Die Luftbrücke für Gaza? Reiche bei weitem nicht aus, meint SPD-Chefaußenpolitiker Adis Ahmetovic. Im Interview fordert er Evakuierungsflüge – und übt Kritik an der Regierung.

Die Bundesregierung will sich an einer Luftbrücke in Gaza beteiligen. Was kann die bringen?
Eine Luftbrücke über Gaza ist richtig. Sie reicht aber bei weitem nicht aus und kann nur ein kleines Mosaikstück bei der humanitären und medizinischen Versorgung der Menschen in Gaza sein. Solange es keinen stabilen humanitären Korridor am Boden gibt und die israelische Regierung den Zugang für LKW-Konvois weiter einschränkt, bleibt die humanitäre Lage in Gaza katastrophal. Kinder verhungern vor unseren Augen. Eine Luftbrücke ist auch aus technischer wie politischer Sicht problematisch.

Inwiefern?
Das Urteil von Expertinnen, Experten und Hilfsorganisationen ist eindeutig: Eine Luftbrücke ist ineffizient, weil nur eine sehr geringe Menge an Hilfsgütern transportiert werden kann. Gleichzeitig ist der Zugang zu den abgeworfenen Hilfsgütern für die Bevölkerung oft wegen fehlender Koordinierung am Boden unsicher. Die politische Verantwortung für die gezielt herbeigeführte humanitäre Katastrophe wird außerdem auf die internationale Gemeinschaft verlagert, während die israelische Regierung ihre Pflicht zur Versorgung der Zivilbevölkerung gemäß den Genfer Konventionen verletzt. 

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Was fordern Sie neben der Luftbrücke?
Es braucht mehr als nur Notlösungen. Der uneingeschränkte Zugang für Hilfsorganisationen ist fundamental, der muss über Landrouten unter internationaler Aufsicht erfolgen. Eine Waffenruhe muss mit sofortiger Wirkung in Kraft treten. Es ist aus unserer Sicht an der Zeit, bestehende Kooperationen wie das Assoziierungsabkommen ganz oder teilweise auszusetzen. Deutsche Waffen dürfen nicht für völkerrechtswidrige Einsätze verwendet werden. 

Darüber herrscht in der Koalition aber keine Einigkeit.
Es gibt andere Möglichkeiten für ein stärkeres Engagement. Eine bisher viel zu selten diskutierte, aber dringend notwendige Maßnahme ist die medizinische Evakuierung von zum Beispiel schwerverletzten Kindern. Deutschlands Beitrag dazu geht aktuell gegen null. Hier müssen wir uns ebenfalls mit Frankreich und Großbritannien abstimmen, die ähnliches planen. Spanien ist bereits vor einem Jahr vorangegangen, das sollte Vorbild sein. Der Instrumenten-Kasten diplomatischen und politischen Handelns ist groß und nach 21 Monaten weitestgehend noch nicht ausgeschöpft.

Adis Ahmetovic, 32, sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag und ist seit 2025 außenpolitischer Sprecher © Michael Kappeler / DPA

Vor allem die CSU bremst, sie fürchtet, mit allzu israelkritischen Signalen hierzulande die Stimmung weiter anzuheizen. Kümmert Sie das nicht?
Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir verurteilen mit aller Schärfe jede Form von Antisemitismus sowie die Verherrlichung oder Relativierung des barbarischen Terrors der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegen die Menschen in Israel. Wenn es in unserem Land zu solch abartigen Glorifizierungen von Verbrechen kommt, muss die staatliche Gewalt dem mit voller Entschlossenheit entgegentreten – ebenso, wie der Rechtsstaat handeln muss, wenn Nationalfahnen auf öffentlichen Plätzen verbrannt werden. Für uns gilt: Der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels sind nicht verhandelbar. Doch bei dieser notwendigen Klarheit dürfen wir anderswo nicht sprachlos bleiben, wenn es beispielsweise um die Benennung eklatanter Völkerrechtsbrüche geht. 

Der Kanzler mahnt Israel seit Wochen, das Völkerrecht einzuhalten. Das reicht Ihnen nicht?
Es sind Mahnungen, ja. Die Sprachlosigkeit angesichts des Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung – ob im Gazastreifen oder in der Westbank – hat bei vielen Menschen in unserem Land ein tiefes Gefühl von Ohnmacht ausgelöst. Es darf nicht sein, dass Empathie selektiv empfunden oder instrumentalisiert wird. Gerade wir in Verantwortung dürfen das Leid der Kinder in Gaza nicht gegen das Schicksal der Geiseln aufrechnen.

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In der SPD gibt es auch Kritik daran, dass Deutschland ein Papier von 28 Staaten nicht unterzeichnet hat, die von Israel einen sofortigen Stopp des Krieges fordern. Was sollen denn solche Papiere bringen?
Ich habe deutlich gesagt, dass die Bundesregierung an dieser Stelle einen Fehler gemacht hat. Solche europäischen Initiativen setzen wichtige Zeichen. Sie stärken den politischen Druck auf beide Konfliktparteien, vor allem aber auf die militärisch überlegene Seite. Dass Deutschland sich der Initiative verweigerte, schwächt seine Rolle als Akteur für Frieden und Völkerrecht und damit auch insgesamt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

"Hamas trägt Verantwortung für Terror und Gewalt"

Der Druck auf Israel ist das eine. Verantwortlich dafür, dass die Geiseln noch nicht frei sind, ist die Hamas. Warum fällt das in der Debatte gerade unter den Tisch?
Die Hamas trägt Verantwortung für Terror und Gewalt, das ist unbestritten. Und wir fordern ununterbrochen weiter mit aller Deutlichkeit die Freilassung der Geiseln und eine Zukunft für die Palästinenserinnen und Palästinenser ohne die Hamas. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass in den beiden Phasen von Waffenruhen die meisten Geiseln freikamen. 

Davon sind wir gerade weit entfernt.
Aber deswegen können wir ja nicht aufhören, auf einen Waffenstillstand zu drängen. Waffenstillstand und humanitäre Vereinbarungen sind kein Entgegenkommen an die Hamas, sondern ein wirksames Mittel zur Rettung von Menschenleben – auf beiden Seiten. In der vergangenen Woche hat selbst die Ex-Geisel Keith Siegel vor dem fortlaufenden israelischen Militäreinsatz gewarnt – dieser gefährde die Leben der verbleibenden Geiseln. Es war fatal, dass die israelische Regierung am 18. März dieses Jahres das in Doha ausgehandelte Abkommen einseitig aufgekündigt hat. Damit wurde eine realistische Chance auf die Freilassung der Geiseln geopfert zugunsten einer militärischen Eskalation. Diese hat bisher keines der erklärten Ziele erreicht. Also: Der Krieg und das humanitäre Leid müssen beendet sowie die Geiseln freigelassen und internationales Recht wiederhergestellt werden.

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