Der Politologe Thomas Biebricher sieht in dem Fall Brosius-Gersdorf eine Bedrohung für das Bundesverfassungsgericht. „Die ernstzunehmende Gefahr ist, dass es zu einer Politisierung des Bundesverfassungsgerichts kommt“, sagte Biebricher dem Evangelischen Pressedienst. Eine schleichende Autokratisierung führe oft über die Judikative, das sei in den USA, in Ungarn oder Polen zu beobachten.

Man müsse aber „aufpassen, es mit dem Alarmschlagen nicht zu übertreiben“, sagte Biebricher, der an der Goethe-Universität Frankfurt zum Konservatismus forscht. Es hänge davon ab, ob jetzt jede Richterwahl diesem Muster folge. Falls dem so sei, wäre das aber „dramatisch und eine Zäsur“.

Die Wahl von drei neuen Richtern für das höchste Gericht in Deutschland war in der vergangenen Woche vom Bundestag wegen koalitionsinterner Differenzen über die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf kurzfristig vertagt worden. Der von der SPD als Bundesverfassungsrichterin vorgeschlagenen Juristin war fälschlicherweise unter anderem vorgeworfen worden, sie befürworte die Möglichkeit von Abtreibungen bis zur Geburt.

Diese falschen Vorwürfe seien ab einem gewissen Zeitpunkt ein großes Thema für rechte Medienportale und die AfD gewesen, erklärte Biebricher: „Und es gibt Leute in der CDU/CSU-Fraktion, die anfällig dafür sind, sich davon treiben zu lassen.“

Union könne keine schnellen Erfolge vorweisen

Das sei unter anderem eine Folge davon, dass die Union mit der Hypothek einer mangelnden Glaubwürdigkeit in die Koalition gestartet sei. Die „Kehrtwende beim Schuldenmachen“ nannte Biebricher als Beispiel. Viele in der Fraktion und an der Basis fragten sich nun, ob das noch die alte Union sei.

Zudem könne die Union in vielen Politikbereichen unmöglich schnelle Erfolge vorweisen. „Man kann nun mal nicht die Infrastruktur über Nacht sanieren“, erklärte der Forscher. „Das bedeutet zwangsläufig, dass Leute in den Parteien sich fragen, wie ihr Profil erkennbar wird.“ Wenn man dann eine starke Position beim Lebensschutz einnehme oder es ablehne, Regenbogenflaggen am Bundestag zu hissen, sei man sofort erkennbar und habe Aufmerksamkeit.

Darin liege allerdings die Gefahr, Positionen von Rechtsaußen-Parteien wie der AfD zu übernehmen, warnte Biebricher. Die Forschungslage sei sehr eindeutig, dass dies Rechtsaußen-Parteien nur stärke. Er glaube, das habe man sich in der Union noch nicht klargemacht, sagte er.

Als zusätzlichen Faktor, der zu der abgesagten Richterwahl geführt habe, nannte Biebricher eine mangelnde Führung „vom Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, aber auch von Bundeskanzler Friedrich Merz“. In dieser Situation habe es Argumente gebraucht, die man der Fraktion an die Hand hätte geben sollen.

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