysteme zu senken. „Davon profitiert die arbeitende Mitte in unserem Land am meisten.“
Zuvor hatte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, gefordert, neben der Entlastung für Gering- und Durchschnittsverdiener „sehr hohe Einkommen stärker“ zu belasten. „Das stellen wir offen zur Diskussion“, sagte Wiese dem „Stern“. „So macht es die Union auch bei Themen, die ihr wichtig sind.“
Aus der AfD-Fraktion kam Grundsatz-Kritik: „Die SPD versucht mit dieser Forderung, ihren verlorenen Titel ‚Arbeiterpartei‘ erneut zu forcieren“, sagte der AfD-Finanzpolitiker Kay Gottschalk und sprach von „heißer Luft“. Deutschland habe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem, verschwende Steuergeld und müsse etwa seine EU-Beiträge einer strikten Ausgabenkontrolle unterwerfen.
Die Republik falle als Investitionsstandort zurück, und „die dringend benötigten Fachkräfte bleiben aufgrund der zweithöchsten Steuer- und Abgabenbelastung der Welt unserem Land fern“. Die AfD trete deshalb für einen einheitlichen Steuersatz ein sowie für die Abschaffung von Grund-, Gewerbe- und Erbschaftsteuer sowie des Solidaritätszuschlages. Einkommensteuer und Unternehmensteuerrecht sollten reformiert werden.
Die Grünen warnten die schwarz-rote Koalition vor einem neuerlichen Wortbruch: „Friedrich Merz und Lars Klingbeil haben im Koalitionsvertrag versprochen, die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zu senken. Jetzt bahnt sich der nächste Wortbruch an“, sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch WELT.
„Die Koalition hat zuerst dutzende Milliarden Steuersenkungen für das reichste ein Prozent der Bevölkerung auf den Weg gebracht“, so Audretsch mit Blick auf den von Union und SPD beschlossenen sogenannten Investitionsbooster. Das Paket umfasst erleichterte Abschreibungsmöglichkeiten und Steuersenkungen für Unternehmen, die großteils im Privatbesitz sind. Audretsch kritisierte, zugleich habe die Koalition verkündet, „es wäre kein Geld mehr da, die Stromsteuer für alle zu senken“. „Friedrich Merz macht diese Koalition zu einer Regierung der Ultra-Reichen. Das ist Politik gegen die breite Bevölkerung.“
Die Linke forderte weitreichende Schritte. „Natürlich ist eine Einkommensteuerreform genauso überfällig wie die Wiedereinführung der Vermögensteuer“, sagte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Es sei „unerträglich und zutiefst ungerecht“, dass harte Arbeit in diesem Land hoch und hauptsächlich leistungslos vererbtes Vermögen kaum besteuert werde.
Die Linke habe ein Konzept vorgelegt, nach dem alle, die bis zu 7000 Euro brutto pro Monat verdienten, am Ende mehr herausbekämen und der Bundeshaushalt dennoch dutzende Milliarden Mehreinnahmen verbuchen könne. „Dafür müsste sich die Regierung nur trauen, Reichtum angemessen zu besteuern, und Multimillionäre und Multimilliardäre an der Finanzierung unserer Gesellschaft beteiligen.“
Claudia Kade ist Politik-Chefin bei WELT.
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