Gerade erst seit ein paar Minuten ist das DFB-Team bei der Europameisterschaft ausgeschieden, da analysiert Bundestrainer Christian Wück schon alle Probleme des deutschen Fußballs. Es warten große Aufgaben.

Bei den Spielerinnen fließen Tränen. Der Trainer aber ist "unheimlich stolz". Obwohl sich all das Kämpfen nicht gelohnt hat. Das Finale der Fußball-Europameisterschaft findet ohne Deutschland statt. Weil Spanien es in einer Situation schafft, mit seinem Talent die Mentalität zu besiegen. 0:1 verliert das DFB-Team das Halbfinale in Zürich in der Verlängerung.

Ein Tor von Weltfußballerin Aitana Bonmati zerstört alle deutschen Hoffnungen. Das DFB-Team ist spielerisch unterlegen, hat weniger Ballbesitz (40 zu 60 Prozent), weniger als halb so viele Angriffe (32 zu 68), weniger Pässe, weniger Passgenauigkeit (73 zu 88 Prozent). Und doch ist es wie schon im Viertelfinale gegen Frankreich die Mentalität, die die Gegnerinnen am Toreschießen hindert. Weil sich immer noch wer dazwischen schmeißt, nachsprintet, grätscht.

Bis in der 113. Minute ein Schuss durchrauscht. Sydney Lohmann schafft es nicht, den Ball aus der Gefahrenzone zu klären. Sie erobert ihn zwar, dribbelt dann aber herum, findet keine Lösung und ihren Befreiungsschlag blockt Athenea del Castillo in die Füße von Ona Batlle. Der Ball geht sofort zurück auf Athenea, diese spielt zu Bonmati. Aus sehr spitzem Winkel trifft sie ins kurze Eck, lässt Ann-Katrin Berger nicht gut aussehen. "Ich wollte nicht, dass das Spiel ins Elfmeterschießen geht", sagt Bonmati nach der Partie.

Berger nimmt Schuld auf sich - Wück will davon nichts wissen

Die deutsche Torhüterin, gegen Frankreich noch die große Titanin und gegen Spanien auch lange Zeit stark, ist enttäuscht von sich selbst: "Ich nehme die Schuld auf mich, die kurze Ecke muss zu sein, ganz klar. Da kann ich noch so viele Paraden machen. Es tut mir unfassbar leid, nicht für mich, sondern für die Mannschaft."

Die Schuldfrage beschäftigt ihren Trainer gar nicht: "Sie muss die Schuld nicht auf sich nehmen. Sie hat uns in genug Szenen gerettet, uns im Spiel gehalten. Sie weiß selbst, dass die kurze Ecke immer doof ausschaut. Wir wissen aber auch, dass wir den Ball gar nicht hergeben müssen." Wücks Urteil: "Wir sind im sicheren Ballbesitz. Das ist eben der Unterschied zu den Spaniern."

Der 52-Jährige schafft es, in der "Leere", die er nach dem anstrengenden Turnier fühlt, nach dem intensiven Halbfinale, schon in die Zukunft zu schauen. Er ist dabei nicht gerade zimperlich. Nachdem sein Team sowohl Frankreich als auch Spanien spielerisch unterlegen war, fordert er eine konsequente Weiterentwicklung bis zur WM 2026 und natürlich auch darüber hinaus.

"Im Ballbesitz verbessern"

"Das, was wir mitnehmen, ist, dass wir uns im Ballbesitz einfach verbessern müssen. Wir müssen uns in der Technik verbessern. Wir müssen dort ansetzen, um die Entwicklung, die wir im Oktober angestoßen haben, fortzuführen. Dass die Mannschaft irgendwann dann auch in der Lage ist, wieder solche Turniere zu gewinnen." Wenige Minuten nach Abpfiff ist das eine naheliegende, aber auch bemerkenswerte Erklärung.

