Seit die englische Oberschicht im 19. Jahrhundert Nizza zu ihrer Winterhauptstadt machte, gilt die französische Riviera als europäisches Urlaubsparadies. Doch bei den Engländern blieb es nicht. Genauso wenig wie bei Nizza oder bei den Superreichen, deren Luxusvillen noch immer vom Glanz der Belle Époque um 1900 künden.

Längst ist diese Küstenlandschaft zwischen Marseille im Westen und Menton im Osten das ganze Jahr über das Ziel von unzähligen Touristen. Was sie hier erwartet? Zuallererst ein mildes, gesundes Klima. Dann das unvergleichliche, tatsächlich leuchtend blaue Meer. Grüne Pinien, Palmen und Zypressen halten vertikal dagegen, an den Orangen- und Zitronenbäumen wachsen das ganze Jahr über Früchte um die Wette.

In der Luft mischen sich Düfte von Lavendel, Rosmarin und Thymian. Und wenn die Sonne alles mit ihrem Licht übergießt und auch die landestypische Architektur aus weißem Stein und braunroten Ziegeldächern zum Strahlen bringt, dann erlebt man hier einen Rausch der Farben.

Dieses Licht hat vor allem seit dem Aufkommen des Impressionismus vor rund 150 Jahren auch immer wieder Maler angezogen. Es gibt in Europa wohl keine Region, in der sich so viele von ihnen angesiedelt haben. Hier entfalteten sie nie gekannte Talente.

Neue Wege für Touristen

Auf diese Maler, von Renoir über Matisse und Picasso bis Chagall, besinnt man sich an der Côte d’Azur jetzt. Denn der Übertourismus wird auch hier zur Gefahr. Natürlich will man die Segler und Schwimmer, die Sonnenhungrigen an den Stränden von Cannes, Nizza und St. Tropez nicht entbehren. Aber ein Gegengewicht muss her. Wenn die blaue Küste das Paradies Europas bleiben soll, braucht es neue Wege für die Gäste.

Und diese Wege führen seit einigen Jahren vermehrt ins Hinterland. Die sanften Hügel hinauf, die so oft von alten Burgen bekrönt sind. Zu den kleinen Häfen hinunter, wo Yachten und Jollen sanft vor sich hinschaukeln. Überall locken historische Zeugnisse, die Griechen, Phönizier, Römer hier hinterlassen haben.

Überall lockt aber auch die fantastische provenzalische Küche. Sie hat etwa das winzige Mougins bei Cannes zum Ort mit besonders vielen Sterne-Restaurants gemacht. Berühmt ist auch Saint-Paul-de-Vence oberhalb von Nizza. Der etwas überlaufene Ort ist eine Art Rothenburg ob der Tauber auf Südfranzösisch. Er punktet jedoch mit seinem Gasthaus „La Colombe d’Or“, einem Treffpunkt für Genießer, der Salon Südfrankreichs. Praktischerweise hinterließen besagte große Künstler viele Werke in dem Landstrich, der mehr und mehr Kulturreisende interessiert.

Als Mekka der modernen Kunst gilt die Stiftung Maeght in Saint-Paul-de-Vence, die 2024 ihr 60-jähriges Jubiläum feierte. Die eleganten Pavillons schuf der katalanische Architekt Josep Lluís Sert. Da sie aus allen Nähten platzten und die 13.000 Werke des Privatmuseums nicht mehr angemessen präsentieren konnten, musste eine Vergrößerung der Ausstellungsfläche her. Jedoch ohne die ockerfarben schimmernden Backsteinwände der Sert-Gebäude zu verändern.

Baumeister Silvio d’Ascia aus Neapel fand eine verblüffende Lösung: Statt dem ikonischen Bauwerk eine Konstruktion hinzufügen, schuf er ein raffiniertes Souterrain-Konzept. Am Hang der hinteren Seite unterhöhlte d’Ascia einen Teil des bestehenden Gebäudes und schob ihm vier neue Schausäle mit zwei breiten Fensterfronten unter.

Côte d’Azur als Quell der Inspiration

Von hier blickt man jetzt auf die weltberühmten abstrakten Skulpturen von Joan Miró und Alberto Giacometti, Alexander Calder und Hans Arp. Innen haben die „großen Formate“ wieder gebührend raumgreifende Auftritte, vor allem die viel Lebensfreude versprühenden Landschaften von Henri Matisse und Pierre Bonnard. Diese beiden Maler haben mit ihren Landschaftsbildern – aber auch mit ihren Interieurs, in die das mediterrane Licht eindringt und alles in ein Feuerwerk der Farben verwandelt – den Inbegriff einer Kunst geschaffen, die aus den Gegebenheiten der Côte d’Azur Funken schlägt.

Dabei waren sie gar nicht die ersten großen Künstler, die in diese Gegend kamen. Das war der Impressionist Auguste Renoir. Sein 1907 erworbenes, damals zehn Hektar großes Grundstück in Cagnes-sur-Mer liegt unweit von Saint-Paul-de-Vence. Dort baute er sich inmitten alter Olivenbäume ein Haus im Stil des 18. Jahrhunderts und stattete es entsprechend aus. Es wurde sein Alterssitz. Seit 1960 fungiert der Ort als Gedenkstätte, die auch heute noch durch ihren herrlichen freien Blick aufs Meer besticht.

Auch Le Cannet, nur gut zwei Kilometer vom Meer entfernt, lohnt einen Abstecher: Diesen Ort hatte Post-Impressionist Pierre Bonnard ab den 1920ern als seinen Lebensmittelpunkt gewählt. Er liebte das gleißende Licht des Südens, die Mimosen, Orangen und Eukalyptusbäume, die hier in den Himmel wachsen. 2001 eröffnete in Le Cannet ein Bonnard-Museum, das den Ort für Individualtouristen interessant macht.

Kein einziger Souvenirladen lenkt vom gemächlichen Leben ab, das sich hier abspielt wie eh und je. Wer sich tagsüber am Strand getummelt oder sich durch die verstopften Straßen am Meer gequält hat, kann in Le Cannet auf der Place Bellevue abseits der Massen den Abend genießen, mit einem hinreißenden Blick hinab auf Cannes.

Wie viele Fleckchen an der französischen Riviera hat auch Le Cannet eine künstlerisch ausgestaltete Kapelle. Hier ist es der Chagall-Schüler Théo Tobiasse, der 1989 mit dem Fries „Das Leben ist ein Fest“ dem kleinen Gotteshaus St. Sauveur seinen Stempel aufdrückte. Die reliefartig ineinandergeschobenen Holzplatten wirken wie ein Comicstrip und zitieren auch die durch die Lüfte fliegenden Liebespaare, die ein Hauptmotiv in den Bildern Marc Chagalls darstellen.

Der hat natürlich auch sein Gotteshaus. Es steht in Vence, das gleichfalls auf sympathische Weise dem Übertourismus trotzt. Hier wohnte der Meister von 1950 bis 1966; in der hiesigen Kathedrale, die kleinste Frankreichs, befindet sich Chagalls Moses-Mosaik. Es besticht mit lackierten Kieselsteinen, die in der Sonne schillern wie Brillanten.

Jesus’ Jünger, gezeichnet wie Pin-ups

Für viele ist indes die von Henri Matisse gestaltete Rosenkranzkapelle der künstlerische Höhepunkt. Die ursprünglich für Nonnen erbaute Kapelle muss man schon deshalb gesehen haben, weil sie so stilbildend wurde: Ihre Eröffnung 1951 markiert nämlich den Beginn der Entwicklung an der Côte d’Azur, dass jeder Künstler, der etwas auf sich hält, eine Kapelle gestaltet. Selbstverständlich hat auch Pablo Picasso eine zum Ausmalen bekommen (in Vallauris), genau wie der Autor, Filmemacher und Zeichner Jean Cocteau (in Villefranche-sur-Mer).

Cocteau wäre nicht der schwule Dandy gewesen, als der er heute vor allem bekannt ist, wenn er nicht die schlafenden Jünger, die Jesus im Garten von Gethsemane Gesellschaft leisten, gezeichnet hätte wie Pin-ups: lasziv und muskulös. Damit entsprechen sie jenem Typus, dem Cocteau und der homosexuelle Jetset der 1940er-Jahre in Villefranche nachjagte, als sich dort ein Marinestützpunkt befand und die ausgehungerten Matrosen ihre Begierden großzügig auf weibliche wie männliche Objekte verteilten.

Derartig erotisch aufgeladen ist die Rosenkranzkapelle von Matisse in Vence zwar nicht. Aber mit ihrem großen, in Azurblau, Weiß und Zitronengelb gehaltenen Glasfenster, das einen Lebensbaum darstellt, wirkt das gesamte von Matisse gestaltete Kircheninterieur „so fröhlich, dass man einen Ballsaal daraus machen könnte“.

So empfand es jedenfalls der französische Schriftsteller Louis Aragon. Was hätte er wohl erst zu den rosa Priestergewändern gesagt, die Matisse ebenfalls entworfen hat? Erinnern sie nun an Mandelbäume, die hier alljährlich im Frühjahr blühen, oder sind sie eine ironische Verbeugung vor den Schwulen, für die die Côte d’Azur zu Matisses Zeiten ein Dorado war?

