Tiriac und Bosch stutzen Boris Becker zurecht, bis der weinte
Im Alter von 17 Jahren und 227 Tagen trug sich Boris Becker in die Geschichtsbücher seiner Sportart ein. Kein anderer Wimbledon-Sieger vor oder nach ihm war jünger als der deutsche Tennisstar. Am 7. Juli jährt sich die historische Leistung des Leimeners zum 40. Mal. Grund genug, 40 Fakten zum Ereignis in London zusammenzutragen.
01: Vor dem Sieg beim Turnier im Queen’s Club hatte Beckers Wettquote auf einen Wimbledon-Triumph bei 50:1 gelegen, danach bei 20:1 und zum Turnierstart bei 14:1. Ein Immobilienmakler setzte 10.000 Pfund auf Becker (bei 18:1).
02: Becker war der erste Spieler in der Wimbledon-Geschichte, der mit Puma-Schläger (Modell Guillermo Vilas) gewann. Nach dem Triumph wurde der Schläger aus Marketinggründen in „Boris Becker Winner“ umbenannt. Er kostete 199 Mark (101,75 Euro).
03: Becker trug 1985 stets eine Halskette, die ihm seine Mutter geschenkt hatte, als er 16 war. Daran baumelte ein Ring, den er von Freundin Andrea bekommen hatte.
04: Becker und sein Trainer Günther Bosch entwickelten eine Zeichensprache, um trotz Verbots Coaching zu ermöglichen. Gekreuzte Unterarme bedeuteten einen Crossball, tippelnde Finger eine bessere Beinarbeit.
05: Während des Turniers hatte Becker Probleme mit seinem ersten Aufschlag. Also trainierte er nur die zweiten. „Bis sie wie erste kamen“, erzählte Becker später. „Das hat sie alle verblüfft. Mit einem Schnitt drin, dass der Ball nicht so hoch springt.“
06: Becker spielte für einen ungesetzten 17-Jährigen ungewöhnlich oft auf dem Centre-Court. In der ersten Runde gegen Hank Pfister (USA) sowie im Viertel-, Halbfinale und Endspiel.
07: Im Drittrunden-Match gegen Joakim Nyström (Schweden) nahm Becker vier Kilo ab, lag mit Schüttelfrost und Fieber flach. Die Medikamente des Arztes lehnte Boris ab.
08: Im Achtelfinale gegen Tim Mayotte (USA) knickte Becker um, wollte aufgeben. Doch Bosch und Manager Ion Tiriac signalisierten, er sollte sich behandeln lassen. Turniermasseur Bill Norris: „Der Weg war voll, ich stieß mit Fans zusammen, von denen viele Bier in der Hand trugen. Schließlich kam ich verspätet bei Platz 14 an.“ So hatte Becker mehr Zeit, um sich zu erholen – und gewann in fünf Sätzen.
09: Becker wohnte im Spielerhotel, dem Gloucester Hotel in South Kensington – 40 Autominuten von der Anlage entfernt. Er hatte Zimmer 405, Bosch Nr. 406. 1984 übernachteten die beiden noch in einem Stundenhotel, gebucht vom DTB. Boris zu Bosch: „Ich habe kein Auge zugemacht. Die Wände haben gewackelt wie bei einem Erdbeben.“
10: Zum Abendessen ging Becker regelmäßig ins „San Lorenzo“, bestellte Pizza. Zu den Stammgästen gehörte auch Prinzessin Diana. Nachdem das Halbfinale gegen Anders Järryd (Schweden) wegen Regens unterbrochen werden musste, jammerte Boris beim Essen über sein schlechtes Spiel. Tiriac und Bosch wurde es zu bunt, sie stutzen Becker zurecht, bis der weinte.
11: Drei seiner Matches wurden abgebrochen und am nächsten Tag fortgesetzt. In der ersten und dritten Runde wegen Dunkelheits, im Halbfinale wegen Unwetters.
12: Zum Tagesablauf gehörte Schach mit Bosch.
13: Während des Turniers wurde in Deutschland der Erklärfilm „Der junge Blonde mit dem harten Schlag“ über das Tennistalent ausgestrahlt.
14: Boris träumte vor dem Finale, dass ihm die Herzogin von Kent den Pokal überreicht. Die Übergabe erfolgte allerdings aus den Händen ihres Gatten, Prinz Edward (89).
15: Das deutsche Fernsehen stieg erst im Laufe des Turniers mit Live-Übertragungen ein. Das Finale im ZDF schauten 11,19 Millionen Zuschauer (31 Prozent Marktanteil).
16: Das Endspiel gegen Kevin Curren (Südafrika) kommentierte Reiner Deike. „Ich war für die zweite Woche eingeteilt, Hermann Ohletz für die erste. Ein glücklicher Zufall“, sagt Deike, der auch bei Steffi Grafs Olympiasieg 1988 sowie dem Gold 1992 vom Doppel Becker/Michael Stich im Einsatz war.
17: Becker gewann im Endspiel die Seitenwahl und entschied sich für Aufschlag. „Ich nehme immer Kopf. Ich schlage immer zuerst auf, wenn ich gewinne. Ich überlass dem anderen nicht dieses Recht“, erzählte Becker.
18: Vor dem entscheidenden Matchball hat Becker gebetet: „Gott, gib mir den ersten Aufschlag.“
19: Insgesamt stand Becker während der sieben Matches 18:52 Stunden auf dem Platz. Das Endspiel dauerte 3:18 Stunden.
20: Becker schlug am 7. Juli 1985 beim 6:3, 6:7, 7:6, 6:4 im Finale 21 Asse, Curren 19. Der Deutsche gewann 162 Punkte, Curren 140.
21: Curren sagte später zu Becker, die Niederlage hätte ihm mehr Verträge beschert, als wenn er gewonnen hätte.
22: Im offiziellen Wimbledon-Jahrbuch – dem „Compendium“ – wird Becker als B. F. Becker geführt, für Boris Franz Becker.
23: Becker teilt sich den Wimbledon-Rekord für den Turniersieg mit den meisten verlorenen Sätzen (acht Stück) mit dem Amerikaner Ted Schroeder (1949).
24: Mit 17 Jahren und 227 Tagen brach er den Rekord von Wilfred Baddeley (Großbritannien), der 1891 mit 19 Jahren, 174 Tagen siegte. Bis heute ist Becker der jüngste Sieger.
25: Becker war der erste Ungesetzte, der das Turnier der Männer gewann.
26: Das Preisgeld betrug 130.000 Pfund (heute umgerechnet rund 590.000 Euro).
27: In Wimbledon gewann Becker bei 16 Teilnahmen 1.266.922 Pfund Preisgeld (inflationsbereinigt ca. 1,48 Millionen Euro).
28: Seine Gesamtstatistik: drei Turniertitel. 71 Siege, 12 Niederlagen.
29: Von seinem Idol Björn Borg hörte er sich Kassetten an, auf denen der Schwede jungen Spielern Tipps gab.
30: Auf der Trophäe ist der Name Becker auf der Rückseite in der rechten Spalte eingraviert, nur ein paar Zeilen unter Borg.
31: Manager Tiriac verhinderte während des Turniers, dass Becker deutsche oder englische Zeitungen las, damit der Schützling ja nichts vom wachsenden Interesse und Hype mitbekam.
32: Erst nach dem Turniersieg teilten Beckers Eltern ihm mit, dass sein Großvater Boris († 78) verstorben war.
33: Bundespräsident Richard von Weizsäcker schickte 1985 sofort ein Telegramm an Becker: „Wir alle haben Ihre Spiele in den letzten Tagen mit begeistertem Herzklopfen und den Höhepunkt heute Nachmittag mit atemloser Spannung verfolgt.“
34: Am 13. Juli war Becker mit von Weizsäcker im ZDF-Sportstudio bei Moderator Harry Valérien zu Gast. An der Torwand traf Becker zweimal.
35: Nach dem Finalsieg begrüßte ihn der US-Moderator Bud Collins mit einem seltsamen „Boris uber alles“.
36: Vater Karl-Heinz riss nach dem Matchball auf der Tribüne genauso wie Boris die Arme hoch. Als Becker vom US-Sender NBC das Video vorgespielt wurde, musste er lachen.
37: Beim Empfang in seiner Heimatstadt Leimen bekam er einen goldenen Ehrenring und eine goldene Schallplatte, die von der Band Deep Purple unterschrieben war. Außerdem trug er sich ins Goldene Buch der Stadt ein.
38: Das erste große Zeitungs-Interview nach seinem Triumph gab Boris „Bild“-Autor Franz-Josef Wagner. Schlagzeile des ersten Serien-Teils: „Ich habe meinen Sieg geträumt“.
39: Becker war bei den Briten ein Publikumsliebling: „Das Beste, was je aus Deutschland kam“, schrieb der „Sunday Telegraph“. Vor allem viele junge Frauen waren begeistert von ihm.
40: Fünf Länder brachten Wimbledon-Briefmarken heraus, auf denen Becker zu sehen ist: Dominica, St. Vincent (beides Karibik), Guinea-Bissau, Sierra Leone (beides Afrika) sowie Paraguay (Südamerika).
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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