Im Rausch des grünen Goldes – Ab zur Olivenernte in die Toskana
Vorsichtig gleitet der Rastrello, eine Art Kamm, über silbrige Äste. Die freie Hand lenkt die Oliven in den um die Hüfte gebundenen Korb. Nach den oberen muss man sich strecken – und aufpassen, dass keine Frucht zu Boden fällt. Die filigranen Äste sind voll davon. 100 Kilogramm von ihnen ergeben hier in der Toskana in der Regel 12,5 bis 13 Liter bestes Olivenöl.
In der letzten Saison waren es wegen ungünstiger Regenfälle allerdings nur neun Liter des Olio Extravergine d‘Oliva di Reggello Toscana, des „Grünen Goldes“ Reggellos. Umso kostbarer ist den Produzenten dieses Öl, das aufgrund von Lage, Klima und früher Ernte als exzellent gilt.
„Das ist nicht nur etwas, das man an den Salat gibt“, sagt Verdiana Garau, Produktionsmanagerin der Ölmühle Frantoio Masaccio in Reggello. „Es ist eine Delikatesse, die man pur genießen kann.“ Antonio Pasquini, Inhaber der Olivenmühle Pasquini, geht noch weiter: „Olivenöl ist mein Leben, meine Leidenschaft. Es bedeutet mir alles.“
Bekanntlich messen Italiener kulinarischen Freuden besondere Bedeutung bei. Dass sich auch viele Urlauber dafür begeistern, leuchtet ein. Deshalb stehen die Türen der Ölmühlen stets offen im 35 Kilometer südwestlich von Florenz gelegenen Reggello. Besucher können an Führungen teilnehmen und Öle probieren, direkt in der Mühle oder beim Picknick im Olivenhain. Die Mühlenbetreiber weihen sie gerne in die Geheimnisse der Ölgewinnung ein.
Früher bewegten Esel den Mühlstein
Wer in der Erntesaison in der Toskana von Mitte Oktober bis Mitte Dezember selbst Oliven vom Ast trennen will, muss sich im Agriturismo allerdings privat ans Werk machen – aus versicherungstechnischen Gründen dürfen Hobbypflücker nicht an offiziellen Ernteeinsätzen teilnehmen.
Bei Masaccio können Gäste nach der brandneuen Mühle des Hauses zum Vergleich auch die alte des benachbarten ehemaligen Klosters Sant‘Agata besichtigen. Sie wurde noch bis in die 50er-Jahre genutzt und ist heute Standort eines kleinen Museums über die Ölherstellung. Denn die Zeiten, in denen ein Esel den Mühlstein bewegte, mit dem erst Weintrauben, dann Oliven gepresst wurden, sind lange vorbei.
Die Mühle Pasquini empfängt Besucher zum Probieren neuer Öle in der alten Scheune. Und in der Ölmühle Frantoio Poggitazzi, zu der 7000 Olivenbäume und fünfzehn Hektar Chianti-Wein gehören, dürfen Besucher nach der Verkostung auch das historische Herrenhaus des Guts besichtigen, das in Dantes „Göttlicher Komödie“ erwähnt wird. Diese Mühlen verarbeiten eigene Oliven sowie die der Landwirte der Umgebung, von denen fast jeder Olivenbäume besitzt.
Die Apennin-Hügel rund um Reggello sind seit dem 14. Jahrhundert von Olivenbäumen geprägt. Hier entstehen Öle, die zu den besten in Italien gehören. Allerdings machen sie nur etwa zwei Prozent allen italienischen Olivenöls aus. Denn das meiste wird in Apulien hergestellt, wo keine Steillagen die Ernte erschweren. Trotzdem verdankt das hiesige Öl seine enorme Qualität gerade der Höhe der Olivenhaine, die in diesem Teil der Toskana auf bis zu 600 Metern liegen.
Allein 70 Olivensorten in der Toskana
Noch weiter oben droht Frostgefahr. „Die Höhe bedeutet kleinere Bäume, kleinere Früchte, aber besonders intensiven, reinen Geschmack“, sagt Paolo Mori, einer der führenden Experten für Olivenöl in Italien, in Reggello heimisch und in der Mühle Frantoio Masaccio tätig.
Das Geräusch der brechenden Olivenstämme während der strengen Frostperiode von 1985, als 20 Millionen Olivenbäume starben, verfolgt ihn noch heute in schlaflosen Nächten. Mittlerweile sind eher Unwetter ein Problem. Weitere wichtige Faktoren für die Qualität des regionalen Öls sind die kargen Böden aus Kalk, Ton und Stein, ein Mikroklima mit sehr wenig Feuchtigkeit, der frühe Erntezeitpunkt und die schnelle, schonende Verarbeitung der Früchte.
Auch die Sorten spielen eine Rolle. 70 davon gibt es in der Toskana; 500 sind in ganz Italien bekannt. Die bedeutendsten sind hier Frantoiano, Moraiolo und Leccino, die gut ans Klima angepasst sind. Schon in der küstennahen Maremma im Westen der Toskana gedeihen andere Sorten besser.
Geerntet wird stets ab Mitte Oktober. Denn wenn die Oliven kurz vor der Reife gepflückt werden, ist ihr Säuregehalt noch sehr niedrig, der Anteil an Polyphenolen hoch. „Polyphenole sind die gesunden Stoffe im Öl“, erklärt Verdiana Garau, bevor sie Besuchern die Produktionsstraße der Mühle Masaccio zeigt. Weil die Anlage einen Höllenlärm macht, steht sie draußen auf dem Hof der Mühle.
Hier erklärt sie ihren Gästen die komplexe Kunst der Ölherstellung, bevor diese den Gang der Oliven durch die Presse beobachten. „Polyphenole verleihen dem Öl einen intensiven, frischen Geschmack. Sind die Früchte reif, zieht die Pflanze diese Nahrung aus der Frucht zurück, der Polyphenolgehalt sinkt.“ Wer dann erst ernte, erziele einen höheren Ertrag, erhalte aber ein milderes Öl mit weniger Polyphenolen und mehr Fettsäuren.
Jeder Bauer macht sein eigenes Öl
Nach EU-Richtlinien darf ein Olivenöl der höchsten Güteklasse Extra Vergine einen Säuregehalt von maximal 0,7 Prozent haben. „Bei vielen Ölen, die hier gepresst werden, liegt der Säuregehalt unter 0,1 Prozent“, erklärt Verdiana mit Stolz. Dass bei Großproduzenten hingegen erst im Dezember oder Januar geerntet wird und man mancherorts gar warte, bis die überreifen Oliven von allein von den Bäumen fallen, diene der Ertragssteigerung. „Je später man erntet, desto mehr kommt heraus“, sagt Verdiana. Allerdings gehe das zulasten der Qualität.
2022 eröffnete die Mühle Masaccio mit einer kleinen, besonders modernen Presse, die die Oliven nach individueller Temperatur, Lage und Mikroklima individuell verarbeitet. Tommaso Baldini, Besitzer von 6500 Bäumen, suchte nach der bestmöglichen Verarbeitung für seine Früchte. Also erwarb er die Mühle, zu der nun auch Bauern der Umgebung ihre Oliven bringen.
Dazu versicherte er sich der Mitarbeit des Experten Paolo Mori. „Jeder Bauer macht hier eigenes Öl, für die Familie oder den Agriturismo", sagt Mori. „Und jeder möchte die beste Qualität. Das bedeutet Ernte von Hand, um Schäden zu vermeiden, schneller Transport zur Mühle und mechanische statt chemische Verarbeitung.“
Sobald die Frucht vom Baum getrennt wird, wirkt Sauerstoff auf sie ein. Daher soll sie nicht lange liegen, bevor es in die Mühle geht. Gerade mal 45 bis 50 Minuten dauert es, bis dort aus Oliven Öl wird. Die Früchte werden von Blättern befreit, mit Wasser gereinigt, wieder getrocknet und mechanisch – mit den Steinen – gequetscht.
Wer das Öl stattdessen mittels chemischer Hilfsmittel aus dem Olivenbrei löst, erhält kein natürliches Produkt – für die Olivenöl-Liebhaber in Reggello geradezu eine Horrorvorstellung. Im nächsten Schritt werden Wasser und Fruchtfleisch voneinander getrennt. Die Temperaturanzeige meldet 24 Grad, für die Bezeichnung „kalt extrahiert“ sind maximal 27 Grad erlaubt.
Neues Öl ist klar und grün
Am Ende der Produktionsstraße fließt das Öl in einen Behälter, wird gefiltert und strömt nun klar und grün – die typische Farbe des hiesigen „Goldes“ – in den letzten Bottich. Die Bauern warten auf ihr Öl, einige sitzen in der Nachmittagssonne in den offenen Kofferräumen ihrer Kombis, und nehmen es in Metallfässern mit nach Hause. Dort kann es sofort genossen werden: Anders als Öle anderer Regionen muss es sich nicht setzen.
„Preiswerte Olivenöle werden bei der Pressung viel höher als auf maximal 27 Grad erhitzt“, erklärt Riccardo Busso, der Olivenöl für den eigenen Agriturismo produziert und seine Gäste gerne zur Verkostung bittet. An diesem kühlen Herbstabend lodert im Kamin ein Feuer, im Glas funkelt Weißwein. Jedem gießt er einen Probierschluck Öl auf den Teller. Erst wird ausgiebig geschnuppert, dann mit Brot probiert. Tatsächlich ist schon der Duft des neuen Öls intensiv. Sein Geschmack ist kräftig und sogar etwas pfeffrig.
Für die leicht bittere Note ist der hohe Gehalt an Polyphenolen verantwortlich. Es schmeckt so gut, dass man gerne noch die allerletzten Reste mit Brot aufwischt. Dazu gibt es Hintergrundwissen: Zu Fisch passt ein leichteres, delikates Olivenöl, zu Steaks ein intensiveres. „Blends sind Allrounder mit kräftigem Geschmack“, erklärt Busso weiter. „Sie veredeln Suppen, gegrilltes Gemüse, Steaks und Brot und machen sich auch auf Pasta geträufelt ausgesprochen gut.“
Die technische Seite wird ebenfalls erläutert. „Wenn preiswerte Öle bei mehr als 27 Grad hergestellt werden, steigert sich der Ertrag bis zum Dreifachen, besonders wenn die Oliven schon überreif sind.“ Die Qualität leide allerdings sehr. „Daher werden solche Öle oft mithilfe von nicht natürlichen Mitteln geschmacklich und farblich korrigiert.“ Und wenn nicht die frischen Oliven gepresst würden, sondern die Reste der Reste, erhalte man auch nur dritte Wahl. So kann die Suche nach hoher Qualität kompliziert sein.
Busso erklärt, worauf zu achten ist: „Auf dem Etikett muss stehen, dass die Oliven mit mechanischen Mitteln kalt gepresst wurden.“ Hier sollte auch vermerkt sein, welche Olivensorte – oder Sorten – verwendet wurden. Ist außerdem zu lesen, dass Produktions- und Abfüllort identisch sind, bürge das für kurze Wege und gutes Öl.
Auch der Preis ist ein Indikator. „In Italien zahlt man für einen halben Liter 20 Euro, wenn die Qualität hoch ist“, sagt Busso. Wichtig sei ihm, den Wert erstklassigen Öls zu vermitteln. „Der Ertrag beim Olivenöl pro Hektar ist sehr viel niedriger als beim Wein. Ein Hektar Weinreben bringt bis zu 600 Kilogramm Trauben, das bedeutet einen Ertrag von 500 Flaschen Wein à 0,7 Liter.“
Aus einem Hektar Olivenbäume ließen sich hingegen nur 60 bis 65 Liter Olivenöl gewinnen. „Dafür hat man an einer Flasche Olivenöl länger Freude, es ist gesünder und auf seine Weise ebenso wohlschmeckend.“
Tipps und Informationen
Anreise: Etwa mit dem Nachtzug ohne Umstieg von München nach Florenz, weiter per Zug oder Leihwagen nach Reggello oder Sant‘Ellero.
Unterkunft: Das „Agriturismo Podere Picciolo“ in Reggello mit 800 eigenen Olivenbäumen bietet auf Anfrage Beteiligung an der Olivenernte sowie Öl-Verkostungen an, DZ/F ab 112 Euro (agriturismopoderepicciolo.com/de). Das Gutshaus Frantoio Poggitazzi in Terranuova Bracciolini mit italienischem Garten, Ölmühle und Weinkeller kann komplett besichtigt werden, DZ ab 87 Euro, FeWo ab 92 Euro (poggitazzi.it/de)
Weitere Attraktionen: Der Olivenölhersteller Frantoio Masaccio in Reggello bietet Führungen durch die Haine und Anlage an, mit Besuch des Museums und der historischen Presse des benachbarten Klosters (frantoiomasaccio.it). Die Olivenmühle Frantoio Pasquini in Reggello hat sehenswerte Wandgemälde, Besuch und Verkostung nach Anmeldung (frantoiopasquini.it).
Auskunft: visittuscany.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Agriturismo Podere Picciolo. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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