Anke Rehlinger, 49, ist seit April 2022 Ministerpräsidentin des Saarlandes. Wie reagiert die SPD-Vizechefin auf das „Manifest“, in dem Parteifreunde unter anderem diplomatische Gespräche mit Russland sowie den Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland fordern?

POLITICO: Frau Rehlinger, haben Sie von diesem „Manifest“ gewusst?

Anke Rehlinger: Na ja, indem es öffentlich wurde, habe ich davon erfahren.

POLITICO: Also – grundsätzliche außenpolitische Weggabelungen gehen an Ihnen als stellvertretende Parteivorsitzende vorbei?

Rehlinger: Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe sie sogar mitbeschlossen im Parteivorstand, zum Beispiel 2023. Das ist die aktuelle Beschlusslage der SPD. Das ist auch der Kurs, der gegolten hat und weiterhin auch gilt für die Regierungsarbeit. Was aber nicht heißt, dass nicht andere sich auch ihre Gedanken machen können und sie dann gegebenenfalls auch zu Papier bringen.

POLITICO: Aber finden Sie das nicht frustrierend, dass da immerhin ein paar Abgeordnete des Bundestages – sogar der ehemalige Fraktionschef, der die Zeitenwende mitgetragen hat, der die Mehrheiten dafür organisiert hat – sich jetzt mit einer Komplettrevision in die Öffentlichkeit begeben?

Rehlinger: Na ja, ein Teil dessen, was in dem Papier zum Ausdruck kommt, ist jetzt auch nicht wahnsinnig überraschend – dass Ralf Stegner oder Rolf Mützenich diese Position als Personen vertreten. Und es ist auch nicht völlig illegitim, dass man abweichend von einer Regierungspolitik, die man mit organisiert hat, noch mal deutlich macht, wo man persönlich herkommt.

POLITICO: Ganz kurz, Frau Rehlinger, da geht es wirklich darum, dass die Verantwortung von Russland relativiert wird, dass überhaupt nicht gesagt wird, wie man mit Putin umgehen soll, dass von Verhandlungen gesprochen wird, die Putin nicht annimmt. All das wird überhaupt nicht adressiert?

Rehlinger: Es geht ja gar nicht darum, ob man diese Positionen per se alle teilt oder nicht teilt.

POLITICO: Aber Sie sagen, es ist legitim.

Rehlinger: Ich teile sie nicht, aber man muss auch nicht jede Position, die man nicht teilt, in Bausch und Bogen direkt abbiegen wollen. Man kann sagen, was man richtig findet und was man nicht richtig findet. Ich glaube nicht, dass Russland unter Putin überhaupt momentan ein Gesprächspartner sein kann und sein will. Das muss man schon noch mal auch deutlich machen. Das ist auch ein Unterschied gegenüber einem Russland, dem Gorbatschow an der Spitze gestanden hat.

Und es ist deshalb auch eine andere Situation, in der wir uns heute befinden. Alle wollen Frieden, und alle sehen es auch als sinnvoll an, dass man dafür auch Gespräche führt. Aber Zusammenarbeit mit Putins Russland – das, glaube ich, ist nicht das, was die Situation gerade hergibt.

POLITICO: Ist Lars Klingbeil zu sehr in die Mitte gezogen und hat übersehen, dass er links viele zurückgelassen hat?

Rehlinger: Lars Klingbeil hat eine sehr verantwortungsvolle Politik in Deutschland mitzuverantworten gehabt, und hat er jetzt im Besonderen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die sehr friedensbewegt sind. Die vor allem auch einen guten Teil der Debatten in den 80er-Jahren, als es auch um Stationierung von Raketen ging, schon einmal geführt haben.

Und vielleicht muss man einen Teil dieser Debatten auch noch mal führen, um an den Punkt zu kommen, wo wir schon mal waren. Dann ist das aber eben auch so. Und vielleicht ist auch ein solches Manifest der Anlass, um noch mal die Argumente auszutauschen und damit nicht nur diejenigen, die es unterschrieben haben, zu adressieren, sondern wesentliche Teile auch der Bevölkerung.

POLITICO: War es ein Fehler, Menschen wie Ralf Stegner oder Rolf Mützenich bewusst nicht einzubinden?

Rehlinger: Alle sind eingebunden und eingeladen in den Debatten. Und hier geht es ja auch um Haltungen, die auch prominente Parteimitglieder vertreten, ganz abseits von Posten und Funktionen.

POLITICO: Also Sie finden nicht, man hätte Stegner einen außenpolitischen Sprecher sein lassen sollen, und dann wäre es vielleicht besser gewesen?

Rehlinger: Ich glaube vor allem, dass Menschen, die eine Haltung haben, sich nicht alleine durch Posten dadurch einbinden lassen.

POLITICO: Wird der Parteitag für Klingbeil schmerzhaft?

Rehlinger: Das wird ein wichtiger Parteitag für die SPD werden, denn es geht darum, neue Stärke zu erlangen – manchmal eben auch über Debatten.

Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.

Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Das „Berlin Playbook“ finden Sie hier.

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