Klingbeil stürzt in der Beliebtheit ab – SPD sackt auf Fünf-Jahres-Tief
Rund zwei Monate nach Bildung der schwarz-roten Bundesregierung bekommen die SPD und vor allem ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil den Unmut in der Wählerschaft zu spüren.
In der repräsentativen Befragung für den Deutschlandtrend, die Infratest Dimap im Auftrag von ARD-„Tagesthemen“ und WELT durchgeführt hat, stürzt der Vizekanzler und Finanzminister im Beliebtheitsranking der Spitzenpolitiker im Vergleich zum Vormonat um neun Punkte ab: Nur noch 30 Prozent der Deutschen sind mit ihm „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“. Klingbeil war am vergangenen Wochenende beim SPD-Bundesparteitag mit einem Ergebnis von 64,9 Prozent bei der Wahl zum Parteichef von den Delegierten abgestraft worden – anders als Arbeitsministerin Bärbel Bas: Sie wurde mit 95 Prozent zur Co-Parteichefin gewählt. Im Deutschlandtrend kommt sie auf 32 Prozent und liegt gleichauf mit Außenminister Johann Wadephul (CDU).
Immerhin: Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius ist ein Sozialdemokrat beliebtester Politiker der Deutschen (unverändert 61 Prozent). Auf Platz zwei folgt Kanzler Friedrich Merz (CDU), der drei Punkte auf 42 Prozent zulegt; allerdings ist er zugleich der einzige Politiker, über den sich eine Mehrheit „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden äußert. Der CDU-Vorsitzende polarisiert also offenbar besonders. Am Ende des Rankings: Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, die mit 14 Prozent drei Punkte hinter AfD-Chef Tino Chrupalla liegt.
Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, würde die SPD noch schlechter abschneiden als bei ihrem 16,4-Prozent-Desaster im Februar: Nur 13 Prozent der Deutschen würden sie wählen – zwei Punkte weniger als im Juni und ein Tiefstwert seit Januar 2020. Damit liegen die Sozialdemokraten nur noch einen Punkt vor den Grünen, die unverändert auf zwölf Prozent kommen. Der SPD-Koalitionspartner Union verbessert sich hingegen auf 30 Prozent (plus eins). Die AfD kommt weiterhin auf 23 Prozent, die Linke legt einen Punkt auf zehn Prozent zu.
Die Unzufriedenheit mit der Regierung Merz steigt im Juli: Während sich aktuell 39 Prozent „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ mit der Arbeit des schwarz-roten Bündnisses äußern (minus ein Punkt), ist eine Mehrheit von 54 Prozent „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden (plus drei Punkte). Die Ergebnisse des schwarz-roten Koalitionsausschusses, der sich in der Nacht auf Donnerstag darauf verständigt hat, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stromsteuer-Senkung für Privathaushalte zumindest vorerst nicht kommt, sind in dieser Erhebung wohlgemerkt nicht berücksichtigt.
Welche Probleme treiben die Deutschen aktuell am meisten um? In einer Auswertung, bei der die Angaben zum „wichtigsten“ und „zweitwichtigsten“ Problem summiert wurden, liegt der Komplex „Zuwanderung/Flucht“ mit 33 Prozent zwar weiterhin klar vorn – im Vergleich zu Ende Januar nimmt dieser Wert aber um neun Punkte ab. Auf Platz zwei der drängendsten Probleme steht die Wirtschaft (21 Prozent); doch auch hier scheinen die Sorgen abzunehmen, sinkt dieser Wert doch um elf Punkte. Bedeutsamer als Anfang des Jahres hingegen werden die Bereiche „soziale Ungerechtigkeit / Armut / Bürgergeld“ (16 Prozent, plus fünf Punkte) sowie „bewaffnete Konflikte / Frieden / Außenpolitik“ (15 Prozent, plus vier).
Zuspruch für neuen Pflichtdienst steigt
Letzterer Komplex bildet in der Erhebung einen Schwerpunkt – auch mit Blick auf die laufende Wehrpflicht-Debatte. Aus den Vorgaben der Nato, basierend auf dem Szenario eines russischen Angriffs auf einen Nato-Mitgliedstaat, ergibt sich für die Bundeswehr eine Personal-Zielmarke von 460.000 Soldaten. Wie stehen die Deutschen also aktuell zu Pflichtdiensten?
Eine Mehrheit von 55 Prozent spricht sich dafür aus, einen Wehr- und Zivildienst einzuführen, der sowohl für Männer als auch für Frauen gilt. Das ist ein Anstieg um zehn Punkte im Vergleich zum April dieses Jahres. 18 Prozent sind für eine „Wiedereinführung“ des Wehr- und Zivildiensts nur für Männer (minus neun Punkte). Die Wehrpflicht sowie der Zivildienst als Alternative waren 2011 von der Regierung Angela Merkel (CDU) ausgesetzt worden. Dafür, dass diese Aussetzung weiterhin Bestand haben soll, sprechen sich 23 Prozent aus (plus ein Punkt).
Nach Parteianhängern betrachtet, sprechen sich mehrheitlich Anhänger der Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD sowie der Grünen für einen Pflichtdienst auch für Frauen aus. Unter AfD-Unterstützern findet keine der drei genannten Optionen eine Mehrheit. Bei der Linken spricht sich eine Mehrheit von 58 Prozent dafür aus, dass Wehr- und Zivildienst ausgesetzt bleiben.
