Noch heute schwärmen Zeitzeugen von diesem hochdramatischen Spiel am 17. Juni 1970. Experten wählten die Partie zum "Spiel des Jahrhunderts". Die WM-Begegnung zwischen Deutschland und Italien vor 55 Jahren endete 4:3 für die Squadra Azzurra. Doch der eigentliche Gewinner war der Fußball.

"Für 750 Reporter aus aller Welt war es die schwerste Aufgabe ihres Lebens, dieses Spiel in Worte zu fassen", schrieb einst die mexikanische Zeitung "Excelsior" über eine Partie, die im Jahr 1997 von einer Expertenjury aus ehemaligen Weltstars aus aller Herren Länder zum "Spiel des Jahrhunderts" gewählt wurde. Das dramatische WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien ist als eines der faszinierendsten Sportereignisse aller Zeiten in die Geschichte eingegangen. Denn das knappe 4:3 der Italiener am 17. Juni 1970 ist ein Sieg für die Ewigkeit gewesen. Ein Sieg für den Fußball insgesamt!

Als es damals, vor 55 Jahren, auch Sekunden vor Schluss immer noch 1:0 für Italien stand, war sich der Reporter der deutschen TV-Übertragung, Ernst Huberty, sicher: "Es soll nicht sein!" Und tatsächlich sprechen die Zeitzeugen bis heute davon, dass die deutsche Elf im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt in dieser Partie Chancen für mindestens drei Spiele ausgelassen hat. Über 80 Minuten liefen die Männer um Beckenbauer, Müller, Schulz, Grabowski und Seeler einem 1:0-Rückstand hinterher. Den Treffer für Italien hatte Roberto Boninsegna mit einem "Sonntagsschuss" erzielt.

"Das ist ja entsetzlich, das ist ja widerlich"

Damals war der Name des Torschützen nur den absoluten Experten unter den deutschen Fußballfans ein Begriff - doch das sollte sich nach diesem Spiel ändern. Und nur ein Jahr später kannte Boninsegna jedes Kind in Deutschland. Denn der Italiener war es, der beim legendären 7:1-Erfolg von Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand auf dem Gladbacher Bökelberg nach einem Getränkedosenwurf wie eine sterbende Diva zu Boden ging und zudem den Borussen Luggi Müller im Wiederholungsspiel so schwer foulte, dass dieser erst im Oktober des darauffolgenden Jahres wieder spielen konnte. Doch an diesem denkwürdigen 17. Juni des Jahres 1970 schoss der besagte Roberto Boninsegna erst einmal seine Mannschaft gegen die deutsche Elf früh in Führung.

Anschließend versuchten die Italiener mit all ihren bekannten - mal fairen, mal weniger anständigen - Mitteln Zeit zu schinden und das Ergebnis über die 90 Minuten zu retten. Als wieder einmal ein Spieler im blauen Trikot auf dem Boden lag, konnte Radio-Kommentator Kurt Brumme irgendwann auch nicht mehr an sich halten und meinte voll beißendem Zynismus: "Mein Gott, ist das ein Fußballspiel hier. Das ist ja entsetzlich, das ist ja widerlich. Burgnich ist soeben verstorben, sehe ich. Nein, da kommt er wieder."

Zudem machte sich der Schiedsrichter der Partie, Arturo Yamasaki aus Peru, einen zweifelhaften Namen, als er auch in den eindeutigsten Momenten nicht auf Strafstoß für Deutschland entschied. Ernst Huberty schrieb in seinem Buch über die WM 1970: "Dann wurde wohl der klarste Elfmeter des Spiels wieder nicht gegeben. Uwe Seeler war bös gefoult worden und schüttelte fassungslos den Kopf, als der Schiedsrichter diese schwere Regelwidrigkeit wieder nicht bestrafte." Später hat Yamasaki ("Handicap für die deutsche Mannschaft", Harry Valerien) einmal gemeint: "Zu einem Elfmeter, wie das Publikum ihn forderte, sah ich keinen Anlass. Kein deutscher Spieler ist im Strafraum so angegangen worden, dass diese härteste Strafe gerechtfertigt gewesen wäre."

