Mit der alten Geschichte konfrontiert zu werden, gehört für Ralph Denk zum Giro d‘Italia wie die Zielankunft in Rom. Sie erzählen sie sich auf der Italien-Rundfahrt Jahr für Jahr, und Denk ist viel zu höflich, als dass er sich davon auch nur ansatzweise genervt zeigen würde. Zumal der anfangs abfällige Unterton längst Anerkennung gewichen ist.

2012 hatte sich der Oberbayer als noch unerfahrener Teamchef mit der Teilnahme beim Giro einen großen Traum erfüllt. Seine zweitklassige Mannschaft NetApp erhielt vom Veranstalter eine Wildcard, wenngleich das Team noch gar nicht bereit schien für eine große Rundfahrt. Denk, Inhaber eines Radladens und ehemaliger Amateurrennfahrer, verfügte zwei Jahre nach der Gründung weder über finanzkräftige Sponsoren, noch gewachsene Strukturen. Doch der Raublinger ergriff die Chance und erschien zum Start in im dänischen Herning mit einem kleinen Wohnmobil, das neben den luxuriösen Bussen der anderen Mannschaften wirkte, als hätte eine Gruppe Radsportfans den exklusiven Stellplatz bei einem Gewinnspiel erhalten. „Und der Camper war nur geliehen. Wir hatten wenig Geld in der Tasche“, pflegte Denk in den vergangenen Jahren genüsslich zu ergänzen.

Das dürfte er wohl auch diesmal wieder beibehalten. Am Freitag wird die 108. Austragung des Giro d‘Italia gestartet. Ansonsten aber ist einiges neu. Schon beim Auftakt kommt es mit dem Start im albanischen Durres zu einer Länder-Premiere. Und die letzte der 21 Etappen führt die Fahrer am 1. Juni erstmals durch die Vatikanstadt. Das Schlussstück beginnt an den Caracalla-Thermen und endet am Circus Maximus. Gegen 15.30 Uhr werden die Fahrer im neutralen Modus die Vatikanstadt ansteuern. Durch den Eingang Petriano links vom Petersplatz, vorbei am Petersdom, über den Bahnhof, hinauf zum Helikopterlandeplatz auf dem 75 Meter hohen Vatikan-Hügel. Der gestorbene Papst Franziskus hatte die Initiative aktiv unterstützt.

Für Denk hat sich 2025 vor allem die Ausgangslage gewandelt. 13 Jahre nach dem Abenteuer mit dem Camper, ist die Mannschaft des 51-Jährigen erstmals als großer Favorit in die erste große Rundfahrt des Jahres gegangen. In Abwesenheit der Superstars Tadej Pogacar, Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel weiß Denk mit Primoz Roglic den großen Titelkandidaten in seinem Stall.

Neue Zeitrechnung mit Red Bull

Der hemdsärmelige Teamchef wirkte auf den großen Rundfahrten mit seiner Begeisterung und Bescheidenheit immer ein wenig wie ein Fan, versprühte viel Herzblut und bewahrte sich trotz wachsenden Erfolgs seine Bodenständigkeit. Denk, dicker Schnauzer, buschige Augenbrauen, große Ohren, war der Inbegriff des Pragmatikers und passte auch optisch bestens in die ihm zugeschriebene Rolle des Underdogs.

Doch spätestens mit dem Einstieg von Red Bull im vergangenen Jahr wurde aus Romantik Verpflichtung. Der Getränkekonzern hält seitdem 51 Prozent der RD procycling GmbH & Co. KG und der RD Beteiligungs-GmbH. Auch der Teamname änderte sich. Seit der Tour de France 2024 fährt die Mannschaft als Red Bull-Bora-Hansgrohe auf der Profitour.

Schon aus dem geliehenen Camper heraus hatte er angekündigt, sein Team zu einem führenden Rennstall aufbauen zu wollen. Dass der Tscheche Jan Barta als bester NetApp-Fahrer damals mehr als zwei Stunden hinter dem Gesamtsieger landete, konnte ihn nicht davon abbringen. Ebenso wenig die latenten Geldprobleme in den folgenden Jahren.