Unter allen Befragten überwiegt bei alldem die Überzeugung, dass Deutschland „dringend mehr Soldaten“ brauche, „die im Ernstfall das Land verteidigen“: 73 Prozent stimmen dieser Aussage zu. 62 Prozent unterstützen die etwa von Verteidigungsminister Pistorius erhobene Forderung, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse, „damit der Frieden in Europa gesichert werden kann“. Allerdings zeigt ein anderer Befragungswert auch eine Ambivalenz: Eine Mehrheit von 57 Prozent äußert „Angst“ darüber, „wie leichtfertig in Deutschland über Kriegstüchtigkeit geredet wird“.
Anhänger aller Parteien unterstützen jeweils mehrheitlich den Ruf nach einer personellen Aufstockung der Bundeswehr – außer denen der Linkspartei. Bei der Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ findet sich auch bei der AfD keine Mehrheit. Bemerkenswert: „Angst“ über die Debatte zur „Kriegstüchtigkeit“ ist bei den befragten Grünen-Anhängern am schwächsten ausgeprägt – 37 Prozent äußern sich entsprechend.
Und welcher Partei trauen die Bürger am ehesten zu, den „Frieden in Europa herzustellen und zu sichern“? Die Union schneidet hier mit Abstand am besten ab (31 Prozent, plus vier Punkte im Vergleich zu einer Erhebung kurz vor der Europawahl im Juni 2024). Auf Platz zwei folgt mit 14 Prozent die AfD (plus sieben).
Die SPD muss auch hier einen Schlag verkraften: Elf Prozent sehen sie als die richtige Partei für die „Friedenssicherung“ – sechs Punkte weniger als vor rund einem Jahr. Kurz vor dem Parteitag hatten SPD-Linke um Ralf Stegner und Rolf Mützenich mit einem „Manifest“, in dem Russland trotz seines Angriffskriegs gegen die Ukraine viel Verständnis entgegengebracht wurde, eine neue friedenspolitische Debatte gestartet. Nur fünf Prozent schreiben jeweils den Grünen und der Linken Kompetenzen zu, den europäischen Frieden zu sichern.
Deutschland gilt Mehrheit als „eher ungerecht“
Auch die Haltung der Deutschen zu sozialen Fragen wird im aktuellen Deutschlandtrend beleuchtet. Demnach finden 60 Prozent, dass es in der Bundesrepublik „alles in allem eher ungerecht“ zugehe – ein leichter Anstieg um drei Punkte gegenüber Februar. 33 Prozent finden die Lage „eher gerecht“ (minus vier).
Nach Parteiunterstützern betrachtet, findet jeweils nur eine Mehrheit von Union- und SPD-Anhängern (51 beziehungsweise 54 Prozent), dass Gerechtigkeit vorherrsche. Bei den Unterstützern der Grünen überwiegt leicht die Zahl derer, die die Lage als „eher ungerecht“ betrachten (51 Prozent). Deutlich höher liegt der Wert im Linke- und im AfD-Lager (71 beziehungsweise 88 Prozent).
Was stößt den 60 Prozent aller Befragten, die Ungerechtigkeiten ausmachen, am stärksten auf? 22 Prozent dieser Gruppe kritisieren „große soziale Unterschiede“ und eine „Schere zwischen Arm und Reich“. 13 Prozent erklären die „Steuer- und Abgabenbelastung“ für „zu hoch“ oder „ungleich“. Für ebenso viele Befragte ist der „Abstand zwischen Lohn- und Sozialleistungsniveaus“ zu gering. Elf Prozent machen eine „Bevorzugung von Ausländern / Asylbewerbern“ aus.
Dass der Mindestlohn bis 2027 auf 14,60 Euro steigen soll, finden 46 Prozent „angemessen“. 24 Prozent der Befragten geht diese Erhöhung „zu weit“, 25 „nicht weit genug“.
Und wie stehen die Deutschen zu den aktuellen Sanktionsregeln beim Bürgergeld? Wenn arbeitsfähige Empfänger mehrmals eine zumutbare Arbeit ablehnen, kann ihnen die Leistung für ein bis zwei Monate gestrichen werden. Für einen Alleinstehenden sind das 563 im Monat, für ein Paar 1012 Euro. Genau die Hälfte der Befragten erklärt diese Regelung für „angemessen“. Zwölf Prozent finden, sie gehe „zu weit“ – und 35 Prozent, sie gehe „nicht weit genug“.
Auf Deutschlands angespannte wirtschaftliche Lage blickt eine relative Mehrheit der Bürger ohne größere Erwartungen: 41 Prozent schätzen, die Lage werde in einem Jahr „etwa gleich“ sein (minus sechs Punkte im Vergleich zu Anfang Dezember 2024). Ein Fünftel der Befragten geht davon aus, dass die Situation „besser als heute“ sein werde (plus fünf), und unverändert 35 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung.
Die eigene wirtschaftliche Situation in einem Jahr wird im Vergleich zu Dezember 2023 etwas zuversichtlicher eingeschätzt: 63 Prozent gehen aktuell davon aus, dass ihre Situation „etwa gleich“ sein werde – ein Anstieg um 17 Prozentpunkte. Der Anteil derjenigen, die mit einer persönlichen Verschlechterung rechnen, sinkt um 20 Punkte auf 21 Prozent. Und zwölf Prozent gehen davon aus, dass ihre Wirtschaftslage sich verbessern werde (plus drei).
Zur Methodik: Für den Deutschlandtrend hat Infratest Dimap vom 30. Juni bis 2. Juli 1312 wahlberechtigte Bürger in 782 Telefon- und 530 Online-Interviews befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen zwei und drei Prozentpunkten.
Johannes Wiedemann ist Leitender Redakteur und Teamleiter Politik Deutschland.
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