Die bemerkenswerte Entscheidung der Israelis
An jenem frühen Morgen des 23. Juni, Teheraner Ortszeit, veröffentlichte der persischsprachige Social-Media-Dienst der israelischen Armee eine höchst ungewöhnliche Mitteilung:
„Liebe Bürger Teherans, in den kommenden Tagen wird die israelische Armee ihre Angriffe auf militärische Ziele in der Region Teheran fortsetzen. Um Ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten, bitten wir Sie, sich von Waffenfabriken, militärischen Hauptquartieren und Sicherheitsinstitutionen des Regimes fernzuhalten.“
In diesem Moment war die Botschaft weit mehr als ein bloßer Warnhinweis. Sie war ein entscheidender Impuls für Irans tatsächliche Machthaber – die überlebenden Kommandeure der Revolutionsgarden, die sich bislang der israelischen Tötungskampagne hatten entziehen können – das doppelte Waffenstillstandsangebot von Trumps Sondergesandten in Katar anzunehmen, sowohl zwischen den USA und Iran als auch zwischen Israel und Iran.
Besonders Letzteres diente auch dem eigenen Überleben. Denn längst war im iranischen Machtapparat angekommen, dass Israels Kidon-Agenten – das hebräische Wort für „Schwert“ – nicht mit Fallschirmen absprangen, sondern unbehelligt im bürgerlichen Komfort Teherans lebten, flankiert von einem dichten Netz einheimischer Helfer, die ihnen Ziele wiesen und Spuren verwischten.
Tatsächlich stand nur noch der Waffenstillstand mit Israel aus. Denn die gezielte Vorankündigung Irans, die US-Basis al-Udeid in Katar mit Raketen zu beschießen – eine Basis, die auch von anderen westlichen Streitkräften genutzt wird –, war das deutlichste Signal, dass Irans Führung bereit war, den Verlust ihrer umfangreichen Nuklearanlagen hinzunehmen, anstatt weitere US-Schläge zu provozieren.
Das Bemerkenswerte der jüngsten Entwicklungen im Iran ist auch, was nicht geschah: Angefangen damit, dass am Boden niemand durch die US-Angriffe starb. Die Bombardierung der Anlagen zur Urankonversion, Anreicherung und Waffenentwicklung in Isfahan, Natanz und Fordo war so erwartbar, dass in Fordo sogar zuvor 16 Lkw vorfuhren, um Stahlcontainer mit hoch angereichert Uran abzutransportieren – ehe die Bomben fielen.
Diese Fahrzeuge wurden rechtzeitig entdeckt, ihre Ankunft offenkundig geduldet, um endlich jenen geheimen Ort zu enthüllen, den die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde seit Langem vermuteten, aber nie ausmachen konnten. Da selbst hoch angereichertes Uran erst durch präzise maschinelle Verarbeitung zur Bombe wird, bestand keine unmittelbare Gefahr – solange die dafür benötigten Komponenten fehlten.
Zu diesem Zeitpunkt war für Irans Führung nur noch eine Unbekannte offen: Würde Fordo von mehreren Wellen israelischer Jagdbomber angegriffen, die an der Grenze ihrer Reichweite flogen und Bombe auf Bombe exakt auf derselben Flugbahn ins Erdreich treiben sollten, um den Untergrund so stark wie möglich zu durchdringen?
Oder würden B-2-Bomber mit GBU-57-Bunkerbrechern die tiefen Zentrifugenanlagen in Fordo und Natanz treffen, während von U-Booten gestartete Marschflugkörper verbliebene Teile der bereits von den Israelis angegriffenen Isfahan-Anlage zerstörten, wo Uran in Uranhexafluorid umgewandelt worden war für die Zentrifugen, die dann das kernspaltungsfähige U-235 abspalten, mit dem Bomben gemacht werden? Deshalb waren alle drei Standorte vollständig evakuiert worden – es gab keine Toten oder Verletzten.
