„CO₂-freie Mobilitätszukunft“ – Wie die SPD Merz‘ Versprechen zum Verbrenner infrage stellt
Im Wahlkampf klang Friedrich Merz noch unmissverständlich. Er wolle am Verbrenner festhalten, schließlich sei das „modernste Technologie“, sagte der CDU-Chef im September. Dass die EU ab 2035 nur noch reine E-Autos ohne CO₂-Ausstoß zulassen will? Ein Irrweg, dessen Ende mit dem Regierungswechsel eingeleitet würde. So verstanden es viele in der Industrie. Sie lobbyiert seit Monaten in Brüssel gegen das Verbrenner-Aus, erhofft sich vom neuen Kanzler Rückendeckung.
Vergangene Woche ging der Verband der Automobilindustrie (VDA) deswegen mit einem Zehn-Punkte-Plan an die Öffentlichkeit, den der POLITICO-Pro-Newsletter Industrie & Handel zuerst veröffentlichte und der seither die schwarz-rote Koalition spaltet. Die einflussreiche Lobbygruppe vertritt die Interessen aller führenden deutschen Autohersteller — und forderte in dem Papier von Berlin und Brüssel, das „Reduktionsziel auf minus 90 Prozent ab 2035“ anzupassen. Sprich: Das Verbrenner-Aus 2035 zu kippen.
„So können auch nach 2035 noch eine begrenzte Zahl neue Verbrenner zugelassen werden“, sagte VDA-Chefin Hildegard Müller POLITICO. Denn „es fehlen in vielen Ländern Europas vor allem Ladesäulen, moderne Stromnetze und Kaufanreize, zum Beispiel steuerliche Anreize“. Die Nachfrage nach E-Autos bleibe „deutlich hinter dem zurück, was für die Erreichung der Klimaziele notwendig wäre“ – und das, obwohl die Neuzulassungen in diesem Jahr kräftig anzogen.
Die Aussagen des VDA stehen fast wortgleich im Wahlprogramm der Union, die Sozialdemokraten hingegen äußerten sich deutlich vorsichtiger. Daran hat sich auch nach dem Regierungswechsel nichts geändert. Union und SPD sowie die von den Parteien angeführten Ministerien haben keine gemeinsame Linie in der Frage. Merz kann, nun im Amt, nicht so entschieden in dieser Frage handeln, wie er noch im Wahlkampf klang.
Auch mehrere EU-Länder wollen das Aus kippen
Im sozialdemokratischen Umweltressort läuten schon die Alarmglocken. Es sei essenziell, „die Ziele nicht aufzuweichen“, sagte eine Sprecherin POLITICO. Der Vorschlag führe zu Planungsunsicherheit — in einer Zeit, in der die Autoindustrie Sicherheit brauche. Die Linie ist klar: „Die CO₂-freie Mobilitätszukunft ist elektrisch“, sagte die Sprecherin.
Auch in der SPD-Fraktion stehen die Zeichen auf Veto. Im Koalitionsvertrag sei festgeschrieben, dass man „an den Flottengrenzwerten festhalten“ werde, sagte die verkehrspolitische Sprecherin Isabel Cademartori POLITICO.
Die Union war in den Verhandlungen mit der SPD daran gescheitert, das Verbrenner-Aus in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Stattdessen steht dort lediglich, Strafen gegen Autohersteller zu vermeiden, die die Grenzwerte nicht einhalten.
Die Forderung ist auch deshalb umstritten, weil die Emissionen laut einer Analyse der Nichtregierungsorganisation Transport and Environment um bis zu 31 Prozent steigen könnten. Die Grünen kritisierten den Vorstoß als „skandalöser Frontalangriff der Automobilindustrie auf den Klimaschutz“, so der industrie- und klimapolitischer Sprecher im Europäischen Parlament, Michael Bloss.
Ganz andere Töne hingegen gibt es aus der Union. Aus dem CDU-geführten Verkehrsministerium gab es kein Veto wie aus dem Umweltressort, sondern grundsätzliche Offenheit. Man warte die laufende Überprüfung der 2035er-Ziele durch die EU ab, heiß es auf Anfrage.
Noch deutlicher äußerte sich Christoph Ploß, der in den Koalitionsgesprächen das Verkehrskapitel für die CDU verhandelte und nun Koordinator der Bundesregierung für maritime Wirtschaft und Tourismus ist. „Als CDU/CSU-Fraktion halten wir es für sinnvoll, die Flottengrenzwerte zeitlich zu strecken“, sagte er zu POLITICO. Den VDA-Vorschlag unterstütze seine Fraktion „ausdrücklich, um die angeschlagene Automobilindustrie nicht noch zusätzlich zu belasten“. Die Union setzt auf „Technologieoffenheit“ — dies habe man in den Koalitionsvertrag verhandelt, um die Zukunft des Verbrenners zu bewahren.
Auch die Europäische Volkspartei – die größte Fraktion im Europäischen Parlament, der auch die CDU/CSU angehört – hat bereits angekündigt, das Gesetz kippen zu wollen. Ähnlich positionierten sich Länder mit bedeutender Autoindustrie wie Polen und Tschechien.
Der VDA und einige Autobauer argumentieren zudem, dass die Verbrennungsmotorentechnologie Europas Wettbewerbsvorteil gegenüber chinesischen Herstellern sei, die bei Elektroautos weiter vorne liegen. Doch diese Einschätzung spaltet die Branche.
Mercedes-Benz unterstützte den Zehn-Punkte-Plan des VDA und erklärte, „Flexibilität ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Transformation“.
Nicht alle Hersteller teilen jedoch diese Haltung: Volvo lehnt eine Änderung der 2035-Regelung ab und kritisierte auch die Entscheidung der Kommission, Strafzahlungen für Hersteller auf Basis der diesjährigen Emissionsziele auszusetzen. Ein Volvo-Sprecher sagte POLITICO: „Politik und Industrie sollten ihre Energie auf Menschen (Jobs und Qualifikationen), Infrastruktur und Lieferketten konzentrieren – nicht auf eine Revision der bestehenden Gesetzgebung.“
Laura Hülsemann ist Reporterin für den Newsletter „Industrie und Handel“ bei POLITICO.
Jürgen Klöckner ist Head of Pro bei POLITICO Deutschland.
Dieser Text erschien zuerst im POLITICO PRO Industrie und Handel: Leaks, Analysen und investigative Recherchen zur Industrie- und Handelspolitik, die Deutschlands wirtschaftliche und politische Zukunft prägen – in einem Newsletter. Jeden Tag um 6 Uhr. Hier zur Anmeldung.
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