Zuletzt lief es in Sassnitz auf Rügen nicht rund. Und nun steht mit der SailGP ein globales Segelevent vor der Tür – und das mutet Beteiligten wie Unbeteiligten einiges zu.

Wer seiner Urlaubslaune in Sassnitz einen Dämpfer verpassen will, besteigt am besten eines der vielen Ausflugsboote am Stadthafen. Auf der "Jan Cux" zum Beispiel redet Kapitän Bernhard "Klartext". Weil es ja sonst niemand tut. Anderthalb Stunden dauert die Tour entlang der berühmten Kreidefelsen, ausreichend Zeit, um ernüchternde Botschaften über globale Machenschaften lokalen Ausmaßes zu verbreiten.

Etwa der Fisch an den Hafenimbissbuden: nicht frisch, sondern die "gleiche gefrostete Atlantikware wie in Hannover oder Wuppertal". Der neue Skywalk am Königsstuhl: eine Touristenabzocke, "betrieben vom World Wildlife Fund". Die einst so schneeweißen Kreidefelsen: nassgrau "wegen Unesco-Welterbe-Auflagen." Diese nämlich, so der Steuermann, untersagten das Abpumpen des Grundwassers, weswegen es entweder über die Klippen läuft oder, übler: die Kreidefelsen gleichsam von innen wegsprengt.

Die Weltläufte meinen es gerade nicht so gut

Mit seinem Seemannsgarn steht der Käpt'n im Ort zwar relativ allein da, doch vor Freude platzt hier trotzdem niemand. Insolvenzen, Hakenkreuzschmierereien, Gewerbesteuerausfälle – da sei zuletzt "viel durch die Presse gegangen", sagt Danco Lewin, Eventmanager beim Stadthafen Sassnitz. Und dann ist da die Sache mit dem havarierten Schatten-Öltanker "Eventin". Wegen der Russlandsanktionen liegt das riesige Schiff hier nun schon seit Monaten vor Anker. Keiner weiß, wie lange, er soll aber, darin sind sich alle Rügener einig, weg. Möglichst schnell.

SailGP in Sassnitz-Rügen Segelrennen an der Grenze des Machbaren

Der Abrieb des Weltlaufs hat sich also unschön auf das kleine Hafenstädtchen im Osten Rügens gelegt. Und nun steht die "Rolex SailGP" vor der Tür – die "Formel 1 des Segelsports", die sonst in Metropolen wie Sydney, Dubai und New York stattfindet. Ein freundlich-wildes Weltevent als Geschenk für den Ort. "Wir bekommen eine unglaubliche internationale Werbung", sagt Bürgermeister Leon Kräusche mit breitem Grinsen.

Die SailGP-Boote fliegen mehr als dass sie gleiten

SailGP F50 So funktioniert der schnellste Renn-Katamaran der Welt

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Wenn die zwölf Teams der SailGP ab der zweiten Augustwoche in dem 9000-Seelen-Ort aufschlagen, erscheint auch die Elite des Segelsports: Olympiasieger, Europa- und Weltmeister, Gewinner des berühmten America's Cup. Ihre hochgerüsteten Katamarane fliegen mehr übers Wasser, als dass sie gleiten. Bis zu 100 Stundenkilometer werden die Boote schnell. Sebastian Vettel, früherer Formel-1-Weltmeister und Miteigentümer des deutschen SailGP-Teams, sagt, solche G-Kräfte wie bei den Wendemanövern auf See habe er in keinem seiner Autos erlebt.

Bei der Segelveranstaltung mischen auch andere Promis wie Hollywoodstars Hugh Jackman und Ryan Reynolds als Teameigner mit. Gegründet wurde sie 2019 von Larry Ellison, dem Chef des IT-Riesen Oracle. Namenssponsor Rolex lässt die Zielgruppe des global ausgerichteten Hightech-Events erahnen – gleichzeitig aber will die SailGP nahbar sein, weshalb das Konzept relativ einfach daherkommt: Es geht um Action. Die 15-Minuten-Rennen finden direkt in den Hafenbecken auf engstem Raum statt – perfekt portioniert und inszeniert für Live-Publikum, Fernsehen und Social Media.

Furchtlos in Sassnitz. SailGP-Plakat am Hafen © Niels Kruse / stern

Es ist das erste Mal, dass die SailGP nach Deutschland kommt. Auch Städte wie Bremerhaven und Kiel waren im Gespräch, haben aber abgelehnt. Was für Sassnitz sprach, waren sowohl die Wind- und Wetterverhältnisse als auch die "Natur", so Bürgermeister Kräusche: "Wir haben die längste begehbare Außenmole Europas und das Hafenbecken und dazu die Hanglage, von der aus sich die Rennen anschauen lassen. Ich möchte fast behaupten: Das ist einmalig."

