Sein Leben war die Kurve. Stefan Lehmann war nicht nur bei Dynamo Dresden eine Institution, er gehörte zu den bekanntesten Capos Deutschlands. Doch diesen „Lehmi“, den Dresdner Ultra-Boss, gibt es nicht mehr. Dass er 2017 vom Zaun kletterte, war ein Paukenschlag. Was seitdem mit und in ihm passierte, sorgt für Ungläubigkeit, Erstaunen – und mehr und mehr auch für Bewunderung.

Inzwischen ist Lehmann – so unglaublich das klingen mag – ein völlig anderer Mensch. Beruflich führt der 40-Jährige sein Catering-Unternehmen „Lehmüse“, setzt dabei auf nachhaltig hergestellte, gesunde Kost.

Auch privat hat er seinen inneren Frieden gefunden. Runter von der Überholspur, ganz tief rein ins eigene Ich. Der Weg dahin ist spannend und faszinierend zugleich. Erstmals spricht er darüber schonungslos offen.

Lehmann gehörte zu den Größten in der Fußball-Szene

Rückblick: Im April 2017 spielte Dynamo Dresden in der Zweiten Liga beim VfB Stuttgart. Mit 6000 anderen Fans war Lehmann im Stuttgarter Neckarstadion: „Danach bekam ich einen Anruf von einem Stuttgarter Ultra, dass er etwas Vergleichbares im eigenen Stadion noch nie erlebt hätte.“

Der Junge aus Dresden-Löbtau, aufgewachsen in der Platte und am Anfang seiner Capo-Laufbahn von den eigenen Fans mit Bananen beworfen, war ganz oben angekommen. Er gehörte jetzt zu den Größten in der deutschen Fußball-Szene.

Das Problem: Er konnte sich nicht darüber freuen, stellte sich plötzlich die Sinnfrage. „Ich verstand mich selber nicht. Habe zum ersten Mal gemerkt, dass irgendwas nicht mehr passte. Ich musste runter vom Zaun.“ So erzählt es Lehmann jetzt.

Ein halbes Jahr später war es so weit: Das Derby gegen Aue war ein würdiger Rahmen für seinen offiziellen Abschied. Doch der Kampf mit sich selbst fing erst richtig an: „Ich stand danach völlig fremd im Stadion. Konnte aber auch nicht loslassen, war innerlich zerrissen. Die ganzen Sachen wie Tod und Hass und auf die Mappe hauen waren plötzlich so sinnlos für mich. Mein ganzer Fußball-Kosmos hat sich in zwei Jahren komplett zerschreddert. Ich habe total an mir gezweifelt.“

Dann ein schicksalhafter Moment. Seine Frau – eine Yoga-Lehrerin – bat ihn, ihm die Augen verbinden zu dürfen und sich auf eine Sitzung mit ihr einzulassen. Lehmann war erst mal wenig begeistert. „Aber nach zehn Minuten war ich in einer anderen Welt und danach hat es mich geschüttelt.“

Plötzlich stand die Polizei vor der Tür

Sein neuer Weg war steinig, aber lehrreich. So, als ihn am 5. Dezember 2017 die Vergangenheit einholte: Wegen des martialischen Auftritts der Dynamo-Fans als „Football Army Dresden“ beim Auswärtsspiel in Karlsruhe standen plötzlich Polizei und Staatsanwaltschaft vor seiner Tür, durchsuchten die Wohnung. Vor den Augen seiner Frau und seiner zwei kleinen Jungs.

Später wurde er als „Rädelsführer“ zu zwei Jahren auf Bewährung und 15.000 Euro Strafe verurteilt: „Dass ich verurteilt worden bin, war für mich rückblickend das Beste, was mir je passiert ist. Obwohl ich zum ersten Mal wirklich nichts Strafbares gemacht hatte.“

Vielleicht auch gerade deshalb. „Ich hatte vorher so viel Scheiße gebaut. Schlägereien, Überfälle, und immer bin ich ungeschoren davongekommen“, erzählt Lehmann und verweist auf das Polaritätsgesetz: „Jetzt hatte sich das Pendel auf die andere Seite geschlagen.“

Ein Familienurlaub in Dänemark öffnete ihm weiter die Augen. „Im ersten Moment dachte ich: Wie monoton ist das bitte, immer nur aufs Meer zu glotzen. Am Ende haben die drei Wochen so gutgetan. Heute weiß ich: Willst du runterkommen, mach was Monotones.“

Letztlich entstand so auch die Idee für seine berufliche Zukunft. „Während der Corona-Zeit musste ich bei meiner damaligen Firma nach dem Rechten sehen. Ganz alleine in einer Riesen-Halle, bei absoluter Stille. Da sind viele Gedanken entstanden, auch Lehmüse.“

Lehmann hörte zudem einen Podcast des bekannten Mentaltrainers Dieter Lange, besuchte ein halbes Jahr dessen Seminar „Lebensschule“. „Da ging es anfangs ganz viel um Loslassen. Irgendwann habe ich meine ganzen Fußball-Sachen aus der Wohnung in Kisten gepackt und ja, sogar meine Dynamo-Mitgliedschaft gekündigt.“

Inzwischen genießt „Lehmi“ sein zweites Leben in vollen Zügen. „Ich fühle mich so gut wie nie. Um 4.15 Uhr stehe ich ohne Wecker auf, dann geht’s 45 Minuten auf die Yoga-Matte. Ich meditiere jeden Tag, bin dadurch ruhig und entspannt. Und die Tage, an denen ich dieses Jahr Alkohol getrunken habe, kann ich an einer Hand abzählen.“

Früher undenkbar, es gab kaum einen Tag ohne Bier-Rausch. „Wenn ich daran denke, wie kurz meine Zündschnur war. Wäre der Wandel nicht gekommen, wäre ich für Dynamo im Knast gelandet. Meine Einstellung zum Leben war einfach scheiße.“

Jetzt lautet sein Credo: „Pflanz dir einen Samen in den Kopf und geh los. Wenn du von einer Idee überzeugt bist, mach es!“ So wie die Vortragsreihe über seinen 180-Grad-Wandel. „Von der Fankurve auf die Yogamatte“ – Lehmanns Zeitreise ist extrem kurzweilig, fesselnd, faszinierend, authentisch.

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