Mit dieser Meinung stand der Peruaner an diesem Abend fast alleine da. Und so dauerte es bis zur Nachspielzeit, bis die deutsche Mannschaft in dieser Hitzeschlacht von Mexiko den kaum mehr erwarteten deutschen Ausgleich schoss.

"Noch wenn ich ins Grab sinke ..."

Der Torschütze war nach einer Flanke des Frankfurters Jürgen Grabowski "ausgerechnet Schnellinger", wie der TV-Reporter Ernst Huberty ins Mikrofon rief. Denn Karl-Heinz Schnellinger spielte zu dieser Zeit in Italien für den AC Mailand - und nun haute "ausgerechnet" er seinen Ligakollegen den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich ins Netz. Eine Szene für die Ewigkeit wie das Tor von Jürgen Sparwasser bei der WM 1974 für die DDR gegen die BRD. Und Schnellinger wählte einmal ähnliche Worte wie der gebürtige Magdeburger ("Wenn man auf meinen Grabstein eines Tages nur ›Hamburg '74‹ schreibt, weiß jeder, wer da drunter liegt"), als er über sein Tor sprach: "Noch wenn ich ins Grab sinke, wird mir der Pfarrer nachrufen: ›Das war doch der mit dem Ausgleich gegen Italien!‹"

In Deutschland war es mittlerweile kurz vor 1 Uhr nachts geworden, doch an Schlaf war nicht zu denken. Nun ging es in die Verlängerung. Und was dann passierte, fasste ZDF-Reporter Harry Valérien einmal mit diesen Worten zusammen: "Die Verlängerung überbot dann wirklich alles an Dramatik, was man bis dahin in einem Spiel um die Weltmeisterschaft zu sehen bekommen hat. Die Partie glich einem Boxkampf, bei dem die beiden Kämpfer schon groggy sind und nur noch aufeinander einschlagen, ohne auf ihre Deckung zu achten". Dem 2:1 von Gerd Müller folgte nur vier Minuten später das 2:2 durch Burgnich.

Wieder nur fünf Minuten danach schoss Riva das vorentscheidende 3:2 für Italien. Ein Schuss, platziert in die Ecke, aber ohne große Wucht. Doch Torhüter Sepp Maier wurde auf dem falschen Fuß erwischt. Vielleicht hatte er auch ein ganz anderes Kaliber erwartet, denn Luigi Riva wurde auch "Rombo di Tuono", "Donnerschlag", genannt. Einmal brach er mit einem Schuss wie ein Pferd einem Tifosi sogar den Arm, als der Ball knapp neben den Kasten flog und der Einschlag der Kugel den armen Fan vollkommen überraschte.

"Einer der allergrößten Spiele"

Noch einmal gelang es den Deutschen durch Gerd Müller auszugleichen, aber schon eine Minute später setzte Rivera in der 111. Minute den Schlusspunkt unter diese unglaubliche, hochdramatische Partie - in der zu allem Überfluss auch noch Franz Beckenbauer seit der 65. Minute nach einem Foul der Italiener aufgrund einer Verletzung mit einer Schultermanschette spielen musste.

Nicht wenige Zeitzeugen sind sich sicher, dass, wenn die deutsche Elf nicht bereits drei Tage zuvor im Viertelfinale ein weiteres Jahrhundertspiel mit Verlängerung gegen die Engländer gehabt hätte (die Presse schrieb später von einem "Pyrrhus-Sieg"), die Begegnung andersherum ausgegangen wäre. So blieb als Trost nur, dass die deutsche Elf Teil eines der allergrößten Fußballspiele aller Zeiten war. Die mexikanische Zeitung "El Sol" schrieb am nächsten Morgen: "Die deutschen Spieler haben es verdient, dass sie wie Weltmeister gefeiert werden." Und genau das hatten die Zuschauer im Stadion nach der Partie auch getan. Völlig zurecht!

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