Die kilometerlange Schutzmauer mit dem auffälligen grünen Leuchtturm am Ende ist wie so viele andere Ecken am Hafen derzeit mit Bauzäunen abgesperrt. Auf dem ersten Molenabschnitt wird die "Adrenalin Lounge" aufgebaut, die Tribüne mit den VIP-Plätzen. Bester Blick aus dem zweiten Stock. Von überall her ist Geschraube, Gesäge und Gestecke zu hören. Zehn Mann hier, zehn dort beim Zelt und schräg gegenüber dem Museums-U-Boot entsteht der SailGP-Fanshop. Ein Fest für alle Bühnenbauer der Insel.

Sassnitzer Geschäftsleute klagen über Einbußen

Knapp 8000 Stahlrohrgerüst-Sitzplätze müssen sie an der Hafenkante hochziehen. Zwei Wochen dauert das, manche Lokale wie das "Pier 13" verschwinden vollkommen hinter den Metallabsperrungen. Mitten in der Hauptsaison, die ohnehin nur zwei Monate geht. Viele Geschäftsleute klagen deshalb über Einbußen durch die SailGP-Vorbereitungen. "Jan Cux"-Kapitän Bernhard sagt, er verkaufe 30 Prozent weniger Tickets als sonst.

Danco Lewin versteht die Einwände, sieht die Sache aber größer: "Die ganze Welt verändert sich, das spüren wir doch alle." Es sei eben so: "Binz, Sellin, auch der Darß – das ist alles wunderschön, aber fertig entwickelt. Wir haben Fischkutter, Handel und Tourismus. Ich mag diese Ursprünglichkeit, nur wird es wahrscheinlich so nicht bleiben. Die SailGP aber fügt sich positiv in diese Veränderung ein."

Leon Kräusche, Bürgermeister von Sassnitz, hat sich mit der SailGP ein globales Event angelacht  © Privat / stern

Im Vergleich zu den durchsanierten und überaus ansehnlichen Kurbädern auf Rügen fällt Sassnitz tatsächlich etwas ab. Natürlich gibt es auch hier die typische Bäderarchitektur mit ihren verzierten, weißen Villen in kopfsteingepflasterten Gassen. Doch daneben stehen viele Läden leer, zwei Netto-Märkte dominieren die Straßen im Zentrum, dem nagelneuen Tierpark fehlt es noch weitgehend an Tieren und wer am Wasser entlang bummelt, blickt auf Kühl- und Parkhäuser. Für manche Reiseführer ist der Ort deshalb noch – oder nur – ein Geheimtipp.

Im Social-Media-Clip ist mehr Rügen als Sassnitz

So wundert es auch nicht, dass im SailGP-Clip die rasante Drohnenkamera zuerst von Stralsund aus über die Rügenbrücke hinwegfliegt, unter der berühmten Selliner Seebrücke hindurch, auf den Baumwipfelpfad zu und erst dann in Sassnitz landet. Natürlich ist die Altstadt zu sehen, die Mole auch, und die Kreidefelsen, aber letztlich ist das doch mehr Rügen als Sassnitz. Kein Problem für Leon Kräusche: "Wir allein kriegen die ganzen Gäste ohnehin nicht unter. Deshalb profitiert die ganze Insel von der SailGP: Hotels, Gastronomie, die lokale Wirtschaft."

Was genau auf seinen Ort und die Sassnitzer zukommt, weiß der Bürgermeister noch nicht, außer es gigantisch viel Arbeit macht. Vielleicht keine Nummer zu groß, aber eben auch nicht sehr viel kleiner. Die Besucher, die bereits da sind, müssen geduldig sein: Baustellenaufsichten schicken sie im 5-Minuten-Takt von den zahllosen Ein- und Ausfahrten weg, denn von allen Seiten kommen ständig Gabelstapler und Transporter in die Quere. Diese Regatta mutet Beteiligten wie Unbeteiligten einiges zu.

Wegen der SailGP nur Zaungast: Viele Ecken am Hafen sind vor dem Segelevent abgesperrt © Niels Kruse / stern

"Wir haben jetzt diesen Riesenaufwand, aber wir lernen ja aus solchen Themen, beim nächsten Mal wird das natürlich einfacher", sagt Kräusche selbstbewusst. Dass es ein nächstes Mal geben soll, darauf hofft der Bürgermeister, aber ob es eines geben wird, steht noch in den Sternen. Und die Entscheidung hängt auch nicht allein am Veranstalter mit Sitz in London. Fast eine Million Euro kostet die Ausrichtung – sehr viel Geld für Stadt und Land. Wer wissen will, ob sich der gigantische Aufwand für das kleine Sassnitz gelohnt hat, fragt in einigen Wochen am besten Käpt'n Bernhard. Oder vielleicht besser nicht.

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