Die Gerichtsakten sprechen eine klare Sprache: Scheich Abdullah bin Nasser Al Thani und seine drei Söhne Nasser, Nayef und Rakkan haben zwischen 2012 und 2019 Vereinsgelder in Höhe von 8,5 Millionen Euro veruntreut und den FC Malaga wirtschaftlich ruiniert. Richterin Maria de los Angeles Ruiz hat im Februar 2024 das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und im Juni 2025 den Antrag auf die Hauptverhandlung gestellt. Der größte Prozess wegen Finanzverbrechen gegen Angehörige des Golf-Adels in der europäischen Geschichte steht bevor – mit Haftforderungen von 14,5 Jahren plus 18-jährigen Unternehmensverboten für jeden Angeklagten.

Abdullah bin Nasser Al Thani mag den Titel „Scheich“ tragen, doch innerhalb Katars komplexer Adelshierarchie nimmt er eine deutlich unbedeutendere Position ein, als es zunächst scheint. Als Ururenkel von Ahmed bin Mohammed Al Thani und Bruder des ehemaligen Emirs Jassim bin Mohammed Al Thani führt er das Privatimperium Nasser Bin Abdullah & Sons Group – ein Unternehmen fernab der staatlichen Qatar Investment Authority mit einem Vermögen von 475 Milliarden Dollar.

Diese Randstellung erklärt ein zentrales Phänomen des Skandals: Katars Regierung gewährt Al Thani heute zwar diplomatische Unterstützung, verweigert ihm jedoch jede Intervention, obwohl er offiziell zur Herrscherfamilie gehört. Anders als die Kernfamilienmitglieder, die Katars Staatsfonds kontrollieren, operierte Al Thani unabhängig von Staatsinteressen – ein entscheidender Unterschied zu den professionellen katarischen Sportinvestitionen wie die in den Fußballklub Paris Saint-Germain über Qatar Sports Investments.

Für 36 Millionen Euro gekauft

Die brisanteste Enthüllung liegt in den internationalen Verflechtungen: Der Name Abdullah bin Nasser Al Thani taucht prominent in der ICIJ Offshore Leaks Database auf, es bestehen dokumentierte Verbindungen zu den berühmten Panama Papers. Diese Spur deutet auf eine potenzielle Beteiligung an Offshore-Strukturen hin, die im Malaga-Fall noch nicht vollständig aufgedeckt wurde – ein investigativer Faden, der weit über Andalusien hinausreicht. Spaniens Finanzaufklärungseinheit SEPBLAC hat die Überwachung von Fußballinvestoren aus der Golf-Region verstärkt und ermittelt konkret wegen Geldwäscheverdachts.

Die Konstruktion war von Anfang an perfide durchdacht: Im Jahr 2010 kaufte Al Thani den Verein FC Malaga für 36 Millionen Euro über die Holding NAS Spain 2000. Eine Struktur, die später zentral für die Vermögenspfändung werden sollte. Das Royal United Services Institute, ein unabhängiges Forschungsinstitut aus Großbritannien, das sich mit Fragen der nationalen und internationalen Sicherheitspolitik befasst, warnt: „Der Besitz von Fußballvereinen wird zur internationalen Geldwäsche großer Summen genutzt.“

Eine Einschätzung, die sich im Al-Thani-Fall bestätigen könnte. Sollten die Offshore-Verbindungen vollständig aufgedeckt werden, könnte dies weitere Al-Thani-Familienmitglieder und internationale Finanzstrukturen, die weit über den Fußball hinausreichen, bloßstellen.

Die ersten beiden Jahre waren ein Rausch aus Geld und Erfolg. Al Thani investierte 60 Millionen Euro in Weltklassespieler wie den niederländischen Torjäger Ruud van Nistelrooy, den spanischen Nationalspieler Santi Cazorla und den 19-jährigen Isco aus Valencia, für den sechs Millionen Euro gezahlt wurden. Dazu kamen Jérémy Toulalan aus Lyon, Joris Mathijsen vom HSV und Roque Santa Cruz von Manchester City. Traineridol Manuel Pellegrini, der „Ingenieur“, verwandelte das Stadion La Rosaleda in eine europäische Festung.

2012 erreichte Malaga erstmals seit 1977 die Champions League. Die 30.000 Fans im La Rosaleda feierten den vierten Tabellenplatz in der Primera División wie einen Titel – endlich wieder Königsklasse in Andalusien! 2013 gelang dann eine kleine Sensation: Malaga stand im Viertelfinale der Champions League und spielte gegen Borussia Dortmund. In der Gruppenphase hatte der Verein unter anderem den AC Mailand distanziert und sich souverän für das Achtelfinale qualifiziert, in dem er den FC Porto ausschaltete.

„Dieser Verein kann alles erreichen“, schwärmte Isco, der später als Real-Madrid-Star vier Champions-League-Titel gewinnen sollte. La Rosaleda bebte, wenn die Champions-League-Hymne ertönte. Nach Jahrzehnten in der zweiten Reihe des spanischen Fußballs war Malaga endlich wieder wer. Der arabische TV-Sender Al Jazeera feierte 2011 euphemistisch „Malagas Neujahrsrevolution“, positionierte Al Thani strategisch als „Mitglied der katarischen Königsfamilie“ und stellte die Übernahme des FC Malaga neben die von PSG als Teil von Katars ambitionierter Vorbereitung auf die WM 2022. Die Berichterstattung war nicht nur wohlwollend, sondern regelrecht überschwänglich. Al Thani wurde als visionärer Investor dargestellt, der den andalusischen Fußball revolutionieren würde.

Gerade als der sportliche Erfolg seinen Höhepunkt erreichte, stellte Scheich Al Thani von einem Tag auf den anderen alle Zahlungen ein. Arab News dokumentiert dies anhand von Gerichtsfunden: Al Thani und seine Familie schuldeten dem Verein 8,5 Millionen Euro, die für „Flüge, Immobilien, Urlaube, Hotels und chauffeurgeführte Autos“ verwendet wurden. Laut Anklage soll Al Thani zwischen 2012 und 2019 insgesamt 14,3 Millionen Euro Vereinsgelder für Luxusautos, Privatvillen und fiktive Verträge veruntreut haben – genau jenes Geld, das ausgereicht hätte, um die besten Spieler zu halten und den sportlichen Erfolg zu konsolidieren.

„The National“ berichtet über konkrete Vorwürfe: Der Verein wurde systematisch mit Privatkosten für die Al-Thani-Familie belastet, derweil Spieler wie Isco, Cazorla und andere verscherbelt wurden – nicht aus sportlicher Notwendigkeit, sondern weil das Geld anderweitig benötigt wurde.

Ausverkauf mit Folgen

Antonio Aguilar, Präsident der Kleinaktionärsvereinigung des Vereins, beschreibt das Gefühl der Fans: „Wir haben gesehen, wie unser Traum Stück für Stück stirbt, Transfer für Transfer.“ Die Fans mussten miterleben, wie ihre ehemaligen Lieblinge woanders zu Weltstars wurden. Isco bei Real Madrid, Cazorla bei Arsenal und später bei Villarreal.

Der Ausverkauf begann bereits 2013, unmittelbar nach dem Champions-League-Viertelfinale. Isco wechselte für 30 Millionen Euro nach Madrid – ein Geschäft, das die Fans mit gemischten Gefühlen sahen: Einerseits waren sie stolz, dass ihr Juwel bei den Königlichen landen konnte, andererseits hatten sie die bange Ahnung, dass der Verkauf nicht aus sportlichen, sondern aus finanziellen Gründen erfolgte. Cazorla folgte für 15 Millionen zu Arsenal, Toulalan kehrte nach Lyon zurück. 2014 verließ auch Pellegrini den Verein und ging zu Manchester City. Die Stars wurden durch Leihspieler und Nachwuchstalente ersetzt – das Budget für neue Spieler war praktisch null.

Saison für Saison wurde das Ziel bescheidener: erst der Kampf um Europa, dann der Kampf um die obere Tabellenhälfte und schließlich der nackte Abstiegskampf. 2018 dann stieg Malaga erstmals seit 1999 aus der Primera División ab – nach 18 Jahren in Spaniens höchster Spielklasse. Wo früher 30.000 Fans gegen Madrid und Barcelona brüllten, kamen in der Saison 2017/2018 teilweise nur noch 15.000 zu den Heimspielen.

2023 folgte der nächste Schock: Malaga stieg aus der Segunda División in die Segunda B ab – zum ersten Mal seit 1943 war der Verein drittklassig. Der geschätzte finanzielle Schaden beträgt allein 43 Millionen Euro an verlorenen Medienerlösen. Viele langjährige Dauerkarteninhaber kündigten zudem ihre Karten; Familien, die über Generationen zum Klub gehalten hatten, verloren die Bindung. Der Verein, der einst das Zentrum der Identität von Zehntausenden Andalusiern war, wurde zum Symbol für Enttäuschung und Betrug.

Beispiellos in der europäischen Sportjustiz

Im Jahr 2020 entzog ein spanisches Gericht Al Thani schließlich die Kontrolle über den Klub und setzte den Insolvenzverwalter José Maria Muñoz ein. Die Fans hofften auf einen Neuanfang, doch der Schaden war längst angerichtet. Seit Juni 2025 drohen Al Thani und seinen drei Söhnen bis zu 14 Jahre Haft wegen Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsführung und Missbrauchs von Vereinsgeldern. Eurojust, die EU-Justizbehörde für Strafjustiz-Zusammenarbeit, nutzt das Verfahren, um internationale Rechtshilfe zu koordinieren. Da Al Thani und seine Söhne ohne spanische Rechtsvertretung in Katar sind, müssen sie durch internationale Justizkooperation offiziell über die formellen Anklagen informiert werden. Ein derartiges Verfahren ist beispiellos in der europäischen Sportjustiz.

Die spanischen Behörden haben bereits verfügbare Vermögenswerte beschlagnahmt: Fahrzeuge im Wert von über 200.000 Euro, eingefrorene Bankkonten mit 23.569 Euro und – am wichtigsten – eine Pfändung in Höhe von 8,5 Millionen Euro auf das Vermögen von Al Thani, inklusive seines 51-prozentigen Anteils an NAS Spain 2000, Malagas Holding-Gesellschaft.

Fünf ehemalige Vereinsmanager stehen ebenfalls vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert für sie fünf bis zehn Jahre Haft wegen Beihilfe zur „patrimonialen Entleerung“. Die Anklageschrift umfasst Veruntreuung, ungetreue Geschäftsführung und missbräuchliche Vertragsgestaltung zwischen 2012 und 2019. Doch angesichts von Al Thanis Aufenthalt in Katar und komplexer Vermögensschutzstrukturen ist eine Vollstreckung extrem problematisch.

Der Skandal deckt auch fundamentale Schwächen im europäischen Fußball auf. Der Kontinentalverband Uefa prüft zwar regelmäßig, ob die Klubs mehr ausgeben als sie einnehmen, aber nicht, ob die Besitzer geeignet sind, ganze Vereine zu übernehmen. Dieser fatale Fehler ermöglichte Al Thani jahrelang systematische Veruntreuung ohne Kontrolle, analysiert das Royal United Services Institute.

Erst jetzt reagieren die Behörden: Großbritannien schuf 2025 einen unabhängigen Fußballregulator mit schärferen Besitzertests und Zwangsverkaufsbefugnissen. Die spanische Liga klagt bei der EU gegen „unfaire Subventionen“, die neue EU-Auslandssubventionsverordnung von 2023 erlaubt solche Untersuchungen ausländischer Staatsfinanzierung. Für Malaga kommt das jedoch zu spät.

Kein Wort über die staatsanwaltschaftliche Forderung

Pikant ist auch die mediale Aufarbeitung. Nach den ersten Finanzvorwürfen im Jahr 2012 herrschte bei Katars Propaganda-Sender al-Dschasira plötzlich Schweigen. Es gab keine Berichterstattung über die sich häufenden Anschuldigungen wegen Veruntreuung, kein Wort über die staatsanwaltschaftliche Forderung nach 14 Jahren Haft für Al Thani und seine drei Söhne. Auch zur bahnbrechenden Gerichtsentscheidung von 2020, die Al Thani die Vereinskontrolle entzog und einen Insolvenzverwalter einsetzte, gab es kein Statement.

Ausgerechnet die saudi-arabische Zeitung Arab News, deren Medienlandschaft nicht gerade für Pressefreiheit bekannt ist, liefert die kritischste regionale Stimme zum Malaga-Skandal. Sie bearbeitet den Fall seit 2018 mit einer investigativen Tiefe, die selbst europäische Medien in den Schatten stellt. „Das Zauberwort ‚Scheich‘ machte die Menschen blind für die Realität, dass hinter seinem Getöse nichts steckt“, schreibt Arab News unverblümt. Al Thani habe „den Verein am Rande des Verschwindens hinterlassen“.

Heute vegetiert Malaga unter Zwangsverwaltung in der zweiten Liga. Insolvenzverwalter José María Muñoz kämpft stellvertretend für den Klub ums nackte Überleben: „Die 8,5 Millionen Euro wären überlebenswichtig für den Verein.“ Der bevorstehende Prozess entscheidet jedoch über weit mehr als nur Gerechtigkeit für einen Fußballklub. Er wird zum Präzedenzfall für die Glaubwürdigkeit der europäischen Justiz in einer Ära beispielloser Einflussnahme der Golfstaaten und systematischer Sportswashing-Strategien.

Vier Männer, 58 Jahre Gesamthaft, ein zerstörter Champions-League-Viertelfinalist – und die Frage, ob Europas Gerichte stark genug sind für den Showdown mit den Scheichs von Doha.

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