Denk blieb beharrlich, putzte weiter fleißig Klinken, sammelte kleinere und bald mit Bora (2015) und Hansgrohe (2017) auch erste größere Sponsoren ein. Die sportlichen Erfolge folgen prompt. Weltmeister Peter Sagan brachte Siege und Popularität, gipfelnd in seinem Triumph bei Paris-Roubaix 2018.

Nach der Saison 2021 wähnte Denk die Zeit reif für den krassen Schnitt und richtete sein Team auf die großen Rundfahrten aus. Der Gewinn der ersten Grand Tour gelang direkt im folgenden Jahr beim – na klar – Giro d‘Italia. 2024 sicherte sich Roglic zudem den Gesamtsieg bei der Spanien-Rundfahrt.

Der Slowene gewann die Vuelta in seiner Karriere viermal und damit so häufig wie kein anderer Radprofi. Und auch den Girosieg fügte er seiner Palmares 2023, damals noch im Trikot von Jumbo-Viisma, hinzu. Der zweite Triumph im rosafarbenen Trikot könnte für den 35-jährigen Olympiasieger von 2021 nun sein letzter großer Erfolge werden.

Fehlstart in die Saison 2025

Hinter Roglic liegt eine erfolgreiche Vorbereitung mit dem Gewinn der Katalonienrundfahrt. Der Altmeister scheint pünktlich zu seinem Saisonhöhepunkt in Form, um die verbliebenen Konkurrenten Juan Ayuso (Spanien, UAE Team Emirates XRG), Mikel Landa (Spanien, Soudal-Quickstep), Tom Pidcock (Großbritannien, Q36.5 Procycling), Thymen Arensman (Niederlande, Ineos Grenadiers), Richard Carapaz (Ecuador, EF Education-Easypost) oder Antonio Tiberi (Italien, Bahrain-Victorious) zu schlagen.

Allerdings ist Geduld gefragt, um erste Antworten zu erhalten. Nach den ersten drei Etappen in Albanien, darunter ein kurzes Einzelzeitfahren, sind auch die Kilometer auf italienischem Boden zunächst Ausreißern und Sprintern vorbehalten. Eine echte Prüfung wartet dann auf dem siebten Teilstück, wo die erste von drei Bergankünften ansteht.

Fraglich ist, inwieweit Red Bull-Bora-Hansgrohe der Favoritenrolle im Peloton gewachsen ist. Zwar hat Roglic mit dem Giro-Sieger von 2022, Ja Hindley, und dem Vorjahreszweiten Daniel Felipe Martinez, zwei Edelhelfer an seiner Seite, doch insgesamt hinterließ UAE insbesondere den Bergen einen stärkeren Eindruck.

Überhaupt verlief die Saison für Red Bull-Bora-hansgrohe bislang nicht wie gewünscht. „Wir sind nicht da, wo wir sein wollten. Wir haben keine Ergebnisse erzielt“, sagte Denk, nachdem sich auch bei Paris-Roubaix keiner seiner Fahrer auf den vorderen Rängen platzieren konnte. Tim van Dijke kam als bester des deutschen Teams auf Platz 30 mit 5:41 Minuten Rückstand auf den Sieger ins Ziel und setzte damit die Erfolglosigkeit bei den Frühjahrsklassikern fort.

Der Unmut darüber verdeutlichte einmal mehr die neue Erwartungshaltung, der sich auch der Teamgründer verschrieben hat. Denk mag bodenständig geblieben sein. Sein stärkster Antrieb aber war immer schon der Ehrgeiz, der zuverlässig dafür sorgte, dass Genugtuung nach Erfolgen neuen Ambitionen wich und ihm auch jetzt das vielleicht letzte große Ziel diktiert: „Wir wollen eines der Top-Teams werden“, sagte Denk im Frühjahr, um sich umgehend wieder zu korrigieren: „Nein, wir wollen das Top-Team werden. Und das sollte den Anspruch haben, sowohl bei den Rundfahrten, als auch bei den Klassikern vorn dabeizusein.“

Angesichts der fehlenden Superstars um Pogacar ist der Sieg Roglics beim Giro da schon Pflicht. Denk und sein Team stehen sportlich so sehr im Fokus, dass die Italiener diesmal sogar die Anekdote mit dem Camper vergessen könnten. Wenngleich ein maximal erfolgreiches und dominantes Denk-Team die Pointe eher besser als schlechter machen würde.

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