Während Bonmati eine Passgenauigkeit von 89 Prozent aufweist, sind es bei den deutschen Flügelspielerinnen deutlich schwächere Werte. Jule Brand kommt auf 68 Prozent, bei Klara Bühl sind es sogar nur 58 Prozent. Und auch die Art des Passes ist entscheidend. Bei den Spanierinnen läuft der Ball konsequent nach vorn. Das DFB-Team dagegen spielt häufig hinten herum, auch mit Torhüterin Berger als Anspielpartnerin, der Zug nach vorn fehlt, schnell ist der Ball wieder weg. Kampf und Wille ja, aber spielerisch ausbaufähig.

Wück und der Stürmergrundsatz

Bonmati reicht ein "Geniestreich", wie Wück es nennt, während Bühl unermüdlich rackert. Doch Flanken laden im Nichts, ihre Torschuss-Versuche gehen entweder daneben oder können von Spaniens Torhüterin Cata Coll entschärft werden. Eine Szene, Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit, ist Wück zudem besonders in Erinnerung geblieben. Sie hätte das Spiel zugunsten des DFB-Teams entscheiden können. In der 90.+4 wird ein Schuss von Bühl scharf aufs rechte obere Eck abgefälscht, wo Coll ihn gerade noch abwehren kann. Allerdings in die Füße von Carlotta Wamser, die aus spitzem Winkel und sieben Metern Entfernung freie Schussbahn hat. Den Gewaltschuss aufs kurze Eck wischt die spanische Torhüterin aber zur Ecke.

Wück hadert: "Kurze Ecke hoch und lange Ecke flach. Das ist eigentlich ein Stürmergrundsatz, den wir in den in der Bundesliga, in den NLZ's (Nachwuchsleistungszentren, Anm.d.Red.), auch bei uns in den Teams immer wieder bringen. Und ich glaube, wenn sie sich daran gehalten hätte, wenn sie in dem Moment vielleicht daran gedacht hätte, diesen Ball eben nicht flach aufs Tor zu bringen, sondern hoch in die kurze Ecke, dann wäre der Ball drin gewesen." Für Wück eine Szene, die "unheimlich bitter" ist. Und doch ein Spiegelbild des eigenen Spiels. ""Wir hatten viele Situationen, wo wir mit einer besseren Hereingabe oder besserem Timing vielleicht mehr Chancen gehabt hätten, ein Tor zu erzielen."

Seit zehn Monaten ist Wück als Bundestrainer im Amt. Er sieht die Spielerinnen nur alle paar Monate, hat sie dann für kurze Zeit bei einer Maßnahme. An ihm kann es nicht liegen, die Technik der Spielerinnen zu verbessern. Und so verweist er auch auf die Vereine. "Wir müssen schauen, wie wir die Talentförderung auf das nächste Level heben." Während Nachwuchsleistungszentren für die männliche Jugend seit Jahren der Standard sind und es nur wenige Spieler in die Nationalmannschaft schaffen, ohne ein solches NLZ besucht zu haben, ist die Entwicklung bei der weiblichen Jugend ganz neu. Erst seit Januar dieses Jahres haben sechs Klubs DFB-Leistungs- und Talentförderzentren eingeführt (TSG Hoffenheim, SGS Essen, FC Bayern Eintracht Frankfurt, SC Freiburg, VfL Wolfsburg). Wück sagt: "Wir alle zusammen müssen es hinbekommen."

Hinbekommen, so zu sein, wie die von Wück hervorgehobenen Carlotta Wamser und Franziska Kett. "Dass sie so performen gegen solche Topnationen, ist aller Ehren wert. Aber wir brauchen mehr von denen." Ihre Vorzüge zählt der 52-Jährige auf: Geschwindigkeit, gute Ballbehandlung, gutes Zweikampfverhalten. "Deutschland muss schauen, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen, um irgendwann eine Mannschaft zu haben, die solche Turniere gewinnen kann." In zwei Jahren gibt es bei der WM 2026 die nächste Gelegenheit.

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