Klingbeil fordert Schuldenbremsen-Reform – doch die Union klingt zurückhaltend
Die Stoßrichtung ist klar. Eigentlich. „Wir werden eine Expertenkommission unter Beteiligung des Deutschen Bundestages und der Länder einsetzen, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickelt, die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Das Ziel ist ambitioniert: Auf Grundlage jenes Expertenvorschlags wolle man die Gesetzgebung bis Ende 2025 abschließen. Schon zum Regierungsstart beschloss Schwarz-Rot neben hohen Sondervermögen, bestimmte Ausgaben für Verteidigung von der Schuldenbremse auszunehmen.
Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) erinnerte seinen Koalitionspartner und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nun an jene Vereinbarung: „Wir haben verabredet, dass wir die Schuldenbremse reformieren, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei nach ein paar Wochen vereinbarte Projekte aufkündigt“, mahnte Klingbeil die Union in der „Bild am Sonntag“.
Sondervermögen könnten nur eine temporäre Lösung sein, es brauche eine Reform der Schuldenbremse, bekräftigt auch Wiebke Esdar, Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion. „Generationengerechtigkeit heißt nicht nur, keine Schulden zu hinterlassen, sondern vor allem, unseren Kindern ein Land mit intakten Straßen, Brücken, guten Kitas, Schulen und Hochschulen sowie einer leistungsfähigen Infrastruktur zu übergeben“, so Esdar zu WELT. „Es darf nie wieder so auf Verschleiß gefahren werden wie in den letzten Jahren.“ Die Reform biete eine verlässliche Grundlage für dauerhaft höhere Investitionen.
Die Union tut sich allerdings schwer. Im Bundestagswahlkampf verteidigte sie die Schuldenbremse noch vehement. Und durch neue Mehrheiten im Bundestag entsteht eine zusätzliche Hürde: Sollte es tatsächlich zu einer Schuldenbremsen-Reform kommen, bräuchte es für die notwendige Grundgesetz-Änderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit – und damit Stimmen von Grünen und Linkspartei oder AfD.
Per „Unvereinbarkeitsbeschluss“ verbietet sich die CDU jedoch eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken, was zuletzt bei der gescheiterten Wahl von Richtern für das Bundesverfassungsgericht zu Problemen führte.
Die Linke machte im Vorfeld die Zustimmung zu Richterkandidaten der Bundesregierung von direkten Gesprächen „auf Augenhöhe“ mit der Union abhängig und forderte ein eigenes Vorschlagsrecht für Richter am Bundesverfassungsgericht.
Auch aus der Union kommt Unterstützung für eine Reform. Berlins Regierender Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), warb im WELT-Interview dafür, Investitionen in „Infrastruktur, Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung, Digitalisierung und Bildung“ von der Schuldenbremse auszunehmen und die vereinbarte Expertenkommission einzusetzen. Der „Unvereinbarkeitsbeschluss“ seiner Partei solle zwar bleiben. Doch Wegner zeigte sich offen für „punktuelle Zusammenarbeit“ mit einer der beiden Parteien: „Wenn die Koalition eine Blockade im Parlament vermeiden will, muss sie das Gespräch mit Grünen und Linken suchen. Mit der AfD sind solche Gespräche ganz klar ausgeschlossen.“
Im Finanzministerium laufen derweil laut „Tagesspiegel“ offenbar die Planungen für die Zusammensetzung jener Kommission. Demnach sollen ihr 15 Personen angehören, besetzt nach der Formel 5+5+2+3: Union und SPD sollen je fünf, Grüne und Linke je einen Kandidaten benennen dürfen; hinzu kämen drei „Elder Statesmen“, erfahrene Politikerinnen oder Politiker. Die AfD ginge laut „Tagesspiegel“ leer aus.
Die Unionsfraktion gibt sich äußerst zurückhaltend. „Wir stehen fest zur Vereinbarung im Koalitionsvertrag“, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) der „Rheinischen Post“ zwar. Demnach solle die Expertenkommission eingesetzt werden. Ob deren Vorschläge allerdings „dann überhaupt eine Änderung des Grundgesetzes erfordern oder ob einfache Gesetze mit einfacher Mehrheit im Bundestag genügen, wird man sehen“, so Middelberg. Auf WELT-Anfrage antwortet ein Sprecher der Unionsfraktion zu hierfür notwendigen Kooperationen kurz: „Zum Unvereinbarkeitsbeschluss gibt es keinen neuen Stand.“
„Die Union sollte grundsätzlich von einer weiteren Aufweichung der Schuldenbremse absehen. Das würde ihr viel ersparen“, sagt wiederum Michael Espendiller, haushaltspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Die Schuldenbremse sei nie wichtiger gewesen als jetzt, man lehne eine Lockerung ab. „Unser Land steht vor großen Umbrüchen und der seit Jahrzehnten bestehende Reformstau manifestiert sich nun in den ersten relevanten ‚Löchern‘ in sämtlichen öffentlichen Haushalten“, so Espendiller. Die Bundesregierung müsse sich „von ihrer jahrzehntelangen Praxis des bedenkenlosen Geldausgebens verabschieden und endlich den Mut zu einer echten Aufgabenkritik finden“. Es gebe „kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem“.
Die Grünen unterstützen hingegen eine „strukturelle Reform“: „Die Schuldenbremse wurde falsch konstruiert und ist zur Investitionsbremse geworden. Deutschland zahlt den Preis in Form von kaputten Brücken, maroden Schulen und langsamem Internet“, sagt Katharina Dröge, Grünen-Fraktionsvorsitzende, WELT.
Die Schuldenbremse schade in der jetzigen Form der deutschen Wirtschaft, so Dröge. Das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen schaffe die Möglichkeit notwendiger Investitionen. „Gerade weil dies ein richtiger und notwendiger Schritt war, sollte diese Kreditoption allerdings nicht nur einmalig eröffnet, sondern als dauerhafte Verschuldungsmöglichkeit für Investitionen im Grundgesetz verankert werden“. Man werde die Arbeit der einzusetzenden Kommission „konstruktiv begleiten“ und sei bereit „die notwendigen Mehrheiten für eine Änderung des Grundgesetzes zur dauerhaften Reform der Schuldenbremse zu ermöglichen“.
Die Linke fordert, die Schuldenbremse gänzlich abzuschaffen und will sich an einer Expertenkommission beteiligen. „Nur wenn wir sie komplett aus dem Grundgesetz streichen, können Bund und Länder wieder vernünftig planen und investieren. Es ist doch unsinnig, dass die Regierung ein kreditfinanziertes Sondervermögen auflegt, um jene Löcher zu schließen, die die Schuldenbremse gerissen hat“, sagt Parteichef Jan van Aken zu WELT.
Die Christdemokraten müssten ihren „Unvereinbarkeitsbeschluss“ in Richtung der Linkspartei kippen. „Höchste Zeit, dass sich die Union an die neuen politischen Mehrheiten gewöhnt. Ohne die Linke geht es nicht, wenn man die Demokratiefeinde von der AfD außen vor lassen will“, so van Aken.
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht.
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