Die Frage mag jeder nach seiner Fasson beantworten. Die Rosenkranzkapelle zeugt jedenfalls von einer spannenden Etappe im Werk des wohl vielseitigsten Künstlers, der an Frankreichs Südküste gearbeitet hat. Wer mehr sehen will, begibt sich ins Musée Matisse in Nizza. Das zeigt vor allem seine späten monumentalen Glas-, Keramik- sowie Papierarbeiten, die reine Farben und klare Linien in abstrakte Elemente auflösen. Heiter, farbenfroh, beschwingt wirbeln sie umeinander, jenseits von Zeit und Raum.

Vergessene Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts

Ganz irdisch, aber auch historisch, wird es hingegen im neuesten musealen Zuwachs der Côte d’Azur, im Örtchen Mougins. Das im vergangenen Jahr gegründete „Femmes Artistes Musée Mougins“ (FAMM) ist der Kunst von Frauen gewidmet. Es dominieren zeitgenössische, zum größten Teil gegenständliche Ölgemälde. Aber es wird auch an weitgehend vergessene Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts erinnert.

So sieht man ausdrucksvolle Arbeiten von Amedeo Modiglianis Lieblingsmodell Jeanne Hébuterne, deren Porträts bezeugen: Sie war eine Künstlerin aus eigenem Recht. Dasselbe gilt für Elaine de Kooning, Frau von Willem de Kooning, dem führenden Vertreter des abstrakten Expressionismus in den USA.

Von Elaine, die das offizielle Bildnis von Präsident John F. Kennedy in Washington anfertigte, stammt der selbstbewusste Satz, der für viele Frauen an der Seite eines berühmteren Mannes gelten kann: „Ich arbeite nicht in seinem Schatten, ich arbeite in seinem Licht.“

Da ist es wieder, was den Zauber der französischen Riviera ausmacht: das Licht. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne steht es für eine Region Frankreichs, in der Natur und Kunst eine so wunderbare Verbindung eingehen wie kaum irgendwo sonst auf der Welt. So geht es hier von einem Paradies zum anderen – und das hoffentlich noch viele hundert Jahre lang.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Von vielen deutschen Städten fliegen etwa Lufthansa oder Easyjet täglich direkt nach Nizza. Wer mit der Bahn anreisen will, fährt über Paris und steigt dort Richtung Nizza um. Von dort geht es am besten mit dem Mietwagen ins Hinterland. Züge fahren kaum ins Hinterland, Busse nur in großen Abständen. 

Was sollte man gesehen haben? Die Fondation Maeght in St.-Paul-de-Vence, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr, im August bis 19 Uhr, Eintritt 18 Euro (fondation-maeght.com).

Das Musée Renoir mit seinen Gärten in Cagnes-sur Meer. Geöffnet täglich außer dienstags, 10 bis 13 Uhr und 14 bis 18 Uhr im Sommer, von Oktober bis März: 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr. Eintritt sechs Euro, für Besucher unter 26 Jahren kostenlos (ville.cagnes.fr/musee-renoir)

Das Musée Bonnard in Le Cannet, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, im Sommer bis 20 Uhr, Eintritt 7 Euro. Es gibt auch Mal-Workshops (museebonnard.fr). 

Die von Henri Matisse gestaltete Chapelle du Rosaire (Rosenkranzkapelle) in Vence ist geöffnet dienstags bis samstags von 10 bis 11.30 Uhr und 14 bis 17.30 Uhr, Eintritt 7 Euro.

Femmes Artistes du Musée de Mougins (FAMM), geöffnet täglich von 10 bis 20  Uhr, Eintritt 16 Euro (famm.com).

Wo wohnt man gut? „Hotel Windsor“ in Nizza, originelles Vier-Sterne-Hotel am Rande der Altstadt mit tropischem Garten, jedes der 36 Zimmer ist von einem anderen Künstler gestaltet. Doppelzimmer ab 95 Euro (hotelwindsornice.com)

„Hotel Carlton“ in Cannes, Fünf-Sterne-Legende der Belle Époque, in der Hitchcocks Klassiker „Über den Dächern von Nizza“ gedreht wurde. Frisch renoviert und mit eigenem Strand, Doppelzimmer ab 500 Euro (carltoncannes.com)

Im Hinterland ist das pittoreske „La Maison du Frêne“ in Vence zu empfehlen. Mitten im historischen Zentrum gelegen, stellt das kleine eigentümergeführte Haus einen idealen Standort für Erkundungen dar, Doppelzimmer ab 150 Euro (lamaisondufrene.com) 

Weitere Infos: provence-alpes-cotedazur.com; cotedazurfrance.de; france.fr

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Côte d’Azur Tourisme. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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