Ein weiterer, strategisch gewichtiger Schritt blieb aus, obwohl er von Anfang an diskutiert worden war: Israel verzichtete auf die Zerstörung des Ölhafens auf der Insel Khark – der wichtigsten Devisenquelle Teherans, mit deren Einnahmen chinesischer Raketentreibstoff, nordkoreanische Uran-Werkzeuge und alles Weitere zur nuklearen Aufrüstung finanziert wurden.
Die Tanker können wegen des flachen Wassers nicht direkt anlegen und müssen weit draußen auf See beladen werden. Für Israel wäre es ein Leichtes gewesen, diese Terminals aus der Luft anzugreifen, und damit großem wirtschaftlichem Effekt zu erzielen, weil der Iran nur über lächerlich geringe Devisenreserven verfügt. Ohne die laufenden Transfers an Irans Zentralbank wären diese binnen Tagen erschöpft gewesen.
Das Ölterminal wurde verschont
Doch Israel griff Khark nicht an. Das Terminal bleibt als Faustpfand bestehen für Irans zukünftiges Wohlverhalten gegenüber den Nachbarn am Golf. Vor allem um Angriffe Teherans auf die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens gigantisches Ölterminal in Ras Tanura zu verhindern, wo jeden Tag mehr als acht Millionen Fässer Rohöl auf Tanker gepumpt werden. Würde dort ein Angriff erfolgen, könnte ein Zehntel der weltweiten Ölproduktion schlagartig wegbrechen – der Ölpreis würde um mindestens 20 Prozent steigen.
Es mag bizarr erscheinen, dass Israel sich zurückhielt, um Saudi-Arabien zu schützen, dessen Außenministerium Israels Selbstverteidigung gegen iranische Raketenangriffe offiziell verurteilte. Aber seit dem 31. August 2020, als die israelische Fluggesellschaft El Al erstmals den saudischen Luftraum überfliegen durfte, hat sich eine stille De-facto-Kooperation etabliert. Ein Öl-Exportstopp der Saudis würde in den USA Benzinpreise in die Höhe treiben, Präsident Trump empfindlich schwächen und einen Triumph darstellen für jene isolationistischen Kräfte in seiner Partei, die seine Nahostpolitik ablehnen.
Irans Scheinparlament unter dem ultraradikalen Mohammad-Bagher Ghalibaf hatte gerade erst dafür gestimmt, die Straße von Hormus für alle Exporte außer die iranischen zu sperren. Das könnte Iran mit wenigen Angriffen auf Tanker leicht durchsetzen. Doch bislang ignoriert die Führung diese Empfehlung – in dem Wissen, dass Israel im Gegenzug Irans eigenen Ölexport stoppen würde.
Auch das ist nicht geschehen, es gibt keinerlei Hinweise auf US-Pläne für eine militärische Intervention im Iran oder gar eine Invasion. Zwar ist der Iran groß und Teheran weit entfernt von jeder Küste – aber das ist längst irrelevant. Selbst rechte Falken in Washington haben inzwischen verstanden, was Vietnam, Afghanistan und der zweite Irakkrieg lehrten: Die USA können militärisch viel erreichen – auch Zerstörung mit chirurgischer Präzision –, aber sie können in keinem Land dauerhaft operieren, um eine Regierung zu schützen oder zu stürzen. Es fehlt dazu schlicht an zuverlässiger Aufklärung.
Heute weiß jeder, der in Washington etwas zu sagen hat: Man hätte China leichter aus Indochina heraushalten können, wenn man die intensiv antichinesischen vietnamesischen Kommunisten unterstützt hätte, anstatt Nordvietnam zu bekämpfen. Die Invasion Iraks 2003, um den mörderischen Saddam Hussein zu stürzen, ignorierte, dass seine brutale Diktatur das Einzige war, was einen Bürgerkrieg mit zahlreichen religiösen und ethnischen Konfliktlinien verhinderte. Und dass man Afghanistan nach der Zerschlagung der Al-Qaida-Lager Ende 2001 hätte verlassen sollen, anstatt 20 Jahre länger zu bleiben.
Nur der erste Irakkrieg 1991 war erfolgreich, weil Präsident Bush senior sich dem Ruf zur „Befreiung“ Bagdads widersetzte und er und seine arabischen Verbündeten schnell den Rückzug antraten, nachdem Kuwait befreit war. Deshalb redet heute in Washington niemand, der zählt, über „Regime Change“ – geschweige denn, dass jemand darauf hinarbeiten würde. Ja, Irans Bevölkerung wird seit 1979 von religiösen Fanatikern unterdrückt. Sie wurde verarmt durch ruinöse Atomabenteuer. Zuerst müssen die Iraner jedoch selbst handeln und aufstehen, um ihre Unterdrücker zu bekämpfen, bevor von außen geholfen werden kann.
Vor diesem Krieg war ein Aufstand illusorisch – wie Trotzki schrieb: Die Bastille fiel, bevor es Maschinengewehre gab. Nun aber hat Irans Kampf gegen Israel die Israelis selbst nach Teheran gebracht, die die Unterdrücker in ihren Häusern angriffen. Die Bevölkerung kann nun ihrerseits in den Kampf einsteigen und weiß, wo die Regimekader wohnen. Und die reguläre Armee würde auch nicht für Ajatollah Ali Chamenei und sein Regime kämpfen.
Viele Mitglieder der Artesch, der regulären Armee, haben mit dem Aufstieg der Revolutionswächter stark an Status und Mitteln verloren. Ein Aufstand ist also nicht unmöglich, aber er braucht noch einen entzündenden Funken, der nur von einigen mutigen Rebellen kommen kann. Aber nicht von Ausländern, so wohlmeinend sie auch sein mögen.
Kurz bevor Präsident Trump sich über die Isolationisten seines „MAGA“-Lagers hinwegsetzte und Israel militärisch beistand, hatte sein früherer Vertrauter Tucker Carlson gewarnt: Ein Krieg mit Iran werde Tausende Amerikaner töten, die Wirtschaft ruinieren und sich zu einem Weltkrieg auswachsen. Amerika werde solch einen Krieg verlieren.
Das war schiere Hysterie, sie lässt sich nur mit dem verzerrenden Einfluss von Antisemitismus erklären. Die Vorstellung, jüdische Zionisten manipulierten Amerika zum Schaden seiner Interessen, ist nicht nur falsch. Sie blendet auch die historische Realität aus, dass es Israels Armee war, die den sowjetischen Einfluss im Nahen Osten durch den Sieg über deren arabische Klienten zurückdrängte – zum großen Vorteil der USA.
Isolationisten sind ohne Chance
Doch die Isolationisten hatten nie eine Chance, Trumps Kriegseintritt zu verhindern. Israels hocheffektive Streitkräfte und seine außergewöhnlich guten Geheimdienste hatten Trumps Enthusiasmus angefacht. Als Trump gesagt bekam, Israel brauche für den finalen Schlag nur sieben Bomber mit 14 Bomben plus 24 Marschflugkörper, stimmte er ohne Zögern zu.
Sollte der Waffenstillstand mit Iran halten, dürfte Trump der Friedensnobelpreis kaum zu nehmen sein – im Unterschied zu Barack Obama, der ihn bekam, bevor er irgendetwas getan hatte. Wenn der Waffenstillstand nicht hält, dann dürfte Trump ihn immer noch bekommen – dafür, dass er Iran die Atombombe genommen hat, kurz bevor sie einsatzbereit war.
Edward Luttwak zählt zu den angesehensten Militärtheoretikern weltweit. 1942 als Sohn einer jüdischen Familie in Rumänien geboren, lehrte der heute 82-Jährige im englischen Bath sowie an der Johns Hopkins und an der Georgetown University in den USA.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke