Der 1. FC Kaiserslautern kämpft sich seit anderthalb Jahrzehnten durch Gebiete, in die der stolze Verein von Fritz Walter niemals wollte: die Unterklassigkeit. Mal kämpft man um Aufstiege, mal ums Überleben. Drama ist immer.

Welch eine Ansage, die der 1. FC Kaiserslautern in der Sommerpause gen Fußball-Deutschland posaunte: Anfang Juli stoppte man den Dauerkartenverkauf für die Saison, mehr als 32.000 Jahrestickets waren da schon weg. Klubrekord, ein Ticketing-Triumphzug und ein Versprechen auf große Fußball-Schlachten. In der Bundesliga würde man mit dieser gewaltigen Zahl in den Top Fünf im Ranking der Klubs mit den meisten verkauften Dauerkarten rangieren. Doch der 1. FC Kaiserslautern spielt in dieser Saison nicht in der Bundesliga. Im Mai 2012 hatten sie sich aus dem Oberhaus verabschiedet und kehrten nie wieder zurück. Aber sie arbeiten daran.

Das Duell mit dem FC Schalke 04 (20.15 Uhr/ RTL, RTL+ und im Liveticker auf ntv.de) wird sich wie Bundesliga anfühlen. Wie der ganz große Fußball, den sie hier seit vielen Jahren selbst inszenieren müssen, weil man ihm in der Pfalz seit vielen Jahren hinterherrennt. Es gab Jahrzehnte, da war das Duell des FC Schalke und des FCK das Spektakulärste, was der deutsche Fußball zu bieten hatte. Das Fritz-Walter-Stadion, dieses hoch über der Kleinstadt thronende Theater des Sports, wird brennen, der Betzenberg ist schon lange mit knapp 50.000 Menschen ausverkauft. Viel größer geht es in der 2. Bundesliga nicht, es ist ein Duell mit gewaltiger Strahlkraft. Und der 1. FC Kaiserslautern kann auf der ganz großen Bühne die Saison früh in die richtige Richtung schicken.

Mit Torsten Lieberknecht haben sie beim FCK seit ein paar Monaten den perfekten Trainer, es ist beinahe überraschend, dass dieses Perfect Match noch nicht früher zustande gekommen war. Der Ex-Profi spielte einst für den Klub, bevor er auf Wanderschaft durch den kompletten Fußball-Südwesten ging. Lieberknecht kennt und lebt die Region. "Ich liebe den Fußball sehr leidenschaftlich. Das war bei mir in der Familie gegeben. Wir sind am Wochenende immer ins Stadion gefahren. Bei uns war das Kaiserslautern. Ich habe gesehen, was die Menschen dafür opfern", hatte Lieberknecht im April bei ntv.de gesagt, wenige Tage bevor der FCK den Enthusiasten aus der Arbeitslosigkeit holte.

Nun ist er längst wieder mittendrin bei seinem Klub - und bringt viel mehr mit als Stallgeruch: Mit dem SV Darmstadt 98 und Eintracht Braunschweig führte er gleich zwei immer aufgeregte, aber niemals strukturell sonderlich gut ausgestattete Traditionsvereine gegen alle Regeln des Geschäfts aus dem Nichts in die Bundesliga. Bedingungslose Liebe für den Fußball und die Region, die Klub-DNA und die Kompetenz, ungewöhnliche Dinge selbstverständlich zu machen: Lieberknecht hat alles, was sie brauchen fürs gute Gefühl. Seinen Kader führte der Trainer vor der Saison durchs Klubmuseum: "Das gehört auch dazu, damit die Jungs wissen: Sie sind nicht nur in der wunderschönen Pfalz, sondern bei einem unglaublichen Klub, der eine Institution ist in Deutschland." Lieberknecht weiß, was man hier hören will, und niemandem im deutschen Profibetrieb kann man mehr abnehmen, dass er es so meint und fühlt.

Irgendwas ist immer

Denn irgendwas ist beim FCK ja immer, entweder brennt der Betze oder der Klub ist in Schutt und Asche, kämpft ums eigene Überleben und mehr. "… dann stirbt die Region" ist längst geflügeltes Wort bei Spöttern und Enthusiasten geworden, wenn der FCK mal wieder darbt. Der einstige Ministerpräsident Kurt Beck hatte von der Staatskanzlei aus stets eine schützende Hand über "seinem" Klub. Und dennoch hat der einst belächelte Emporkömmling FSV Mainz 05 dem ewigen Platzhirschen in Rheinland-Pfalz längst den Rang abgelaufen. Der FCK, der Deutschland den großen Fritz Walter und überhaupt das Rückgrat der Helden von Bern schenkte, der selbst einst als Aufsteiger sensationell zu seiner vierten und bislang letzten deutschen Meisterschaft marschierte und den übermächtigen FC Bayern am Nasenring durch die Saison zog, muss seit vielen Jahren neidisch in die Landeshauptstadt schauen, wo sie in ihre 17. Bundesligasaison in Serie gehen.

Zuletzt meldete die hochverschuldete Kapitalgesellschaft des FCK 2020 Insolvenz an - der damalige Drittligist kämpfte gegen den Absturz in die Regionalliga. Näher waren Klub und Region dem Tode nie. Doch anstatt einen Punktabzug zu kassieren und einem drohenden Zwangsabstieg entgegensehen zu müssen, entledigte man sich - Dank einer Sonderreglung des DFB, die während der knechtenden Corona-Jahre den Klubs wirtschaftliche Sicherheit verschaffen sollte - einem Großteil der Schulden und startete mit reichlich Investitionsmasse aus Mitteln regionaler Investitionen ordentlich durch. Klassenerhalt in der 3. Liga, Aufstieg in die Zweite Liga - und beinahe der Durchmarsch: Nach dem 27. Spieltag blickte man vom Betzenberg aus als Tabellendritter auf den Großteil der Liga hinab. Am Ende reichte es nicht.

Lieberknechts Vorgänger Markus Anfang war beim FCK nie so recht angekommen und musste dann doch überraschend gehen, als Geschäftsführer Thomas Hengen den vor der Saison für utopisch gehaltenen Aufstieg zwei Spieltage vor dem Saisonende in Gefahr sah. Lieberknecht sollte den FCK wieder emotionalisieren und in zwei Spielen vielleicht doch noch das Unmögliche schaffen, so wie er zuvor schon das eine oder andere Wunder in seiner Trainerlaufbahn gewirkt hatte. Daraus wurde freilich nichts mehr, der FCK blieb Zweitligist. Aber die überraschend starke Saison hat natürlich wieder neue Träume geweckt, Drama oder Triumph, dazwischen macht es der Klub nicht. Die Sorgen sind hier oben, hoch über der Stadt, stets größer als anderswo, aber auch der Jubel ist lauter und die Träume intensiver.

"Arbeite gerne daran, Träume zu verwirklichen"

Als offizielles Saisonziel haben die Verantwortlichen eine Verbesserung nach Platz sieben in der Vorsaison gesetzt. Das ist kaum verklausuliert für "wir wollen um den Aufstieg mitspielen". Der Trainer selbst sieht sein Team in dieser Saison "unter dem Radar fliegen. Ich glaube nicht, dass viele den FCK in ihrem Favoritenkreis haben, um sich den Traum zu verwirklichen", sagte Lieberknecht vor dem Saisonauftakt. Gemeint ist natürlich der Traum vom Aufstieg. "Ich arbeite gerne daran, Träume zu verwirklichen." Lieberknecht ist einer, der Träume und Emotionen kanalisieren kann. In Darmstadt und Braunschweig manifestierten sich aus wachsenden Hoffnungen handfeste Erfolgsgeschichten. Und in Kaiserslautern, das zeigt alleine die schiere Masse an verkauften Dauerkarten, sind die Hoffnungen gigantisch.

Der Auftakt in die Saison brachte einen ersten unangenehmen Realitätscheck: 0:1 unterlagen die Roten Teufel bei Hannover 96 (Highlights bei RTL+), das Spiel bestätigte alle, die sich Sorgen um die Angriffsfähigkeit des FCK machen. "Offensiv hatten wir nicht die Durchschlagskraft, die wir uns vorgestellt haben. Wir haben nicht viel stattgefunden", sagte Torsten Lieberknecht nach der Niederlage. "Da haben wir Luft nach oben. Wir hätten mehr Möglichkeiten gehabt, wenn wir mehr Überzeugung gehabt hätten."

Und möglicherweise wenn sie noch Ragnar Ache gehabt hätten: Der beste Torschütze der Vorsaison, der in 30 Spielen 18 Tore erzielt hatte, ist zum 1. FC Köln weitergezogen und hat den Sprung ins Oberhaus schon gepackt. 106-mal schoss die Offensivkraft aufs Tor - öfter als jeder andere Spieler der Liga. Diese weggebrochene personifizierte Offensivwucht muss der Klub noch auffangen, mit Ivan Prtajin (von Union Berlin) und dem Aserbaidschaner Mahir Emreli (kam vom 1. FC Nürnberg) sollen gleich zwei Spieler "nicht Ache ersetzen, sondern ihre Qualitäten einbringen. Da hat jeder seine eigenen Vorzüge."

Seit Mittwoch gibt es noch weitere frische Hoffnung für alle Träumer und Arbeiter: Mit Naatan Skyttä hat Lieberknecht eine frische Offensivkraft zur Verfügung. Der 23-Jährige kam aus Dünkirchen zum FCK, mit einer Ablösesumme von bis zu zwei Millionen Euro (inklusive Boni) ist der Finne immerhin der zehntteuerste Neuzugang in der wilden Klubgeschichte. "Man hat gemerkt, dass er sich erstmal akklimatisieren musste. Wahrscheinlich war er auch überrascht - so viele Leute beim Training, das hatte er wohl noch nie. Er wirkte ein bisschen nervös, aber das finde ich super - das zeigt eine menschliche Seite." Gegen den FC Schalke soll der offensive Mittelfeldspieler schon im Kader stehen. Sein Debüt auf dem "Betze" wird den jungen Mann dann wohl noch deutlich mehr beeindrucken.

"Das kannst du nur lieben"

Flutlicht, 50.000 Zuschauer, der große Gegner und die Sehnsucht nach neuen Triumphen und dem Ende der Demütigung: Am Abend wird sich die gesamte Wucht des Betzenbergs, des FCK entfalten. "Am besten schicken wir die Punkte gleich mit der Post", hatte Paul Breitner 1982 nach einer der schon obligatorischen Niederlagen seines FC Bayern in Kaiserslautern gesagt. Auch wenn das angejahrte Stadion längst keine uneinnehmbare Festung mehr ist, versprüht es auch heute noch seinen Schrecken.

Lieberknecht liebt es, es sei "einzigartig, was der Fußball da in den Stadien zu bieten hat. Wenn du eine totale Leidenschaft hast für den Sport, kannst du das nur lieben." Aber so wenig wie Geld, das sie in Kaiserslautern traditionell nicht haben, Tore schießt, tut es die Leidenschaft. Lieberknecht muss Lösungen finden, die sein Team auf den Rasen bringt. Die unter Anfang teilweise wilde Defensive hat der neue Trainer erstmal befriedet, nach vorne muss er seinem Team die Durchschlagskraft verschaffen. Dann kann man das Drama hinter sich und die Hoffnung am Leben lassen. Mit zwei Niederlagen in eine Saison zu starten, für die sie im letzten Jahr Anlauf genommen haben, würde die Region schon wieder auf die Krankenstation schicken. Ein Sieg aber ließe den Puls in die Höhe schnellen. Dazwischen gibt es nichts.

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