„Was hier passiert, ist außenpolitisches Harakiri“ – Wadephul wird in Union zurückgepfiffen
Die Sitzung des Vorstands der Unionsfraktion sei „äußerst harmonisch“ verlaufen, berichtet ein Teilnehmer nach Ende des Treffens am frühen Montagabend. Das ist deshalb bemerkenswert, weil ein solches Ergebnis nicht unbedingt zu erwarten war. In CDU und CSU gibt er derzeit massive Irritationen über die Ankündigungen von Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) zum künftigen Umgang mit Israel. Aus dem klärenden Gespräch im Fraktionsvorstand hätte auch ein Schlagabtausch werden können – wenn der Außenminister bei seiner Linie geblieben wäre.
Ist er dem Vernehmen nach aber nicht. Wenn der Außenminister sich in dieser Woche zu Israel und den Militäroperationen im Gaza-Streifen äußern werde, dann werde er die Notwendigkeit betonen, dass die Hamas alle noch in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln aus Israel freilässt. Dass die Terrororganisation Hamas eine Verantwortung für die Kämpfe in der Region trage. Dass Israel zwar das Völkerrecht wahren müsse, aber das Recht habe, sich zu verteidigen. So sei man verblieben, sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstands.
Außenminister Wadephul wird demnach einen anderen Ton anschlagen als den in den vergangenen Tagen, wenn es um Israel und den Konflikt mit der Hamas geht. Einen, der deutlich mehr Verständnis für die Lage Israels zeigt. Der Minister würde damit mindestens eine halbe Kehrtwende hinlegen.
Es ist gerade mal ein paar Tage her, da hatte Wadephul in der „Süddeutschen Zeitung“ eine Überprüfung der deutschen Waffenexporte an Israel angekündigt. Man werden prüfen, „ob das, was im Gaza-Streifen geschieht, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen ist“, kündigte er an. Am Ende, so Wadephul, könne es dazu kommen, dass Waffenlieferungen nach Israel nicht mehr genehmigt würden. Damit war die Harmonie bei den Unionsparteien dahin.
Die Reaktionen in der Bundestagsfraktion und in den Parteien von CDU und CSU reichten von „Überraschung“ (nicht positiv gemeint), über „Irritation“ bis hin zu massiver Verärgerung. „Ich bin angesichts der Äußerungen des Ministers entsetzt und schockiert“, sagte ein CDU-Abgeordneter, der Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist. „Der Unmut darüber in der Partei ist groß, die jüdische Gemeinde in meiner Stadt fragt sich, ob wir noch hinter Israel stehen.“ Es sei unerträglich, dass sich „weiterhin Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft in Händen der Hamas befinden und wir hier Appeasement-Politik betreiben“.
Große Verärgerung – insbesondere in der CSU
So oder so ähnlich lauten auch zahlreiche andere Reaktionen in CDU und CSU. Bei den Christsozialen noch etwas stärker als bei der großen Schwesterpartei. CSU-Chef Markus Söder, Innenminister Alexander Dobrindt und CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann haben die CDU und den Minister wissen lassen, dass dessen Äußerungen inakzeptabel und ein Waffenembargo nicht denkbar sei.
Die Bundestagsvizepräsidentin und CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz sagte WELT: „Ich sehe das Leid der Menschen in Gaza mit großer Sorge, ich sehe aber auch, dass wir gerade jetzt die Verteidigungsfähigkeit Israels nicht untergraben dürfen. Wir haben in Deutschland sehr genaue Vorgaben für Waffenlieferungen in andere Staaten, es erschließt sich mir daher nicht, warum wir – ausgerechnet im Fall Israels – jetzt darüber diskutieren.“ Das ist ein klares Stoppschild für den Außenminister.
In der CDU ist die Stimmung nicht viel besser. „Ich würde gerne wissen, mit wem der Vorstoß des Ministers bei uns abgesprochen war“, fragt ein Fraktionsmitglied verärgert. „Was hier passiert, ist außenpolitisches Harakiri. Wir müssen Empathie mit den Menschen in Gaza zeigen und Solidarität mit Israel.“ Er werde in der nächsten Sitzung des CDU-Bundesvorstands darauf dringen, dass das die Sprechregelung werde. Es sei nachvollziehbar, dass die Schwesterpartei CSU mit Unverständnis auf die Äußerung des Außenministers reagiere. „Es wäre gut, solche Aktionen in der Union und mit dem Koalitionspartner SPD abzusprechen“, sagte der Abgeordnete.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter reagierte ebenfalls mit Unverständnis auf die Wortmeldungen des Außenministers. „Die Bundesregierung muss immer auf das Wesen der Kriegsführung der Terrororganisation Hamas hinweisen: Die Hamas führt einen Vernichtungskrieg gegen Israel in völliger Rücksichtslosigkeit gegen die Bevölkerung in Gaza, darauf ausgerichtet, möglichst viele zivile Opfer zu verursachen, möglichst lange durchzuhalten und den Antisemitismus in der Welt zu befördern“, sagte er WELT.
„Israel muss seine Bürger schützen, die Geiseln befreien und die Abschreckung wiederherstellen, trotz schwierigster Bedingungen und wachsendem weltweitem Antisemitismus“, so Kiesewetter. Die schreckliche Lage in Gaza sei auch „ein Versagen der UN und ein Unterlassen all jener, die wissentlich oder unwissentlich Terrorstrukturen hinnehmen und stetig versuchen, mit Appeasement das Mullah-Regime Iran zu besänftigen“. Angesichts der Vernichtungsdrohungen der Hamas und der Regierung des Iran sei es unverantwortlich, Israel am Ende Waffen vorenthalten zu wollen.
