Dieser Fall erinnert an das Scheitern eines deutsch-bolivianischen Joint-Ventures, das in den Wirren lateinamerikanischer Innenpolitik unterging. Noch zu Zeiten von Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte eine Firma aus Süddeutschland mit Unterstützung des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, in den Lithium-Abbau Boliviens einzusteigen. Die beiden Regierungen einigten sich auf das Projekt – dann kam Widerstand in der lokalen Bevölkerung auf. Daraufhin zog der damalige Präsident Evo Morales 2018 seine bereits zugesagte Unterstützung zurück. Und die Deutschen waren plötzlich wieder draußen.

Ein ähnliches Schicksal droht nun zwei Unternehmen aus Russland und China, denn ihre Lithium-Förderprojekte stoßen auf die Ablehnung indigener Interessenvertreter im Land. Angeführt wird der Protest von der „Zentrale der indigenen Gemeinschaften von Nor Lipez“, kurz CUPCONL. Die südbolivianische Provinz grenzt an Chile und liegt in unmittelbarer Nähe zur argentinischen Grenze sowie zum sogenannten Lithium-Dreieck, wo mehr als die Hälfte der globalen Lithium-Reserven sich verbirgt.

Grund für den Protest: Die indigenen Einwohner von Nor Lipez fühlen sich von den nationalen und internationalen Akteuren übergangen. Jüngst hat die CUPCONL „als alleinige und uneingeschränkte Eigentümerin der Territorien“ den Unternehmen Uranium One Group und Hong Kong CBC „den Zutritt zu unserem territorialen Zuständigkeitsbereich zu untersagen“. Für die sozialistische Regierung von Präsident Luis Arce, die sich stets als Hüterin indigener Interessen inszeniert, ist das eine Blamage.

Trotz seines enormen Potenzials scheitert Bolivien seit Jahren daran, zu einer der weltweit führenden Lithium-Nationen aufzusteigen. Nach Einschätzungen von Experten besitzt die Anden-Nation mit einem Volumen von rund 23 Millionen Tonnen die weltweit größten Lithium-Vorkommen. Sie liegen hauptsächlich im Salar de Uyuni, einem Salzsee in den Anden. Der Rohstoff ist für die in westlichen Ländern geforderte Mobilitätswende von Verbrennern zu emissionsarmen E-Autos von zentraler Bedeutung, denn Lithium wird für die Speicherakkus gebraucht. Der Abbau ist allerdings wegen des hohen Wasserverbrauchs bei Umweltschützern umstritten.

„Bolivien droht nicht an einem Mangel an Ressourcen zu scheitern, sondern an einer toxischen Mischung aus übermäßiger Staatskontrolle, politischer Unsicherheit, einem investitionsfeindlichen Umfeld und strukturellen Defiziten“, sagt Anden-Expertin Niome Hüneke-Brown aus der peruanischen Hauptstadt Lima im Gespräch mit WELT. Die Expertin der Friedrich-Naumann-Stiftung vermutet, ohne grundlegende Reformen werde das „weiße Gold“ kaum zu einem Motor der Entwicklung im Land, sondern vielmehr zur Jahrhundertchance, die ungenutzt bleibt.

Im vergangenen Jahr hatte die umstrittene Linksregierung von Luis Arce die Verträge mit den Investoren aus Russland und China trotz Korruptionsvorwürfe im Schnelldurchgang durchgepeitscht. Nach indigenem Recht ist jedoch die Zustimmung der dort lebenden Gemeinden durch eine „consulta popular“, eine Volksbefragung, notwendig. Die Menschen in Nor Lipez wurden allerdings weder von der sozialistischen Regierung in La Paz noch von den Konzernen aus China und Russland gefragt.

Nun ist die Wut groß: „Wir wurden vor der Unterzeichnung dieser Verträge nie konsultiert“, sagte Julieta Uyuli Bartolome, Generalsekretärin der Vereinigung der insgesamt 53 indigenen Gemeinden jüngst dem Portal „Mongabay“. Die Bewohner der Region hätten sich die Informationen zu den Vertragsinhalten über die sozialen Medien besorgen müssen. Die Konsequenz: Die indigenen Gemeinden fordern nun den Ausschluss der Unternehmen. Wie sehr die Vertrauensbasis zerstört ist, machte die Versammlung der Gemeinden vor einigen Wochen deutlich. In der Abschlusserklärung warfen sie den russischen und chinesischen Investoren vor, die Lithium-Vorkommen plündern und die lokalen Gemeinden zu „Sklaven“ auf ihrem eigenen Land machen zu wollen.

Auch Elon Musk ist Teil des Dramas

Der Streit um das Lithium Boliviens wird vom lebensgefährlichen Machtkampf im sozialistischen Regierungslager der lateinamerikanischen Nation überschattet. Morales, der Parteifreund und Vorvorgänger des amtierenden Präsidenten Arce, hatte Bolivien von 2006 bis 2019 regiert, bevor er wegen Wahlbetrugsvorwürfen außer Landes floh. Aufgrund einer in der Verfassung festgelegten Amtszeitbegrenzung darf er bei den diesjährigen Wahlen nicht wieder für das Präsidentenamt kandidieren. Doch bereits 2016 ignorierte er ein verlorenes Referendum zu dieser Frage, brach sein Versprechen, das Ergebnis zu respektieren, und setzte seine Kandidatur trotz des „Neins“ der Bevölkerung auf juristischem Wege durch. Seither ist das politische Klima im Land vergiftet.

Fast zehn Jahre später geht Morales erneut über Leichen. Bei Zusammenstößen zwischen seinen Anhängern und der Polizei kamen jüngst mehrere Sicherheitskräfte ums Leben. Morales will mit Blockaden mindestens den Wahlgang verhindern, während seine Anhänger ihn notfalls mit Gewalt auf den Wahlzettel zwingen wollen. Dabei setzt der Linkspolitiker auch immer wieder auf Verschwörungstheorien rund um die Lithium-Förderung.

So bezichtigte er den Tech-Milliardär Elon Musk, für Putschversuche verantwortlich zu sein, ohne Beweise dafür vorlegen zu können. Musk wolle an die bolivianischen Vorkommen, um sie für sein Unternehmen Tesla zu sichern, behauptet Morales. Bereits jetzt droht Morales damit, im Falle eines Wahlsieges eines rechten Oppositionspolitikers das Land lahmzulegen: „Mal sehen, wie lange sie durchhalten“, ließ er lapidar wissen. Für Investoren ist dies ein unzumutbares politisches Klima.

„Zu guter Letzt spielt auch die chinesische Geopolitik eine wichtige Rolle für den stockenden Abbau“, sagt Bolivien-Experte Georg Dufner von „Emerging Markets Advisors“, der lange im Land gearbeitet hat, im Gespräch mit WELT. „Mitte 2023 stiegen die chinesischen Unternehmen CATL und CMOC nach einem umstrittenen Verfahren in den bolivianischen Lithium-Abbau ein. China sitzt jedoch selbst auf riesigen Reserven und besitzt einen großen Vorsprung beim Batteriezellenbau. Dementsprechend hat Peking auch keinerlei Interesse Bolivien beim Technologietransfer zu unterstützen – zum Schaden des eigenen Landes.“ Das wiederum bestätigt den Verdacht der indigenen Gemeinden in der Provinz Nor Lipez.

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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