Zerrissen von Gaza und dem größten aller Träume
In Wimbledon will Tennis-Star Ons Jabeur endlich den großen Titel für einen ganzen Kontinent gewinnen. Aber der Weg ist steinig: Die Tunesierin setzt sich lautstark für Gaza und Frieden im Nahen Osten ein - doch die Trostlosigkeit droht sie auf und neben dem Platz zu zerreißen.
Einmal, zweimal, dreimal. Ganze sieben Mal jongliert Ons Jabeur die gelbe Filzkugel mit den Füßen, während ihre Doppelpartnerin sich auf ihren nächsten Aufschlag vorbereitet. Die Maradona-Einlage der Tennis-Ikone aus Tunesien beim Rasenturnier in Berlin sorgt an einem heißen Nachmittag Mitte Juni für Raunen auf den Rängen. Hier findet zwar ein Viertelfinale statt, doch die 30-Jährige ist mit ihrer Kollegin Paula Badosa aus Spanien zum Scherzen aufgelegt.
Immer wieder beackert die zweimalige Wimbledon-Finalistin den Tennisball mit ihren Füßen. Mehrmals spielt sie einen Schlag hinter dem Rücken. Hinzu kommen ihre unglaublichen und kaum zu berechnenden Stoppbälle, denn niemand unter den Tennisspielerinnen hat ein ähnliches Ballgefühl. Das Publikum ist außer sich, genau dafür wird Jabeur weltweit geliebt und beklatscht. Am Ende gewinnt sie mit Badosa und zieht ins Halbfinale der Berlin Tennis Open ein, wo allerdings eine Verletzung der Spanien das Duo jäh stoppt.
Auf Nachfrage von ntv.de sagt Jabeur in Berlin: "Ich bin eine intuitive Person und folge oft meinem Instinkt statt meiner Taktik zu hundert Prozent." Sie möge es einfach, "auf dem Court Spaß zu haben" und bei "den Stoppbällen weiß sogar ich manchmal nicht genau, wann sie kommen", lacht Jabeur.
Jabeur weint wegen Gaza
Thomas Müller etwa ist dafür bekannt, auf und neben dem Fußballplatz lautstark zu agieren und immer einen lustigen Spruch auf Lager zu haben. Bei Ons Jabeur ist das anders. Die Tunesierin witzelt zwar gerne auf dem Court, wird als Minister of Happiness betitelt - als Ministerin der Glückseligkeit. Doch abseits der Matches treiben sie ernste Themen um.
Besonders der Nahe Osten beschäftigt Jabeur. Er macht ihr große Sorgen. Darüber spricht sie erstaunlich offen in einer Sportwelt, in der es sonst meist nur Standardantworten gibt und die Stars vor allem das komplizierte Feld der Politik stets umschiffen.
Doch Jabeur setzt sich etwa lautstark für die Menschen in Gaza ein und nutzt ihre Plattform, um auf die humanitäre Notsituation aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln, um den Opfern zu helfen. Etwa gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm der UN. "In Gaza sterben weiterhin Menschen und sie haben kein Essen und sie bekommen keinen Zugang zu medizinischer Hilfe - also nicht mal das absolute Minimum", sagt Jabeur in Berlin.
Die Tennis-Queen leidet. Sie weiß nicht, wie sie sich auf dem Platz konzentrieren soll, wie sie einfach weiter funktionieren soll, wenn auf der Welt so viel Leid herrscht. Die Trostlosigkeit und die Schicksale zerreißen sie. Jabeur sagt jüngst, dass sie nach Treffen mit dem Welternährungsprogramm häufig weint. Sie mache eine "sehr schwierige Zeit durch", gibt sie auch in der Hauptstadt zu.
Zerdrückt von den Erwartungen
Auch der neue Krieg zwischen Israel und dem Iran setzt Jabeur zu. "Es ist beängstigend, was in der Welt passiert und ich wünsche mir einfach Frieden im Nahen Osten", sagt sie in einer Presserunde am Rande der Berlin Tennis Open. Viele realisieren nicht, wie schlimm die Situation dort ist und wie viel gefährlicher sie gerade noch wird. Ich hasse Politik, die sollen sich endlich zusammensetzen und eine friedliche Lösung finden."
Jabeur ist eine Ikone für den arabischen Raum. Eine Botschafterin. Unbedingt will sie deshalb als erste afrikanische und arabische Tennisspielerin einen Grand Slam im Einzel gewinnen. Spricht das immer wieder an, macht sich zusätzlichen Druck. Dieser zerdrückt sie möglicherweise, als sie in Wimbledon 2022 und 2023 hauchzart erst im Finale scheitert.
Diese Tragik beschäftigt sie bis heute. Als Jabeur gegen Marketa Vandrousova aus Tschechien im Wimbledon-Endspiel vor zwei Jahren unterliegt, fällt sie in ein Loch. Die Pleite nimmt sie stärker mit als erwartet, wie sie heute zugibt. Die Tunesierin hat damals konkrete Kinderpläne mit ihrem Mann und Fitnesstrainer Karim Kamoun. Diese legt sie aber auf Eis, weil dieser eine illustre Titel eben noch fehlt. Für sich selbst und für eine ganze Region. Einen Kontinent. "Frauen opfern für diesen Sport besonders viel", sagt sie in Berlin.
Diesmal soll es gelingen. Endlich. In Wimbledon. Doch die Vorzeichen stehen nicht gut. Aufgrund von einer Schulter- und einer Knieverletzung legt Jabeur kein gutes Tennisjahr 2024 hin. Verliert viele Punkte in der Weltrangliste. Beim Rasenturnier in Berlin kämpft sie sich durch die Qualifikation zwar bis ins Viertelfinale und begeistert die Massen auf dem Weg, doch dort ist wieder gegen Vandrousova Schluss. Weil die Gegnerin keine Fehler macht und Jabeur sehr viele. Die Tschechin gewinnt am Ende das Turnier, nur ein kleiner Trost für die Ministerin der Glückseligkeit.
"Feiglinge, die sich hinter Bildschirmen verstecken"
Anschließend kümmert Jabeur sich wieder um die ernsten Dinge, auch beim Thema Hasskommentare hält sie sich nicht zurück. Das Lachen verschwindet und die 30-Jährige wird regelrecht sauer. Ähnlich wie die deutsche Tennisspielerin Eva Lys zuletzt kreidet Jabeur schon länger an, dass zu wenig gegen Hate-Speech in den Sozialen Medien und gegen ihre Autoren unternommen wird. Aufgrund ihres Einsatzes für die Menschen in Gaza sei sie als "Terroristin" beschimpft worden, auch wegen ihrer Religion würde sie beleidigt.
Auf Nachfrage von ntv.de, ob sie deswegen schon mal über ein Karriereende nachgedacht habe, sagt sie: "Der Hass trifft mich manchmal schon sehr. Aber man muss sich immer wieder vergegenwärtigen: Die Leute sind Feiglinge, die sich hinter Bildschirmen verstecken. Wahrscheinlich haben einige auch Probleme, die behandelt werden müssen."
Doch erst mal lebt der große Traum von Ons Jabeur weiter. Vom Grand-Slam-Titel, der die große Last, die Erwartungen von Millionen, von ihren Schultern abfallen lassen würde. Nächste Chance: Wimbledon. "Die letzte Zeit war schwierig", gibt sie in Berlin zu, auch mit Blick auf ihre Zerrissenheit wegen Gaza. "Aber hoffentlich kann ich weiterkämpfen und bald das Licht am Ende des Tunnels sehen."
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