Und weil das keine Einzelmeinung in der Fraktion ist, wurde der Außenminister in die Fraktionsvorstandssitzung am Montag geladen, was an sich nicht ungewöhnlich erscheint. Dass man dort allerdings eine „Klarstellung“ der Ministeräußerungen wollte, ist durchaus ungewöhnlich. Die Reaktion der Fraktion fällt auch deshalb so deutlich aus, weil sie nach Äußerungen des Außenministers wie auch von Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz gereizt ist. Wadephul hatte bereits kurz nach Übernahme seines Amtes Anfang März durchblicken lassen, dass er Investitionen von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung befürworte. Schon da standen die Unionsparteien Kopf.
Auch Kanzler Merz löst interne Kritik aus
Derzeit liegt das Nato-Ziel für die Verteidigungsausgaben jährlich bei mindestens zwei Prozent des BIP. Deutschland übertrifft das nur knapp. Der Kanzler, offenbar selbst überrascht von der Ankündigung des Außenministers, rechnete prompt vor, jeder Prozentpunkt an Verteidigungsausgaben würde ungefähr 45 Milliarden Euro kosten. Bei fünf Prozent wären nach Rechnung von Merz derzeit Verteidigungsausgaben in Höhe von 225 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Und das in Zeiten von Milliardenlöchern im Haushalt.
Merz wiederum hatte vor einigen Tagen auf der Digitalmesse re:publica in Berlin die Unionsparteien mit ungewöhnlich harscher Kritik an Israel für das Vorgehen im Gaza-Streifen überrascht – und verärgert. Außenpolitiker der Union sprechen gar von einem „außenpolitischen Schwenk“. Das sei inhaltlich „noch okay“, meint ein CSU-Abgeordneter. „Man fragt sich aber, warum wir das tun? Niemand unserer westlichen Verbündeten erwartet, dass sich ausgerechnet Deutschland so stark von Israel distanziert.“ CSU-Chef Söder und Innenminister Dobrindt hätten ihren Unmut vor Beginn des Koalitionsausschusses gegenüber dem Kanzler klar geäußert. Der Tenor in den Unionsparteien lautet: Der Kanzler sei bis eine Grenze gegangen, der Außenminister habe sie überschritten.
Wadephul hat allerdings einen Verbündeten in der Koalition: die SPD. Dort rennt er mit seinem Vorstoß offene Türen ein. Unter Sozialdemokraten häufen sich die kritischen Stimmen über Israel. Schon in der vergangenen Woche hatten mehrere SPD-Abgeordnete gefordert, die deutschen Waffenexporte nach Israel zu beenden. Sie begründeten ihren Vorstoß mit der humanitären Katastrophe in Gaza. Deutsche Waffen dürften nicht dazu benutzt werden, das Völkerrecht zu brechen. Auch der frühere Fraktionschef Rolf Mützenich hatte sich dafür ausgesprochen, von Waffenlieferungen an Israel derzeit abzusehen.
Adis Ahmetovic, neuer außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bekräftigt nun seine Kritik. Gemeinsam mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Siemtje Möller fordert er in einer Stellungnahme von Montag Israels Präsident Benjamin Netanjahu dazu auf, seinen Plan zurückzunehmen, „22 neue Siedlungen im Westjordanland zu errichten und staatlich anzuerkennen“. Dies sei einer klarer „Verstoß gegen internationales Recht“, so die Sozialdemokraten.
Das Vorhaben von Wadephul, deutsche Waffenlieferungen an Israel zu überprüfen, unterstützen Ahmetovic und Möller: „Auf dieser Grundlage ist dann verantwortungsvoll zu entscheiden, welche Lieferungen weiterhin erfolgen können.“
Die SPD-Politiker plädieren in ihrer Stellungnahme abermals für eine Zwei-Staaten-Lösung. Sie sei der einzige Weg, um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu sichern. Während über dieses langfristige Ziel weitgehend Einigkeit besteht, resultiert auch innerhalb der SPD das abwägende Verhalten aus der deutschen Staatsräson und der historisch gewachsenen Solidarität mit Israel, der die Sozialdemokraten sich verpflichtet sehen.
Das wird auch im Beschluss des Parteivorstandes von Montag hervorgehoben. Deutschland habe „eine besondere Verantwortung für den Staat Israel“, heißt es dort, und Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Das gehe allerdings mit der Verantwortung einher, „selbst das Völkerrecht zu achten und die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in Gaza zu wahren“. Das sei nicht mehr der Fall.
Die SPD fordert, „ungehinderten Zugang der Bevölkerung zu Nahrungsmitteln und medizinischen Gütern“ im Gaza-Streifen zu gewährleisten. Die katastrophale humanitäre Lage in Gaza sei „absolut inakzeptabel“ und müsse „sofort beendet“ werden. „Ein Aushungern der Bevölkerung des Gaza-Streifens lässt sich unter keinen Umständen rechtfertigen“, heben die Sozialdemokraten hervor. Die SPD bekräftigt in ihrer Resolution jene Position, die aus ihren Reihen schon vor Tagen vorgetragen wurde. So dürften Rüstungsgüter aus Deutschland nicht für „völkerrechtswidrige Militäraktionen“ eingesetzt werden.
Doch auch mit Blick auf den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 lehnt die SPD jede Relativierung ab. So müsse die Hamas alle verbliebenen Geiseln „sofort und bedingungslos freilassen“. Die Sozialdemokraten stellen klar: „Die Hamas bedroht nicht nur Israel.“ Die Terrorgruppe „wird niemals das Ziel eines dauerhaften Friedens in der Region unterstützen“.
Nikolaus Doll berichtet für WELT seit Jahren über die Unionsparteien.
Politikredakterin Hannah Bethke ist bei WELT zuständig für die SPD und innenpolitische Debatten.
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