„Ich bin zu faul, um nichts zu tun“
Gut aufgelegt ist er, als er sich zum verabredeten Zeitpunkt telefonisch von daheim meldet. Jupp Heynckes lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau in Schwalmtal, einer kleinen Gemeinde am Niederrhein. Und dort genießt Heynckes, 80, das Leben nach seiner Karriere, die eine beeindruckende war. Heynckes zählt zu den erfolgreichsten Spielern und Trainern in der Geschichte des deutschen Fußballs. Er wurde Deutscher Meister, Pokalsieger und gewann internationale Titel. Mit der deutschen Nationalmannschaft gewann der frühere Stürmer sowohl den EM- als auch den WM-Titel.
Dankbar für sein ganzes Leben sei er, erzählt Heynckes. Für das als Spieler, als Trainer und die Zeit danach. „Für all das, was ich erleben durfte und erreicht habe“, sagt er, der dem Fußball – nun in der Rolle des Zuschauers – nur noch sporadisch Zeit widmet. Ab und an telefoniert er mal mit früheren Weggefährten, die gute Freunde sind, Uli Hoeneß etwa, den Ehrenpräsidenten des FC Bayern oder Peter Herrmann, seinem langjährigen Assistenten. Fußball, das wird in dem Gespräch deutlich, nimmt nicht mehr ganz so viel Platz in seine Leben ein.
WELT AM SONNTAG: Herr Heynckes, Sie feiern Ihren 80. Geburtstag, erlauben Sie uns die Frage: Wie geht es Ihnen?
Jupp Heynckes: Ich würde es so formulieren: altersgerecht. Wenn ich morgens aufstehe, machen sich entsprechend des Alters die einen oder anderen Wehwehchen bemerkbar. Doch insgesamt geht es mir gut. Ich habe meine Herz-Operation (2023, die Redaktion), die nicht einfach war, gut überstanden. Ich bin insgesamt zufrieden.
WELT AM SONNTAG: Was wünscht man sich zu einem Tag wie diesen?
Heynckes: Ich wünsche mir, dass ich gesund und aktiv bleibe – und mit meiner Frau ein zufriedenes Leben führen kann. Alles andere ist sekundär.
WELT AM SONNTAG: Wie sieht ein Tag im Alltag von Jupp Heynckes inzwischen aus?
Heynckes: Ich habe frühmorgens eigentlich keinen Plan, um abends dann festzustellen, was ich alles gemacht habe. (lacht) Aber ich habe absolut keine Langeweile. Ich bin ein aktiver Mensch – und viel zu faul, um nichts zu tun. Ich mache dreimal die Woche Sport und schwimme jeden Tag rund 45 Minuten. Der große Garten, den wir haben, erfüllt mich sehr. Mittlerweile haben wir 32 Koi-Karpfen. Wenn ich Zeit habe, bin ich viel in der Natur unterwegs und gehe spazieren, entlang an Seen, Wäldern, Feldern und vielen Mühlen. Das genieße ich sehr.
WELT AM SONNTAG: Wie steht es um das Thema Ernährung – als ehemaliger Sportler und Trainer werden Sie sicher schon immer sehr auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung geachtet haben?
Heynckes: Ja, bei vielen Mannschaften, bei denen ich gearbeitet habe, hatten wir einen Koch, von dem ich einiges lernen konnte – und das Meiste von meinem Freund Alfons Schuhbeck. Doch unabhängig davon achten meine Frau und ich schon seit vielen Jahren darauf, was wir essen. Wir bereiten viele vegetarische Gerichte zu – Salat und Gemüse sind uns sehr wichtig. Und dann stehe ich auch gern mal am Herd und bereite Seezunge vor oder Salm – oder auch mal einen Apfelpfannkuchen mit Heidelbeeren. Das ist etwas, was wir wirklich genießen. Ich denke, es ist immer wichtig, sich gesund zu ernähren, aber gerade im Alter bekommt das Thema eine größere Bedeutung.
WELT AM SONNTAG: Weil Sie die Koi-Karpfen angesprochen haben. Wie geht es eigentlich dem, den Ihnen die Bayern-Spieler 2013 nach dem gemeinsamen Triple-Gewinn zum Abschied geschenkt haben?
Heynckes: Das mag man gar nicht glauben, aber ausgerechnet er, den wir damals Philippo getauft haben, ist nicht mehr unter ihnen. Als ich mit meiner Frau im Urlaub war, hat mich unser Gärtner benachrichtigt, dass Philippo nicht mehr lebt. Das hat mich betroffen gemacht.
WELT AM SONNTAG: Ihr bislang letztes Spiel als Trainer erlebten Sie vor sieben Jahren – das DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt. Vermissen Sie den Fußball, das Dasein als Trainer?
Heynckes: Genau genommen hatte ich ja 2013 schon mit meiner Karriere abgeschlossen und bin dann in der Saison 2017/18 von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge noch einmal gebeten worden, für ein Dreivierteljahr den FC Bayern zu übernehmen. Aber wenn man so lange in dem Fußball-Zirkel gewesen ist, wie ich als Spieler und als Trainer, ist es schön, wenn irgendwann der Tag kommt, an dem man sagen kann: Es gibt noch ein Leben nach dem Beruf. Und ich genieße das Leben sehr, weil ich es eben auch nicht mit der Öffentlichkeit teile, sondern ich mich meiner Frau und mir widme. Ich vermisse den Job als Trainer nicht – und selektiere mittlerweile sehr, welche Spiele ich mir anschaue oder nicht.
WELT AM SONNTAG: Das heißt?
Heynckes: Ich schaue mir hin und wieder Spiele der Mannschaften an, bei denen ich im In- oder Ausland gearbeitet habe, etwa von Real Madrid oder Athletic Bilbao. Ich war zwar nicht beim FC Barcelona, aber durch die Verbindung zu Hansi Flick und Toni Tapalovic verfolge ich auch das eine oder andere Spiel von Barca, zumal die Mannschaft einen wunderbar kreativen Fußball spielt. Wie gesagt, ich selektiere, weshalb es schon mal vorkommt, dass ich selbst Sport treibe, wenn die Sportschau läuft. Da ist eine gewisse Distanz zum Fußball entstanden, was ich als selbstverständlich empfinde. Meine Interessen haben sich ein wenig verschoben. Mir ist es wichtiger, Zeit mit meiner Frau zu verbringen und auf meinen Körper zu achten, mich zu bewegen. Das erfüllt mich.
WELT AM SONNTAG: Wie erleben Sie den Fußball mit etwas Abstand – gefällt Ihnen das, was Sie noch sehen?
Heynckes: Dadurch, dass ich überwiegend Top-Spiele anschaue, sehe ich hochinteressanten und qualitativ guten Fußball, wie ihn beispielsweise Bayer Leverkusen in der vergangenen Saison gezeigt hat. Vielleicht bin ich da mittlerweile sehr anspruchsvoll.
WELT AM SONNTAG: Gibt es einen Spieler oder einen Klub, der Sie zuletzt beeindruckt hat?
Heynckes: Ich finde gut, wie der FC Liverpool in dieser Saison spielt, das Tempo und die taktische Ordnung sind beeindruckend. Darüber hinaus gefällt mir, was für eine gute Mannschaft Luis Enrique bei Paris St. Germain mit jungen und hochtalentierten Spielern aufgebaut hat. Da arbeiten alle mit in der Defensive, was der Schlüssel zum ganz großen Erfolg ist.
WELT AM SONNTAG: Hinter den Bayern, die Sie 4 Mal trainiert haben, liegen aufreibende zwei Spielzeiten. Auf Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel folgte Vincent Kompany, der die Münchner zum Meistertitel geführt hat. International aber war im Viertelfinale Endstation.
Heynckes: Mir gefällt die sachliche, ruhige und sympathische Art von Vincent Kompany, der auch ein Top-Spieler gewesen ist, und dass er sich nicht von der Hektik anstecken lässt, die es in dem Fußballbusiness oftmals gibt. Es ist nicht so einfach, eine Mannschaft wieder auf internationales Top-Niveau zu bringen. Bei den Bayern findet ein kleiner Umbruch statt. Es gibt einige junge talentierte Spieler im Kader, wie etwa Michael Olise, die eine gewisse Zeit brauchen, um sich weiterzuentwickeln – und die Zeit muss man ihnen geben. Ein Champions-League-Finale erreicht man nicht einfach so weiteres.
WELT AM SONNTAG: Mit Thomas Müller verlässt den Klub nach 25 Jahren eine Ikone. Wie sehr wird er fehlen?
Heynckes: Bei ihm verhält sich wie bei so vielen großen Bayern-Spielern, ob Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Franck Ribery oder Arjen Robben – irgendwann macht der Körper einfach nicht mehr so mit, wie der eigene Anspruch an sich ist. Ich finde, dass Thomas eine fantastische Karriere hatte. Er war ein Ausnahmespieler für den FC Bayern – und das nicht nur, weil er seine Leistung gebracht hat, sondern weil er ein ganz wichtiger Spieler für die Gemeinschaft war. Wenn es mal Unstimmigkeiten gibt, ist er ein Spieler, der vermittelt, der wieder verbindet oder auch vor die Mikrofone tritt und durch seine kluge und intelligente Art in der Öffentlichkeit die Wogen glättet. Ich habe Thomas zwei Jahre betreut und habe keinen Tag erlebt, an dem er nicht ein Lächeln auf den Lippen hatte und gute Laune verbreitet hat. Das zieht sich durch seine Laufbahn. Thomas wird mir und dem deutschen Fußball fehlen. Da Thomas Müller noch nie Fußballer des Jahres geworden ist, würde ich mir wünschen, dass sich der deutsche Sportjournalismus dazu durchringt, ihn dieses Jahr zu wählen.
WELT AM SONNTAG: Sie sind 1972 Europameister und 1974 Weltmeister mit Deutschland geworden. Die aktuelle Nationalmannschaft sorgt nach einer Zeit, in der Menschen keinen großen Gefallen an ihr hatten, wieder für mehr Begeisterung.
Heynckes: Der Aufschwung ist unverkennbar, doch es ist noch ein weiter Weg. Ich denke, da ist auch die Bundesliga in der Pflicht, die entsprechend guten Spieler auszubilden und anzubieten. Deutschland ist 2014 in Brasilien auch deshalb Weltmeister geworden, weil der FC Bayern sechs Spieler abstellen konnte, die ein Jahr davor das Triple geholt haben. Deshalb hoffe ich, dass dem Bundestrainer im kommenden Jahr genügend gute Spieler zur Verfügung stehen, damit er dort eine erfolgreiche WM spielen kann.
WELT AM SONNTAG: Wenn wir mal über den Tellerrand des Fußballs schauen: Viele Menschen sind in Sorge ob des Weltgeschehens, in den USA regiert Donald Trump, Wladimir Putin führt seit über drei Jahren einen Angriffskrieg, es gibt den Nahostkonflikt und hierzulande einen Rechtsruck – was macht das mit Ihnen, wenn Sie auf das schauen, was politisch passiert?
Heynckes: Meine Frau und ich unterhalten uns beim Frühstück oft über das Weltgeschehen. Sie sagt dann nicht selten, dass ich weniger Nachrichten schauen oder sie stark an mich heranlassen soll, weil es einfach zu viele negative Nachrichten gibt. Aufgrund der vielen Kriege bzw. Konflikte und auch der Hungersnöte frage ich mich, was mit der nächsten und übernächsten Generation passiert. Ich bin sehr besorgt. Der Rechtsruck, den wir in Europa und auch in Deutschland haben, ist kaum zu ertragen. In Bezug darauf steht die neue Regierung vor einer großen Herausforderung. Aber eigentlich ist auch jeder Bürger in der Pflicht, seine Stimme für die Demokratie zu erheben.
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