Ex-Bayern-Trainer ist nach historischer Oranje-Niederlage fassungslos
Andries Jonker ist entsetzt von seinen Spielerinnen, die seine Entscheidung bei der Fußball-EM kritisieren. Die Niederlande offenbaren nach der Klatsche im Gruppenspiel gegen England große Differenzen. Ein Problem, das der Verband selbst geschaffen hat.
Beth Mead und Vivianne Miedema drückten sich nach Abpfiff nur kurz. Die Niederländerin verzog frustriert und niedergeschlagen das Gesicht, ihre englische Partnerin wusste offensichtlich, sie könnte nichts sagen, was nach der 4:0-Klatsche helfen würde. Viel zu deutlich war das Geschehen auf dem Rasen des Züricher Letzigrund gewesen, wo sich England und die Niederlande im zweiten Gruppenspiel der Fußball-Europameisterschaft begegnet waren. Es war die höchste Niederlage in der niederländischen EM-Geschichte.
Ein Duell der beiden war dabei ausgefallen. Mead wurde von Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman erst in der 75. Minute aufs Feld geschickt, neun Minuten zuvor war Miedema, die beim EM-Auftakt noch ihr 100. Länderspieltor geschossen hatte, ausgewechselt worden. Es war ein Wechsel, der im Nachgang für Ärger sorgte. Weil nämlich die eingewechselte Danielle van de Donk, deren 170. Länderspiel beim Stand von 0:3 begann, mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg hielt.
"Hier liegt ein Missverständnis vor"
Und zwar an Trainer Andries Jonker. Zwischen ihm und dem Team knirscht es: "Ich hatte nach dem Spiel gegen Wales leichte Schmerzen in der Leiste", sagte sie beim niederländischen Sender NOS: "Heute ging es mir gut genug, um von Anfang an zu spielen. Aber die Entscheidung war schon gestern getroffen worden." Jonker darauf in der Pressekonferenz: "Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor." Er war mit van de Donks Aussagen konfrontiert worden. "Wir hatten vorher mit dem Arzt und ihr besprochen: Sie könnte maximal 20 bis 25 Minuten spielen."
Es war nicht die einzige Situation, in der deutlich wird, dass Jonker keinen guten Stand hat. Bundesliga-Torschützenkönigin Lineth Beerensteyn vom VfL Wolfsburg war zur Pause eingewechselt worden. Die Nachfrage, ob sie auch von Beginn an hätte spielen können, beantwortete sie lediglich mit einer aussagekräftigen hochgezogenen Augenbraue und bejahte dies. Aber auch hier habe die Entscheidung beim Trainer gelegen - es klingt nicht nach allzu viel Verständnis.
Keine angenehme Situation
Der niederländische Verband hat das Problem selbst geschaffen. Denn Jonker ging als "Lame Duck" ins Turnier. Schon seit Januar steht fest, dass er sein Amt nach der EM abgeben muss. Der Verband wollte den Vertrag mit dem 62-Jährigen nicht mehr verlängern. Jonker hatte vor EM-Start gesagt, dass es für ihn keine angenehme Situation ist, sogar über einen vorzeitigen Rücktritt habe er nachgedacht.
Wie groß die Kluft zwischen Team und Trainer offensichtlich ist, zeigte auch die Kritik von Jonker: "Wir wollten mit viel Ballbesitz spielen und Druck auf England ausüben. Aber die Spielerinnen müssen diesen taktischen Plan natürlich auch ausführen", so Jonker. Der frühere Männer-Trainer des FC Bayern, wo er zumeist in 2. Mannschaft verantwortete, 2011 aber auch für fünf Spiele das Bundesliga-Team im Saisonfinale führte, und des VfL Wolfsburg war fassungslos: "Wir haben das nicht kommen sehen. Wir haben gedacht, dass wir eine gute Chance haben."
Sein Team hatte das erste EM-Spiel mit 3:0 gegen die EM-Debütantinnen aus Wales gewonnen. Dass diese nicht das Niveau der Titelverteidigerinnen haben, war allerdings vorher klar. Gegen England ging für die Niederlande gar nichts, vorn lahm und wenig angriffsfreudig, in der Defensive löchrig. "Ich mache das nicht oft, dass ich die Optionen mit den Spielerinnen diskutiere", sagte er über seine offensichtlich misslungene Spielidee. "Wir waren überzeugt, dass das funktioniert, aber das hat es nicht." Seine Spielerinnen seien "sehr, sehr müde und kaputt" gewesen, verteidigte Jonker sie nur etwas lahm.
"Sehr enttäuscht"
"Ich bin einfach sehr enttäuscht", sagte Beerensteyn, "sie haben uns heute eine Lektion erteilt." Die Engländerinnen hatten ihr Auftaktspiel gegen Frankreich 2:1 verloren, hatten im Spiel zweier Titelkandidatinnen keine gute Leistung gezeigt. Damit standen die Titelverteidigerinnen vor dem Duell mit den Niederlanden schon mit dem Rücken zur Wand. Ein Sieg war Pflicht, sonst wäre das Turnier schon in der Vorrunde vorbei. Wiegmans Team spielte besser - die extrem schwachen Niederländerinnen ließen dies aber auch zu. "Wir waren völlig durcheinander", sagte Torhüterin Daphne van Domselaar.
Im Spielerkreis habe Jonker anschließend gesagt, es sei nicht gut gewesen, aber sie müssten weitermachen, so van Domselaar. Beerensteyn bestätigte dies, allerdings habe sie wegen der Lautstärke im Stadion nicht alles verstanden. Es klingt nicht so, als würde sie den Worten des Trainers noch volle Priorität schenken.
Zum Vorrunden-Abschluss wartet am Sonntag (21 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker) das Duell mit Frankreich. In der härtesten Gruppe dieses Turnier ist noch alles offen, doch ein Sieg für Jonkers Team gegen die Französinnen, die ihre beiden bisherigen Spiele gewinnen konnten, ist Pflicht. Sonst endet der gemeinsame Weg von Jonker und den Oranjeleeuwinnen bereits im Stadion in Basel. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Jonkers Nachfolger sich im desolaten Spiel gegen England schonmal sein zukünftiges Team anschauen konnte. Arjan Veurink ist bislang Englands Co-Trainer.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke