Es riecht nach K.o.: England liegt im EM-Viertelfinale mit 0:2 gegen Schweden zurück, der Titelverteidiger taumelt. Doch zwei späte Einwechslungen und ein dramatisches Elfmeterschießen verwandeln die Partie in ein kleines Fußballwunder.

Es läuft die 25. Spielminute im Zürcher Letzigrund. Stina Blackstenius rauscht in den Strafraum, lässt Englands Torhüterin Hannah Hampton aussteigen, und schiebt den Ball eiskalt ins linke Eck. Das 2:0 der Schwedinnen gegen England – herausgespielt mit Präzision, vollendet mit Entschlossenheit – scheint den Weg ins Halbfinale der EM zu ebnen. Auf der Bank brechen die Ersatzspielerinnen in Jubel aus. Die Fans in Gelb feiern ausgelassen.

England wirkt entzaubert, der Titelverteidiger entmutigt. Doch als alles vorbei scheint für die Löwinnen, das Spiel entschieden, beginnt doch noch eine der eindrucksvollsten Aufholjagden dieser EM. Nationaltrainerin Sarina Wiegman wechselt mit Michelle Agyemang (70.) und Chloe Kelly (78.) zwei frische Kräfte ein. Die Partie kippt.

Wiegmans späte Wechsel zahlen sich aus

Kelly bringt sofort Tempo über die rechte Seite, ihre Flankenläufe reißen Löcher in Schwedens kompakte Defensive. In der 79. Minute, keine 60 Sekunden nach ihrer Einwechslung, schlägt sie eine butterweiche Flanke in den Strafraum – Lucy Bronze steigt hoch und köpft aus kurzer Distanz zum 1:2 ein. England lebt wieder.

Nur zwei Minuten später drischt Agyemang den Ball zum Ausgleich ins Netz. Die 19-Jährige, die schon gegen Belgien mit einem Tor nach nur 41 Sekunden EM-Geschichte schrieb, wird erneut zur Heldin. England ist zurück – und das Spiel neu eröffnet.

"Das Team hat Probleme gelöst und dann ins Spiel zurückgefunden. Die Widerstandsfähigkeit der Mannschaft ist unglaublich", sagt Stürmerin Kelly nach Abpfiff. "Der Spielverlauf war so sicher nicht geplant. Aber es ist eine Lernerfahrung, die wir uns zu Herzen nehmen und aus der wir für die Zukunft lernen werden." Medial wird der Impact der Joker gefeiert. Das Portal Goal.com lobt Agyemang als "furchtlose Vollstreckerin", die Zeitung "The Independent" nennt Kelly schlicht "den Gamechanger".

"Resilienz war der Unterschied"

England startet – wie schon gegen Frankreich und Wales – mit derselben Startformation, zum dritten Mal in Folge. Wiegman setzt auf ihre eingespielte Elf, doch der Plan geht nicht auf: Schweden presst von der ersten Minute an aggressiv, stellt Englands Spielaufbau konsequent zu und erzwingt frühe Ballverluste.

Die Lionesses finden keinen Rhythmus. Sie lassen sich vom hohen Tempo und der Wucht des schwedischen Pressings überrumpeln. Nach nicht einmal 30 Minuten liegt der Titelverteidiger bereits mit 0:2 zurück. Ein Fehlstart. Wiegman greift erst spät, aber entschlossen ein.

"Die Resilienz war der Unterschied in diesem chaotischen Spiel", sagte Wiegman später. Gegenüber der BBC gestand sie: "Das war eines der härtesten Spiele, die ich je gesehen habe. Wir hätten vier oder fünf Mal ausscheiden können. Ich muss mich jetzt erst einmal beruhigen." Denn nach dem späten Ausgleich bleibt kaum Zeit zum Durchatmen.

Die Schwedinnen stemmen sich bis zuletzt gegen die drohende Niederlage. Trotz des Schocks über den verspielten Vorsprung bringen sie die Verlängerung über die Zeit. In der Lotterie vom Punkt stehen sie schließlich selbstbewusst bereit – doch was folgt, ist ein schwedischer Albtraum der sich über 14 Schüsse erstreckt.

Schwedens EM-Traum zerplatz

Während der englische "Daily Mirror" nach dem Elfmeterschießen ein "brillantes Comeback" feiert und der "Guardian" den ABBA-Hit "The winner takes it all!" zitiert, trauert die schwedische Presse einem greifbar nahen Halbfinale hinterher. Besonders unter Beschuss, die Entscheidung, die 18-jährige Smilla Holmberg als letzte Schützin antreten zu lassen. Trainer Peter Gerhardsson verteidigt indes die Wahl: "Wir hatten ein Meeting, und die Spielerinnen baten uns, eine Liste zu machen – von eins bis elf. Aber natürlich sind es unglaublich schwierige Entscheidungen."

Nicht nur schwierige, sondern auch folgenschwere Entscheidungen, denn die letzte Schützin Holmberg verfehlt. Es ist der fünfte verschossene Elfmeter Schwedens. Auch England hat bereits vier Mal vergeben – insgesamt neun Fehlschüsse. Es ist das schlechteste, aber zugleich spannendste Elfmeterschießen der EM-Historie.

Torhüterin Jennifer Falk, die sagenhafte vier Elfmeter hielt und schließlich noch selber an den Punkt trat, sagte danach: "Ich habe meinen eigenen Strafstoß verschossen. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Es fühlt sich im Moment einfach sehr schwer an."

Taktisch hatte Schweden über weite Strecken überzeugt – kompakt im Zentrum, ballsicher über Asllani und Rolfö, effizient im Umschaltspiel. Das 2:0 wirkte wie der verdiente Lohn – doch nach dem englischen Doppelschlag kippte das Momentum. Und schließlich das gesamte Spiel.

England steht nach einem echten Kraftakt und dank zwei Jokerinnen von der Bank, im Halbfinale gegen Italien. (Dienstag, 21 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker) Schweden hingegen bleibt nur die Rolle des Tragischen Verlierers.

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