Novak Djokovic ließ sich nie verbiegen. Wenn dem Tennisprofi etwas nicht passt, sagt er es. Manchmal legt er sich mit dem Publikum an. Und seine Weigerung, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, kostete ihn wohl einige Grand-Slam-Titel. Er nahm selbst die Ausweisung aus Australien im Januar 2022 in Kauf.

Kraft und Bestätigung schöpfte er in den schwierigsten Zeiten stets in Serbien, wo er mit seinen Erfolgen wie ein Halbgott verehrt wird. Doch nun hat er seiner Heimat den Rücken gekehrt.

Vor gut zwei Monaten ist er mit seiner Familie rund 1000 Kilometer südwärts gezogen – von Belgrad nach Athen. Und er nahm gleich auch noch das ATP-250-Turnier mit, das von seinem jüngeren Bruder Djordje organisiert wird. Die Voraussetzungen, das Turnier in Belgrad im geplanten Format und Zeitraum durchzuführen, seien nicht mehr gegeben, hieß es. So fand es vom 2. bis 8. November unter dem neuen Namen Hellenic Championship in Athen statt.

Hätte man es nicht besser gewusst, man hätte sich bei der Liveübertragung in Serbien gewähnt. Das Publikum unterstützte Djokovic leidenschaftlich und trug ihn zum Turniersieg. Transparente mit Aufschriften wie „Novak GOAT“ oder „Go Nole“ fassten die allgemeine Stimmung zusammen. Nach seinen Spielen richtete Djokovic auch einige Worte auf Griechisch ans Publikum. Es ist davon auszugehen, dass er die Sprache bald fließend beherrschen wird.

„Athen hat einen Platz in meinem Herzen“

„Es fühlt sich wie ein Heimspiel an, hier in Athen zu spielen“, schwärmte der 38-Jährige auf Englisch. „Es war wunderbar, die großartige Gastfreundschaft des griechischen Volkes zu erleben, für die Griechenland weltweit bekannt ist. Mehr noch als die Anerkennung meiner sportlichen Leistungen berührt mich, wie freundlich und menschlich mir die Menschen hier begegnen. Athen hat einen Platz in meinem Herzen, keine Frage.“

Im Interview mit der griechischen Tennisreporterin Vicky Georgatu von der Onlinepublikation „Sports DNA“ sagte er über seinen Umzug: „Ich hatte das nicht lange im Voraus geplant. Aber in den letzten zwei Jahren sind gewisse Dinge passiert und haben Entscheidungen in unserem Leben beeinflusst – sowohl privat als auch beruflich. Wir haben zwei kleine Kinder und versuchen, das bestmögliche Umfeld für sie zu finden. Denn das ist unsere Priorität: dass die Kinder in einer Umgebung aufwachsen, die für ihre psychische, physische und emotionale Gesundheit am förderlichsten ist.“

Sohn Stefan (11) und Tochter Tara (8) besuchen nun das St. Lawrence College in Athen – eine britische Privatschule mit Schülerinnen und Schülern aus 50 verschiedenen Nationen. Die Familie Djokovic wurde in Griechenland, das sich als Steuerparadies für Vermögende positioniert, mit offenen Armen empfangen. Und nach dem sportlichen Niedergang der griechischen Tennisstars Stefanos Tsitsipas und Maria Sakkari haben die griechischen Fans nun in Djokovic einen neuen Topspieler gefunden, dem sie die Daumen drücken dürfen.

Entfremdung von der Staatsmacht

Doch wie kam es dazu, dass er, der lange als serbischer Patriot galt und auch mit nationalistischen Parolen auffiel, sich von seiner Heimat abgewandt hat? Beim Turnier in Athen mochte er nicht konkret darüber reden. Wohl im Wissen darum, wie heikel das Thema ist. So äußerte er sich auch nicht über die heftige Kritik der Anhänger des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic.

Es kam bei Djokovic in den letzten zwölf Monaten zu einer schrittweisen Entfremdung von der Staatsmacht. Am Ursprung stand die Protestbewegung der Studenten nach dem tragischen Unfall vom 1. November 2024 in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens. 16 Menschen kamen ums Leben, als das frisch renovierte Vordach des Hauptbahnhofs einstürzte. Die Studenten warfen der Regierung Korruption vor und gingen auf die Straße. Die Proteste weiteten sich auf rund 400 Städte aus.

Auf der Plattform X drückte Djokovic am 18. Dezember auf Serbisch seine Solidarität mit den Studenten aus: „Als jemand, der fest an die Kraft der jungen Menschen und ihren Wunsch nach einer besseren Zukunft glaubt, finde ich es wichtig, dass ihre Stimme gehört wird. Serbien hat ein enormes Potenzial, und die gebildete Jugend ist seine größte Stärke. Was wir alle brauchen, ist Verständnis und Respekt. Ich bin mit euch, Novak.“

Seiner Position blieb Djokovic in den folgenden Monaten treu. Am Australian Open widmete er einen seiner Siege einer Studentin, die bei einem Protest angefahren worden war. Im März postete er auf Instagram ein Foto der bis dahin größten Demonstration in Belgrad mit rund 300.000 Menschen und schrieb: „Geschichte, großartig!“ Bei einem Basketballspiel trug er einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Studenten sind Champions“.

Djokovic als moralischer Orientierungspunkt

Präsident Vucic, wohl wissend, wie groß die Popularität von Djokovic im Land ist, kritisierte den Tenniscrack nicht öffentlich. Aber die staatsnahen Medien pöbeln ihn an. So bezeichnete ihn das regierungsnahe, aggressiv-nationalistische Boulevardblatt „Informer“ als „falschen Patrioten“ und als „Schande“ für Serbien. In den sozialen Medien überboten sich einige mit ihren Beschimpfungen gegen Djokovic. In der breiten Bevölkerung genießt dieser aber weiter ein hohes Ansehen.

Die Studentenproteste in Serbien dauern an und flammten zum Jahrestag der Tragödie erneut auf. Tausende Menschen versammelten sich am 1. November 2025 in Belgrad, Novi Sad und über hundert weiteren Städten, um der Opfer zu gedenken. Noch immer ist unklar, wer politisch die Verantwortung für die Tragödie in Novi Sad trägt. Die juristische Aufarbeitung verläuft schleppend.

Die Forderung nach Aufklärung ist längst zum Symbol einer breiteren Bewegung geworden, die sich gegen Machtmissbrauch, Korruption und institutionelle Intransparenz richtet.

Djokovic hat sich zu einem moralischen Orientierungspunkt dieser Bewegung entwickelt – weniger durch politische Parolen als durch seine konsequente Haltung. Er verkörpert für viele junge Serbinnen und Serben einen Gegenentwurf zum Status quo. Eine politische Karriere hat er bislang immer abgelehnt. Doch wer weiß? Vor Herausforderungen ist Novak Djokovic ja noch nie zurückgeschreckt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Schweizer Tageszeitung „Tagesanzeiger“, wie WELT Mitglied der „Leading European Newspaper Alliance“ (LENA).

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