Safia Middleton-Patel versuchte es einmal wie folgt zu erklären: „Mein Gehirn funktioniert – nur nicht wie das aller anderen“, sagte die 20-Jährige der BBC und gab einen Einblick, wie sie als Torhüterin auf dem Fußballplatz die Dinge sieht: „Ich stelle mir den nächsten Pass wie den perfekten Legostein vor, der mir in meinem Set fehlt.“ Was amüsant klingen mag, hat einen speziellen Hintergrund und ist das Ergebnis eines langen Weges mit vielen Herausforderungen.

Wenn an diesem Sonntag nun die Vorrunde der Frauen-EM endet und England auf Wales trifft, wird es für Middleton-Patel das letzte Spiel dieses Turniers sein – die Waliser Ersatz-Torhüterin ist mit ihrer Mannschaft unabhängig vom Ergebnis gegen England bereits ausgeschieden. Und dennoch hat die 20-Jährige in der Schweiz einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es geht dabei um mehr als Fußball – es geht um das Leben, um ihre Geschichte. Denn die Torhüterin von Manchester United ist Autistin. Und sie geht offen damit um, teilt ihre Ängste und Erfolge.

Die Waliser, als Außenseiter in das Turnier gegangen, hatten zum Auftakt 0:3 gegen die Niederlande und im zweiten Gruppenspiel 1:4 gegen Frankreich verloren. Als Jessica Fishlock das erste EM-Tor für Wales‘ Frauen bei einer EM schoss, war der Jubel der Fans gewaltig – für Safia Middleton-Patel dürfte das allerdings neben Freude auch eine Belastung ausgelöst haben. Der Grund dafür ist ihre neurologische Entwicklungsstörung.

Erst vor knapp zwei Jahren erhielt sie die Diagnose, auf Instagram machte sie kurz danach ihre Krankheit öffentlich. Gegenüber Vereinsmedien erklärte sie: „Ich möchte ein Vorbild sein, denn Autismus und ASS (Autismus-Spektrum-Störung ; d.Red.) sind leider mit einem negativen Stigma behaftet. Es ist nichts Besonderes daran, wir sehen das Leben einfach ein bisschen anders.“ Unter anderem stellt sie sich den Fußballplatz wie eine Platte für Spielsteine vor.

Wenn die beste Woche zur schlimmsten wird

„Die Leute denken wahrscheinlich nicht an Lego, wenn sie Fußball spielen, aber ich suche nach diesem Stein, um bereit zu sein“, erklärt sie. „Wenn sich der Spielzug ändert, kann ich immer noch umbauen.“ Was spielerisch klingt, war für die Waliserin zunächst schwer.

Als sie noch in der Schule war, erlitt sie in der neunten Klasse einen Zusammenbruch – es blieb nicht der einzige, auch wenn sie sportlich ihren Weg ging. Im Februar 2023 gab Middleton-Patel schließlich ihr Debüt in der Women’s Championship für Coventry und feierte in derselben Woche ihre Premiere im Tor der Waliserinnen beim 1:0 gegen die Philippinen. „Für viele Menschen wäre das die beste Woche ihres Lebens, aber für mich war es die schlimmste“, erzählte sie.

Die Emotionen überkamen sie, sie aß kaum, erlitt erneut einen Zusammenbruch. „Ich erinnere mich noch, wie ich am Fußende meines Bettes saß und zu meiner Mutter sagte: ‚Ich brauche Hilfe. Ich glaube nicht, dass ich das noch lange durchhalte.‘“ Sie bekam sie.

„Es macht mir Angst“, sagt die 20-Jährige

Inzwischen hat Safia Middleton-Patel fünf Länderspiele absolviert. Aus dem Tor heraus gibt sie ihren Spielerinnen Halt, doch auch sie selbst braucht Halt. Vor allem Routine und Struktur stützen sie. „Es macht mir Angst, ich habe solche Angst vor Veränderungen“, gab sie zu. „Als ich letztes Jahr nach Watford wechselte, war ich perfekt im Verein angekommen, aber dann ging ich nach Hause und weinte und weinte und weinte, weil ich mein Gefühl einfach nicht ausstehen konnte.“

Dazu ergänzt sie: „Ich konnte nichts kontrollieren, weil ich keine feste Routine hatte. Sogar beim Autofahren hatte ich Routinen, bei denen ich an bestimmten Ampeln etwas trinken oder auf bestimmten Straßen die Musik lauter stellen konnte. Der Fußball hat meinem Leben das Gefühl von Routine und Struktur gegeben.“

Auf dem Platz ist sie „hyperfokussiert“, wie sie der „BBC“ sagte. „Wenn ich auf dem Trainingsplatz bin oder ein Spiel spiele, höre ich nichts – nur den Ball und mich. Wahrscheinlich höre ich meinen eigenen Herzschlag mehr als alles andere.“

Englands Verteidigerin: „Ich bin besessen“

Im letzten Vorrundenspiel am Sonntag könnte Middleton-Patel nun auf die englische Verteidigerin Lucy Bronze treffen. Die Europameisterin von 2022 und Vizeweltmeisterin von 2023, die mit England im Viertelfinale auf Deutschland treffen könnte, ist auch Autistin. „In gewisser Weise wusste ich schon immer davon. Ich habe die Dinge anders gesehen als andere“, sagt Bronze. „Mein Gehirn läuft auf Hochtouren, selbst wenn ich im Bett liege.“

Außerdem verriet die Fußballerin vom FC Chelsea: „Die Leute sagen immer: ‚Oh, du bist ja so leidenschaftlich beim Fußball. Ich weiß nicht, ob ich sagen würde, dass ich leidenschaftlich bin, ich bin besessen. Das ist mein Autismus, mein Hyperfokus auf den Fußball.“

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke